Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.dachten freilich anders. Ihnen schien die Hauptsache, selbst im Augenblick Wenn im Jahr 1848 dem Erzherzog die Aussichten für Oestreich günsti¬ Ein deutsches Kaiserreich hat es nie gegeben, wol aber ein römisches Als die Barbaren in der Völkerwanderung das römische Reich überflu¬ Darüber hatten sie ihre nächste Aufgabe versäumt, die Unterwerfung und dachten freilich anders. Ihnen schien die Hauptsache, selbst im Augenblick Wenn im Jahr 1848 dem Erzherzog die Aussichten für Oestreich günsti¬ Ein deutsches Kaiserreich hat es nie gegeben, wol aber ein römisches Als die Barbaren in der Völkerwanderung das römische Reich überflu¬ Darüber hatten sie ihre nächste Aufgabe versäumt, die Unterwerfung und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0313" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107360"/> <p xml:id="ID_909" prev="#ID_908"> dachten freilich anders. Ihnen schien die Hauptsache, selbst im Augenblick<lb/> der größten Gefahr für den Kaiserstaat, Preußen möglichst zu kränken und zu<lb/> beschädigen, und so trieben sie Preußen mit Gewalt in jene Haugwitzsche Po¬<lb/> litik hinein, die für beide Staaten den bekannten Ausgang Nahm.</p><lb/> <p xml:id="ID_910"> Wenn im Jahr 1848 dem Erzherzog die Aussichten für Oestreich günsti¬<lb/> ger erschienen, so theilte er diese Ansicht mit sehr würdigen Männern und sein<lb/> Irrthum verdient weit mehr Entschuldigung, als der gleiche Irrthum, der<lb/> in der Gegenwart wieder hervortritt und durch keine Nebenumstände gerecht¬<lb/> fertigt wird. Man möge bei dem Ernst der Sache uns verstatten, um den<lb/> Begriff eines deutschen Kaiserthums festzustellen, einen Blick in die Geschichte<lb/> zu werfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_911"> Ein deutsches Kaiserreich hat es nie gegeben, wol aber ein römisches<lb/> Kaiserreich deutscher Nation, und beides sind sehr wesentlich voneinander ver¬<lb/> schiedene Begriffe.</p><lb/> <p xml:id="ID_912"> Als die Barbaren in der Völkerwanderung das römische Reich überflu¬<lb/> teten, und sich in den einzelnen Theilen desselben, nach Stammesunterschied<lb/> und geographischer Lage geschieden, häuslich niederließen, schwebte ihnen doch<lb/> immer die Würde eines römischen Kaisers als die höchste der Welt und Ita¬<lb/> lien als das goldene Land der Sehnsucht vor. Sobald also Karl der Große sein<lb/> mächtiges Frankenreich gegründet, glaubte er ihm durch jene Würde eine<lb/> höhere Weihe geben zu müssen und da von den alten Traditionen des Reichs<lb/> nichts Anderes übrig war, als die Kirche, erhob er das italienische Haupt der¬<lb/> selben zu einer Macht, die es früher nicht gekannt, um sich dafür von ihm<lb/> als römischer Kaiser krönen zu lassen. Dasselbe geschah, nachdem auch dies<lb/> neue Weltreich in seine natürlichen Gliederungen zerfallen, von Otto dem<lb/> Großen. Nur konnte diesmal der alte Umfang des Karolingischen Reichs nicht<lb/> wieder hergestellt werden; die Basis des Reichs war Deutschland, seine ideale<lb/> Bedeutung lag in Rom. Durch die deutschen Könige, denen er dafür das<lb/> Flittergold der Cäsarenkrone übertrug, wurde der Papst Herr der Kirche und<lb/> belohnte dafür, wie es billig war, seine Wohlthäter, indem er sich zugleich<lb/> an die Spitze der nationalen Opposition Italiens stellte und jede deutsche Be¬<lb/> wegung dazu benutzte, den Kaiser von sich abhängig zu machen. Deutschland<lb/> hatte vom 10. bis zum 13. Jahrhundert eine Reihe bedeutender Fürsten, die<lb/> französischen Könige konnten sich in keiner Weise damit messen, aber nach dem<lb/> Abschluß dieser Periode war der reale Grund zum französischen Königthum<lb/> gelegt, während das deutsche Kaiserthum in Trümmer fiel. Der Grund war<lb/> der krankhafte Trieb sämmtlicher deutscher Könige, den Schauplatz ihrer Thätig¬<lb/> keit in Italien zu suchen, wo sie ihre Kraft in zwecklosen Kämpfen aufrieben,<lb/> ohne doch je zu einer festen dauernden Herrschaft zu gelangen.</p><lb/> <p xml:id="ID_913" next="#ID_914"> Darüber hatten sie ihre nächste Aufgabe versäumt, die Unterwerfung und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0313]
dachten freilich anders. Ihnen schien die Hauptsache, selbst im Augenblick
der größten Gefahr für den Kaiserstaat, Preußen möglichst zu kränken und zu
beschädigen, und so trieben sie Preußen mit Gewalt in jene Haugwitzsche Po¬
litik hinein, die für beide Staaten den bekannten Ausgang Nahm.
Wenn im Jahr 1848 dem Erzherzog die Aussichten für Oestreich günsti¬
ger erschienen, so theilte er diese Ansicht mit sehr würdigen Männern und sein
Irrthum verdient weit mehr Entschuldigung, als der gleiche Irrthum, der
in der Gegenwart wieder hervortritt und durch keine Nebenumstände gerecht¬
fertigt wird. Man möge bei dem Ernst der Sache uns verstatten, um den
Begriff eines deutschen Kaiserthums festzustellen, einen Blick in die Geschichte
zu werfen.
Ein deutsches Kaiserreich hat es nie gegeben, wol aber ein römisches
Kaiserreich deutscher Nation, und beides sind sehr wesentlich voneinander ver¬
schiedene Begriffe.
Als die Barbaren in der Völkerwanderung das römische Reich überflu¬
teten, und sich in den einzelnen Theilen desselben, nach Stammesunterschied
und geographischer Lage geschieden, häuslich niederließen, schwebte ihnen doch
immer die Würde eines römischen Kaisers als die höchste der Welt und Ita¬
lien als das goldene Land der Sehnsucht vor. Sobald also Karl der Große sein
mächtiges Frankenreich gegründet, glaubte er ihm durch jene Würde eine
höhere Weihe geben zu müssen und da von den alten Traditionen des Reichs
nichts Anderes übrig war, als die Kirche, erhob er das italienische Haupt der¬
selben zu einer Macht, die es früher nicht gekannt, um sich dafür von ihm
als römischer Kaiser krönen zu lassen. Dasselbe geschah, nachdem auch dies
neue Weltreich in seine natürlichen Gliederungen zerfallen, von Otto dem
Großen. Nur konnte diesmal der alte Umfang des Karolingischen Reichs nicht
wieder hergestellt werden; die Basis des Reichs war Deutschland, seine ideale
Bedeutung lag in Rom. Durch die deutschen Könige, denen er dafür das
Flittergold der Cäsarenkrone übertrug, wurde der Papst Herr der Kirche und
belohnte dafür, wie es billig war, seine Wohlthäter, indem er sich zugleich
an die Spitze der nationalen Opposition Italiens stellte und jede deutsche Be¬
wegung dazu benutzte, den Kaiser von sich abhängig zu machen. Deutschland
hatte vom 10. bis zum 13. Jahrhundert eine Reihe bedeutender Fürsten, die
französischen Könige konnten sich in keiner Weise damit messen, aber nach dem
Abschluß dieser Periode war der reale Grund zum französischen Königthum
gelegt, während das deutsche Kaiserthum in Trümmer fiel. Der Grund war
der krankhafte Trieb sämmtlicher deutscher Könige, den Schauplatz ihrer Thätig¬
keit in Italien zu suchen, wo sie ihre Kraft in zwecklosen Kämpfen aufrieben,
ohne doch je zu einer festen dauernden Herrschaft zu gelangen.
Darüber hatten sie ihre nächste Aufgabe versäumt, die Unterwerfung und
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