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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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können wir nun alle diese Klippen vermeiden, wenn wir sie für das nehmen,
was sie ist: eine Geschichte menschlicher Kräfte, ohne Rücksicht auf den Zweck,
den diese Kräfte zu erreichen suchten, noch auf den Ausgang , den sie der Zu¬
fall nehmen ließ . . . Netz wenigstens scheint den Zweck seiner Anstrengung
für die Nebensache zu halten, die Thätigkeit freut ihn um ihrer selbst willen;
der Gegenstand ist nur der Name des Spiels. Selbst wenn das Spiel augen¬
blicklich verloren ist, vergnügen ihn geschickte Züge . . . Nirgend in der Ge¬
schichte ist das Spiel der Kräfte so klar und lauter, eben weil der Zweck dabei
null ist." -- Man sieht daraus, daß die Geschichtschreibung sich dilettantisch
nicht abmachen läßt: eine Entwicklung dieser abstracten Kunstleistung ohne
alle Ironie (denn die wollte Huber ausschließen) wäre ein höchst wunderliches
Product geworden.

Diese Beschäftigung nur der Geschichte flößte den Freunden auch
ein regeres Interesse für die Politik ein, obgleich sie erst 1790 an¬
fingen, die Zeitungen regelmäßig zu lesen. Mainz füllte sich mit Emi¬
granten, und Huber als halber Franzose gewann das Vertrauen bedeuten¬
der Männer und dadurch eine große Vielseitigkeit und Unbefangenheit des
Politischen Gesichtspunkts. -- 1790 führte er. nach Abberufung seines
Chefs, die Geschäfte selbstständig, und wie es scheint, zur Zufriedenheit
seines Hoff. Uebrigens zeigen die Briefe an Körner, daß er der Revolution
Zuerst nicht als Politiker, sondern als Artist gegenüberstand; die Erinnerung
an die Schillerabende wirkte immer noch mächtiger auf ihn als der diplo¬
matische Verkehr. Erst allmälig schält sich der politische Gedanke los. --
23. Jul. 1789. "Den gestrigen Tag habe ich wie bei der Entwickelung
eines interessanten Trauerspiels zugebracht . . . Deine Bemerkungen über
den Geist und Einfluß der Cultur bei der Fronde treffen hier noch weit mehr
ein. wo zugleich der Zweck ungleich schöner und simpler ist . . . Ueberhaupt
ist Me mein Respect für das achtzehnte Jahrhundert sehr gestiegen, und die
Zusammenballung der Fronde mit dieser Begebenheit, wenn wir sie im Gan¬
zen haben werden, kann, dünkt mich, das Begeisterndste bei unserer so Gott
will, künftigen Arbeit sein." -- 6. Nov. "Es bestätigt sich mir, daß vielleicht
alle großen Begebenheiten, die wir in der Geschichte anstaunen, für den
Augenzeugen durch Jncohärenz und Lücken ebenso verloren. Nur die Disette
großen Menschen scheint mir hier am meisten vorzuleuchten. Insgeheim
wäg kleinliche Intrigue viel lenken, wovon wir nichts wissen. Aber daß in
einem'solchen Bouleverscment kein einziger Geist aufgestanden ist, der sich
durch Consequenz und Größe zum Herrn der Begebenheit gemacht hätte, daß
alle diese Menschen, die hinein verwickelt waren und sind, nur einer precären,
partiellen, scheinbaren Influenz gewachsen sind, das ist das Traurige. Ekel¬
hafte der Sache. Freilich muß man wol auch annehmen, daß wir noch immer


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können wir nun alle diese Klippen vermeiden, wenn wir sie für das nehmen,
was sie ist: eine Geschichte menschlicher Kräfte, ohne Rücksicht auf den Zweck,
den diese Kräfte zu erreichen suchten, noch auf den Ausgang , den sie der Zu¬
fall nehmen ließ . . . Netz wenigstens scheint den Zweck seiner Anstrengung
für die Nebensache zu halten, die Thätigkeit freut ihn um ihrer selbst willen;
der Gegenstand ist nur der Name des Spiels. Selbst wenn das Spiel augen¬
blicklich verloren ist, vergnügen ihn geschickte Züge . . . Nirgend in der Ge¬
schichte ist das Spiel der Kräfte so klar und lauter, eben weil der Zweck dabei
null ist." — Man sieht daraus, daß die Geschichtschreibung sich dilettantisch
nicht abmachen läßt: eine Entwicklung dieser abstracten Kunstleistung ohne
alle Ironie (denn die wollte Huber ausschließen) wäre ein höchst wunderliches
Product geworden.

Diese Beschäftigung nur der Geschichte flößte den Freunden auch
ein regeres Interesse für die Politik ein, obgleich sie erst 1790 an¬
fingen, die Zeitungen regelmäßig zu lesen. Mainz füllte sich mit Emi¬
granten, und Huber als halber Franzose gewann das Vertrauen bedeuten¬
der Männer und dadurch eine große Vielseitigkeit und Unbefangenheit des
Politischen Gesichtspunkts. — 1790 führte er. nach Abberufung seines
Chefs, die Geschäfte selbstständig, und wie es scheint, zur Zufriedenheit
seines Hoff. Uebrigens zeigen die Briefe an Körner, daß er der Revolution
Zuerst nicht als Politiker, sondern als Artist gegenüberstand; die Erinnerung
an die Schillerabende wirkte immer noch mächtiger auf ihn als der diplo¬
matische Verkehr. Erst allmälig schält sich der politische Gedanke los. —
23. Jul. 1789. „Den gestrigen Tag habe ich wie bei der Entwickelung
eines interessanten Trauerspiels zugebracht . . . Deine Bemerkungen über
den Geist und Einfluß der Cultur bei der Fronde treffen hier noch weit mehr
ein. wo zugleich der Zweck ungleich schöner und simpler ist . . . Ueberhaupt
ist Me mein Respect für das achtzehnte Jahrhundert sehr gestiegen, und die
Zusammenballung der Fronde mit dieser Begebenheit, wenn wir sie im Gan¬
zen haben werden, kann, dünkt mich, das Begeisterndste bei unserer so Gott
will, künftigen Arbeit sein." — 6. Nov. „Es bestätigt sich mir, daß vielleicht
alle großen Begebenheiten, die wir in der Geschichte anstaunen, für den
Augenzeugen durch Jncohärenz und Lücken ebenso verloren. Nur die Disette
großen Menschen scheint mir hier am meisten vorzuleuchten. Insgeheim
wäg kleinliche Intrigue viel lenken, wovon wir nichts wissen. Aber daß in
einem'solchen Bouleverscment kein einziger Geist aufgestanden ist, der sich
durch Consequenz und Größe zum Herrn der Begebenheit gemacht hätte, daß
alle diese Menschen, die hinein verwickelt waren und sind, nur einer precären,
partiellen, scheinbaren Influenz gewachsen sind, das ist das Traurige. Ekel¬
hafte der Sache. Freilich muß man wol auch annehmen, daß wir noch immer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/229>, abgerufen am 22.12.2024.