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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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bald er es einmal unternommen. Duclos veranlaßte ihn zu einer unglaub¬
lichen Menge von Lcctüren, er studirte sich mit Forster in den Geist der fran¬
zösischen Geschichte, besonders der letzten Jahrhunderte ein. Von den Zeiten
der Liga an durchgrübelten sie dieses bunte Gewirr mit stetem Rückblick auf
die Gegenwart; so spannen sich die Fäden ihrer Ideen in den vergangenen
Jahrhunderten um, und jeder neue Augenblick war gleichsam nur die erfüllte
PropKezeihung des längst verflossenen. Mit Körner gemeinschaftlich wollte er
eine Geschichte der Fronde schreiben, und die Charakteristik des Cardinal Netz er¬
schien auch wirklich in Schillers historischem Kalender auf das Jahr 1792 (der¬
selbe enthielt von Huber: Kurfürst Maximilian von Bayern). Schillers Beispiel
hatte ihn zum Drama getrieben, es leitete ihn auch auf dem neuen Gebiet.
Indem er Vorstudien zur Geschichte der Fronde machte, las er die niederlän¬
dische Verschwörung sehr eifrig, um sich das Verhältniß seines eignen künstlerischen
Standpunkts zu dem Schillers klar zu machen. In derselben Zeit (Dec. 1788)
las er Friedrichs lüstoiis cle mon tLinzzs: "Sie hat mir schmerzliche Empfindun¬
gen gemacht, weil sie einen großen Mann so unendlich verkleinert. Die Anti¬
thesen, die Witzeleien sind so unwürdig, die Schildereien der Höfe so klein,
ja in dem 'Geschmack etwa von Briefen einer witzigen Hofdame; so gar nichts
von der Simplicität, von dem genügenden Selbstgefühl eines großen Mannes."
Man möchte den Schluß ziehn, daß seine Handlungen nur groß waren, aber
nicht groß gedacht." "Dieser Blick in die Seelenoperationen, deren Folgen
jene Handlungen waren, erkältet mein Ideal, und so geht es uns am Ende
ziemlich mit allen Helden; bei dem Jdealisiren ekelt es uns doch vor einer
Art historischer Grandisonade; wir lernen begreifen, warum gute historische
Köpfe Begebenheiten und nicht Helden geschildert, warum sie nur die Resultate
menschlicher Anstrengung auf der einen und des Zufalls auf der andern Seite,
wie sie waren, genommen und aufgezeichnet haben, ohne sich zu bekümmern,
wie viel dem einen und wie viel dem andern angehört." Aber auf diese
Unbefangenheit "müßten wir Verzicht thun, die wir in das Land der Geschichte
reisen aber nicht da uns niederlassen wollen: dem Historiker von Profession
ist die Geschichte eheliche Liebe; wir sind LibertiUs, die nach minqis ne c-axiieo
jagen." "Die Jdealisirung ist jetzt noch dein Steckenpferd, blos.weil du noch
keine ausgeführt hast; du würdest es bald satt werden, wenn du es ernsthaft
rittest. Alsdann sucht man eine andre durchgreifende Idee, und diese ist eben
das Fatum (Schiller), Zufall, Vorsehung, oder wie man es nennen will.
Aber diese Ressource wird noch eher ekelhaft. Es kann nur für sehr kurze Zeit
kitzeln, den Glauben an menschliche Selbststündigkeir in sich und andern zu
zerstören; die Ausdrücke der Verwunderung über die bunten Combinationen
des Zufalls gehn einem bald aus, und am Ende findet man sich in einer
Welt voll Getümmel und Bewegung ganz leer und einsam." "In der Fronde


bald er es einmal unternommen. Duclos veranlaßte ihn zu einer unglaub¬
lichen Menge von Lcctüren, er studirte sich mit Forster in den Geist der fran¬
zösischen Geschichte, besonders der letzten Jahrhunderte ein. Von den Zeiten
der Liga an durchgrübelten sie dieses bunte Gewirr mit stetem Rückblick auf
die Gegenwart; so spannen sich die Fäden ihrer Ideen in den vergangenen
Jahrhunderten um, und jeder neue Augenblick war gleichsam nur die erfüllte
PropKezeihung des längst verflossenen. Mit Körner gemeinschaftlich wollte er
eine Geschichte der Fronde schreiben, und die Charakteristik des Cardinal Netz er¬
schien auch wirklich in Schillers historischem Kalender auf das Jahr 1792 (der¬
selbe enthielt von Huber: Kurfürst Maximilian von Bayern). Schillers Beispiel
hatte ihn zum Drama getrieben, es leitete ihn auch auf dem neuen Gebiet.
Indem er Vorstudien zur Geschichte der Fronde machte, las er die niederlän¬
dische Verschwörung sehr eifrig, um sich das Verhältniß seines eignen künstlerischen
Standpunkts zu dem Schillers klar zu machen. In derselben Zeit (Dec. 1788)
las er Friedrichs lüstoiis cle mon tLinzzs: „Sie hat mir schmerzliche Empfindun¬
gen gemacht, weil sie einen großen Mann so unendlich verkleinert. Die Anti¬
thesen, die Witzeleien sind so unwürdig, die Schildereien der Höfe so klein,
ja in dem 'Geschmack etwa von Briefen einer witzigen Hofdame; so gar nichts
von der Simplicität, von dem genügenden Selbstgefühl eines großen Mannes."
Man möchte den Schluß ziehn, daß seine Handlungen nur groß waren, aber
nicht groß gedacht." „Dieser Blick in die Seelenoperationen, deren Folgen
jene Handlungen waren, erkältet mein Ideal, und so geht es uns am Ende
ziemlich mit allen Helden; bei dem Jdealisiren ekelt es uns doch vor einer
Art historischer Grandisonade; wir lernen begreifen, warum gute historische
Köpfe Begebenheiten und nicht Helden geschildert, warum sie nur die Resultate
menschlicher Anstrengung auf der einen und des Zufalls auf der andern Seite,
wie sie waren, genommen und aufgezeichnet haben, ohne sich zu bekümmern,
wie viel dem einen und wie viel dem andern angehört." Aber auf diese
Unbefangenheit „müßten wir Verzicht thun, die wir in das Land der Geschichte
reisen aber nicht da uns niederlassen wollen: dem Historiker von Profession
ist die Geschichte eheliche Liebe; wir sind LibertiUs, die nach minqis ne c-axiieo
jagen." „Die Jdealisirung ist jetzt noch dein Steckenpferd, blos.weil du noch
keine ausgeführt hast; du würdest es bald satt werden, wenn du es ernsthaft
rittest. Alsdann sucht man eine andre durchgreifende Idee, und diese ist eben
das Fatum (Schiller), Zufall, Vorsehung, oder wie man es nennen will.
Aber diese Ressource wird noch eher ekelhaft. Es kann nur für sehr kurze Zeit
kitzeln, den Glauben an menschliche Selbststündigkeir in sich und andern zu
zerstören; die Ausdrücke der Verwunderung über die bunten Combinationen
des Zufalls gehn einem bald aus, und am Ende findet man sich in einer
Welt voll Getümmel und Bewegung ganz leer und einsam." „In der Fronde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/228>, abgerufen am 22.12.2024.