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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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nutzes, der Bildung, des Gewissens, alles stimmte zusammen. Die Fürsten,
Ritter und Städte säcularifirten die geistlichen Stifterz die damaligen Gebil¬
deten, die Humanisten freuten sich über den Sturz des alten Aberglaubens,
ein wahrhaft nationaler Sinn erwachte, und es kam nur darauf an, daß
eine mächtige Hand die Führung übernahm. In England war das einem
brutalen Despoten wirklich gelungen, in Deutschland hatten wir leider den
Enkel Maximilians, der im Besitz von Spanien, Burgund und mit weit¬
läufigen Ansprüchen auf Italien ausgestattet, seine Thätigkeit in diplomatischen
Intriguen und Nitterthaten verzehrte, welche sich durchweg auf die alte Idee
des römischen Kaisertums bezogen. Er sah in der nationalen Bewegung
nur eine Auflehnung gegen sein Herrscherrecht, stellte die alte Verbindung mit
dem Papst wieder her und ließ die kräftigste Stütze, auf die das Kaiserthum
rechnen konnte, das Ritterthum fallen. Infolge dessen unterwarf sich die
Reformation dem Landesfürstenthum und wurde mehr und mehr zur klein¬
staatischen Hoftheologie. Die Absichten des Kaisers scheiterten, und ein rich¬
tiger Jnstinct löste das unheilvolle Band mit der spanisch-burgundisch-italie¬
nischen Monarchie wieder auf. Die schwindelnden Ideen Karls des Fünften
gingen auf seinen Sohn über, wo sie dann nach kurzem Glanz mit dem
völligen Ruin des Staats endigten. Die östreichische Linie fand in dem Be¬
sitz von Ungarn und Böhmen und in dem Kampf gegen die drohenden Tür¬
ken den angemessenen Spielraum für ihre Thätigkeit, den sie nur nicht kräftig
genug benutzte. ,

Für Deutschland war in dieser Zeit viel verloren gegangen, die Hansa
ließ man fallen, die Colonien an der Ostsee waren dem Untergang nah, das
nationale Leben erschöpfte sich in theologischen Controversen. und schon be¬
gann Frankreich dieselben zu benutzen, um sich auf Kosten Deutschlands zu
erweitern. Deutsche Länder, wie die Niederlande und die Schweiz, rissen sich
Zu ihrem Heil vom römischen Reich und damit gleichzeitig von Deutschland los.

Der stille Groll zwischen den beiden Konfessionen mußte endlich zum
Vruch führen, die mit einer eisernen Willenskraft verbundene Bigotterie eines
Kaisers führte das Elend eines dreißigjährigen Krieges über Deutschland.
Einen Augenblick, im Jahr i"29, hatte es den Anschein, als stünde die mili¬
tärische Einigung Deutschlands bevor, aber der Kaiser war mehr bigott als
ruchlos, er ließ seinen Feldherrn fallen und das Ende des Krieges war die
Verwandlung Deutschlands in einen geographischen Begriff, um dessen Besitz
die Nachbarn streiten mochten. Die Periode der östreichischen Monarchie, die
"un folgt, ist für Deutschland die kläglichste. Der Hochmuth der Kaiser wuchs
Mit der Abnahme ihrer Macht, und es war ein Glück für Deutschland, daß
gleichzeitig in der nördlichen Mark gegen die Slaven ein entschlossenes Fürsten¬
haus austauchte, das die Aufgabe Deutschlands gegen den Norden und Osten


Grenzten II, 1859, 39

nutzes, der Bildung, des Gewissens, alles stimmte zusammen. Die Fürsten,
Ritter und Städte säcularifirten die geistlichen Stifterz die damaligen Gebil¬
deten, die Humanisten freuten sich über den Sturz des alten Aberglaubens,
ein wahrhaft nationaler Sinn erwachte, und es kam nur darauf an, daß
eine mächtige Hand die Führung übernahm. In England war das einem
brutalen Despoten wirklich gelungen, in Deutschland hatten wir leider den
Enkel Maximilians, der im Besitz von Spanien, Burgund und mit weit¬
läufigen Ansprüchen auf Italien ausgestattet, seine Thätigkeit in diplomatischen
Intriguen und Nitterthaten verzehrte, welche sich durchweg auf die alte Idee
des römischen Kaisertums bezogen. Er sah in der nationalen Bewegung
nur eine Auflehnung gegen sein Herrscherrecht, stellte die alte Verbindung mit
dem Papst wieder her und ließ die kräftigste Stütze, auf die das Kaiserthum
rechnen konnte, das Ritterthum fallen. Infolge dessen unterwarf sich die
Reformation dem Landesfürstenthum und wurde mehr und mehr zur klein¬
staatischen Hoftheologie. Die Absichten des Kaisers scheiterten, und ein rich¬
tiger Jnstinct löste das unheilvolle Band mit der spanisch-burgundisch-italie¬
nischen Monarchie wieder auf. Die schwindelnden Ideen Karls des Fünften
gingen auf seinen Sohn über, wo sie dann nach kurzem Glanz mit dem
völligen Ruin des Staats endigten. Die östreichische Linie fand in dem Be¬
sitz von Ungarn und Böhmen und in dem Kampf gegen die drohenden Tür¬
ken den angemessenen Spielraum für ihre Thätigkeit, den sie nur nicht kräftig
genug benutzte. ,

Für Deutschland war in dieser Zeit viel verloren gegangen, die Hansa
ließ man fallen, die Colonien an der Ostsee waren dem Untergang nah, das
nationale Leben erschöpfte sich in theologischen Controversen. und schon be¬
gann Frankreich dieselben zu benutzen, um sich auf Kosten Deutschlands zu
erweitern. Deutsche Länder, wie die Niederlande und die Schweiz, rissen sich
Zu ihrem Heil vom römischen Reich und damit gleichzeitig von Deutschland los.

Der stille Groll zwischen den beiden Konfessionen mußte endlich zum
Vruch führen, die mit einer eisernen Willenskraft verbundene Bigotterie eines
Kaisers führte das Elend eines dreißigjährigen Krieges über Deutschland.
Einen Augenblick, im Jahr i«29, hatte es den Anschein, als stünde die mili¬
tärische Einigung Deutschlands bevor, aber der Kaiser war mehr bigott als
ruchlos, er ließ seinen Feldherrn fallen und das Ende des Krieges war die
Verwandlung Deutschlands in einen geographischen Begriff, um dessen Besitz
die Nachbarn streiten mochten. Die Periode der östreichischen Monarchie, die
"un folgt, ist für Deutschland die kläglichste. Der Hochmuth der Kaiser wuchs
Mit der Abnahme ihrer Macht, und es war ein Glück für Deutschland, daß
gleichzeitig in der nördlichen Mark gegen die Slaven ein entschlossenes Fürsten¬
haus austauchte, das die Aufgabe Deutschlands gegen den Norden und Osten


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[0315] nutzes, der Bildung, des Gewissens, alles stimmte zusammen. Die Fürsten, Ritter und Städte säcularifirten die geistlichen Stifterz die damaligen Gebil¬ deten, die Humanisten freuten sich über den Sturz des alten Aberglaubens, ein wahrhaft nationaler Sinn erwachte, und es kam nur darauf an, daß eine mächtige Hand die Führung übernahm. In England war das einem brutalen Despoten wirklich gelungen, in Deutschland hatten wir leider den Enkel Maximilians, der im Besitz von Spanien, Burgund und mit weit¬ läufigen Ansprüchen auf Italien ausgestattet, seine Thätigkeit in diplomatischen Intriguen und Nitterthaten verzehrte, welche sich durchweg auf die alte Idee des römischen Kaisertums bezogen. Er sah in der nationalen Bewegung nur eine Auflehnung gegen sein Herrscherrecht, stellte die alte Verbindung mit dem Papst wieder her und ließ die kräftigste Stütze, auf die das Kaiserthum rechnen konnte, das Ritterthum fallen. Infolge dessen unterwarf sich die Reformation dem Landesfürstenthum und wurde mehr und mehr zur klein¬ staatischen Hoftheologie. Die Absichten des Kaisers scheiterten, und ein rich¬ tiger Jnstinct löste das unheilvolle Band mit der spanisch-burgundisch-italie¬ nischen Monarchie wieder auf. Die schwindelnden Ideen Karls des Fünften gingen auf seinen Sohn über, wo sie dann nach kurzem Glanz mit dem völligen Ruin des Staats endigten. Die östreichische Linie fand in dem Be¬ sitz von Ungarn und Böhmen und in dem Kampf gegen die drohenden Tür¬ ken den angemessenen Spielraum für ihre Thätigkeit, den sie nur nicht kräftig genug benutzte. , Für Deutschland war in dieser Zeit viel verloren gegangen, die Hansa ließ man fallen, die Colonien an der Ostsee waren dem Untergang nah, das nationale Leben erschöpfte sich in theologischen Controversen. und schon be¬ gann Frankreich dieselben zu benutzen, um sich auf Kosten Deutschlands zu erweitern. Deutsche Länder, wie die Niederlande und die Schweiz, rissen sich Zu ihrem Heil vom römischen Reich und damit gleichzeitig von Deutschland los. Der stille Groll zwischen den beiden Konfessionen mußte endlich zum Vruch führen, die mit einer eisernen Willenskraft verbundene Bigotterie eines Kaisers führte das Elend eines dreißigjährigen Krieges über Deutschland. Einen Augenblick, im Jahr i«29, hatte es den Anschein, als stünde die mili¬ tärische Einigung Deutschlands bevor, aber der Kaiser war mehr bigott als ruchlos, er ließ seinen Feldherrn fallen und das Ende des Krieges war die Verwandlung Deutschlands in einen geographischen Begriff, um dessen Besitz die Nachbarn streiten mochten. Die Periode der östreichischen Monarchie, die "un folgt, ist für Deutschland die kläglichste. Der Hochmuth der Kaiser wuchs Mit der Abnahme ihrer Macht, und es war ein Glück für Deutschland, daß gleichzeitig in der nördlichen Mark gegen die Slaven ein entschlossenes Fürsten¬ haus austauchte, das die Aufgabe Deutschlands gegen den Norden und Osten Grenzten II, 1859, 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/315>, abgerufen am 22.12.2024.