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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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nun auch Christen bisweilen ihren Vortheil verstanden und Geld auf Zinsen
geliehen haben, so war doch der Wucher das eigentliche Geschäft der Juden.
Durch die Gebote der Kirche und des kanonischen Rechts nicht eingeschränkt,
durften sie, da ohne Darlehen kein Leben und kein Verkehr möglich ist, ruhig
das thun, was dem Christen die Kirche als Sünde verbot. Der Jude darf
Zinsen, aber keinen übermäßigen Wucher nehmen, welcher des Schuldners
Vermögen in kurzer Zeit aufzehrt; der Zinswucher ist sein Privileg, welches
ihn für die sonstige Zurücksetzung entschädigt und auch seitdem dem Christen
gleichfalls Zinsen gestattet waren, durste der Jude aus diesem Grunde mehr
Zinsen nehmen, als jener.

War schon bei der Pacht, dem Nentent'auf und andern Rentengeschüften
des Mittelalters die Rente sehr hoch im Verhältniß zum Capital, ost zwanzig,
meistens zehn Procent, so war die Höhe der Zinsen bei Darlehen noch um
ein sehr beträchtliches höher und artete für den Schuldner zu der verderblichsten
Plage aus. Sie erschien nicht so groß, weil kleinere Darlehen meistens auf
kurze Zeit gegeben und die Zinsen wöchentlich gezahlt wurden; indem man
aber die Zinsen zum Capital schlug, wuchs die Schuld nicht selten zu einer
erstaunlichen und sür den Schuldner sehr verderblichen Höhe. Bei dem Man"
gel an gesetzlichen Bestimmungen über das erlaubte Maß der Zinsen waren
die Schuldner rettungslos den Juden verfallen und konnten nur durch Wider¬
rechtlichkeiten, wie jene erwähnten kaiserlichen und landesherrliche Erlasse, von
Schulden und Zinsen Erleichterung finden. Fünfundfiebenzig Procent, fünfzig
Procent jährliche Zinsen gehören durchaus nicht zu den Seltenheiten. Wir
führen als Beispiel einen recht drückenden Vertrag an. Es verpfändet je¬
mand seinen Hof für eine bestimmte Summe, verspricht Zinsen, welche etwa
hundertdreißig Procent ausmachen würden, und verabredet außerdem, daß wenn
die aufgelaufenen Zinsen das Capital erreichen, d. h. also nach neun Monaten,
der Jude den Hof als sein Eigenthum behalten und für die übrige Schuld
das sonstige Vermögen des Schuldners angreifen dürfe. Erst spät trat die
Gesetzgebung dem unbeschränkten Wucher gegenüber und setzte einen Zinsfuß
fest, welcher aber im Verhältniß zu dem heutigen als enorm bezeichnet werden
muß. Auf dem Städtetage zu Worms wurde im Jahr 1255 beschlossen, daß,
da christliche Wucherer mit Ezcommunicatiou bestraft und zur Restitution der
Zinsen angehalten würden, der Jude von einem Pfund zwei Pfennige Zinsen
wöchentlich nehmen dürfe, d. h. etwa fünfzig Procent jährlich. Demgemäß
wurde der Zinsfuß in vielen Städten Baierns, Oestreichs. Schwabens u. s. W-
durch Gesetz oder Privileg sixirt, nur kam hier meistens hinzu, daß sie von
auswärtigem Schuldnern höhere Zinsen nehmen dürften,, gewöhnlich fünfund¬
sechzig Procent. Auch suchte man zu großen Bedrückungen durch die Vorschrift
vorzubeugen, daß die Schuldbriefe jährlich oder innerhalb einer kurzen Reihe


nun auch Christen bisweilen ihren Vortheil verstanden und Geld auf Zinsen
geliehen haben, so war doch der Wucher das eigentliche Geschäft der Juden.
Durch die Gebote der Kirche und des kanonischen Rechts nicht eingeschränkt,
durften sie, da ohne Darlehen kein Leben und kein Verkehr möglich ist, ruhig
das thun, was dem Christen die Kirche als Sünde verbot. Der Jude darf
Zinsen, aber keinen übermäßigen Wucher nehmen, welcher des Schuldners
Vermögen in kurzer Zeit aufzehrt; der Zinswucher ist sein Privileg, welches
ihn für die sonstige Zurücksetzung entschädigt und auch seitdem dem Christen
gleichfalls Zinsen gestattet waren, durste der Jude aus diesem Grunde mehr
Zinsen nehmen, als jener.

War schon bei der Pacht, dem Nentent'auf und andern Rentengeschüften
des Mittelalters die Rente sehr hoch im Verhältniß zum Capital, ost zwanzig,
meistens zehn Procent, so war die Höhe der Zinsen bei Darlehen noch um
ein sehr beträchtliches höher und artete für den Schuldner zu der verderblichsten
Plage aus. Sie erschien nicht so groß, weil kleinere Darlehen meistens auf
kurze Zeit gegeben und die Zinsen wöchentlich gezahlt wurden; indem man
aber die Zinsen zum Capital schlug, wuchs die Schuld nicht selten zu einer
erstaunlichen und sür den Schuldner sehr verderblichen Höhe. Bei dem Man«
gel an gesetzlichen Bestimmungen über das erlaubte Maß der Zinsen waren
die Schuldner rettungslos den Juden verfallen und konnten nur durch Wider¬
rechtlichkeiten, wie jene erwähnten kaiserlichen und landesherrliche Erlasse, von
Schulden und Zinsen Erleichterung finden. Fünfundfiebenzig Procent, fünfzig
Procent jährliche Zinsen gehören durchaus nicht zu den Seltenheiten. Wir
führen als Beispiel einen recht drückenden Vertrag an. Es verpfändet je¬
mand seinen Hof für eine bestimmte Summe, verspricht Zinsen, welche etwa
hundertdreißig Procent ausmachen würden, und verabredet außerdem, daß wenn
die aufgelaufenen Zinsen das Capital erreichen, d. h. also nach neun Monaten,
der Jude den Hof als sein Eigenthum behalten und für die übrige Schuld
das sonstige Vermögen des Schuldners angreifen dürfe. Erst spät trat die
Gesetzgebung dem unbeschränkten Wucher gegenüber und setzte einen Zinsfuß
fest, welcher aber im Verhältniß zu dem heutigen als enorm bezeichnet werden
muß. Auf dem Städtetage zu Worms wurde im Jahr 1255 beschlossen, daß,
da christliche Wucherer mit Ezcommunicatiou bestraft und zur Restitution der
Zinsen angehalten würden, der Jude von einem Pfund zwei Pfennige Zinsen
wöchentlich nehmen dürfe, d. h. etwa fünfzig Procent jährlich. Demgemäß
wurde der Zinsfuß in vielen Städten Baierns, Oestreichs. Schwabens u. s. W-
durch Gesetz oder Privileg sixirt, nur kam hier meistens hinzu, daß sie von
auswärtigem Schuldnern höhere Zinsen nehmen dürften,, gewöhnlich fünfund¬
sechzig Procent. Auch suchte man zu großen Bedrückungen durch die Vorschrift
vorzubeugen, daß die Schuldbriefe jährlich oder innerhalb einer kurzen Reihe


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[0146] nun auch Christen bisweilen ihren Vortheil verstanden und Geld auf Zinsen geliehen haben, so war doch der Wucher das eigentliche Geschäft der Juden. Durch die Gebote der Kirche und des kanonischen Rechts nicht eingeschränkt, durften sie, da ohne Darlehen kein Leben und kein Verkehr möglich ist, ruhig das thun, was dem Christen die Kirche als Sünde verbot. Der Jude darf Zinsen, aber keinen übermäßigen Wucher nehmen, welcher des Schuldners Vermögen in kurzer Zeit aufzehrt; der Zinswucher ist sein Privileg, welches ihn für die sonstige Zurücksetzung entschädigt und auch seitdem dem Christen gleichfalls Zinsen gestattet waren, durste der Jude aus diesem Grunde mehr Zinsen nehmen, als jener. War schon bei der Pacht, dem Nentent'auf und andern Rentengeschüften des Mittelalters die Rente sehr hoch im Verhältniß zum Capital, ost zwanzig, meistens zehn Procent, so war die Höhe der Zinsen bei Darlehen noch um ein sehr beträchtliches höher und artete für den Schuldner zu der verderblichsten Plage aus. Sie erschien nicht so groß, weil kleinere Darlehen meistens auf kurze Zeit gegeben und die Zinsen wöchentlich gezahlt wurden; indem man aber die Zinsen zum Capital schlug, wuchs die Schuld nicht selten zu einer erstaunlichen und sür den Schuldner sehr verderblichen Höhe. Bei dem Man« gel an gesetzlichen Bestimmungen über das erlaubte Maß der Zinsen waren die Schuldner rettungslos den Juden verfallen und konnten nur durch Wider¬ rechtlichkeiten, wie jene erwähnten kaiserlichen und landesherrliche Erlasse, von Schulden und Zinsen Erleichterung finden. Fünfundfiebenzig Procent, fünfzig Procent jährliche Zinsen gehören durchaus nicht zu den Seltenheiten. Wir führen als Beispiel einen recht drückenden Vertrag an. Es verpfändet je¬ mand seinen Hof für eine bestimmte Summe, verspricht Zinsen, welche etwa hundertdreißig Procent ausmachen würden, und verabredet außerdem, daß wenn die aufgelaufenen Zinsen das Capital erreichen, d. h. also nach neun Monaten, der Jude den Hof als sein Eigenthum behalten und für die übrige Schuld das sonstige Vermögen des Schuldners angreifen dürfe. Erst spät trat die Gesetzgebung dem unbeschränkten Wucher gegenüber und setzte einen Zinsfuß fest, welcher aber im Verhältniß zu dem heutigen als enorm bezeichnet werden muß. Auf dem Städtetage zu Worms wurde im Jahr 1255 beschlossen, daß, da christliche Wucherer mit Ezcommunicatiou bestraft und zur Restitution der Zinsen angehalten würden, der Jude von einem Pfund zwei Pfennige Zinsen wöchentlich nehmen dürfe, d. h. etwa fünfzig Procent jährlich. Demgemäß wurde der Zinsfuß in vielen Städten Baierns, Oestreichs. Schwabens u. s. W- durch Gesetz oder Privileg sixirt, nur kam hier meistens hinzu, daß sie von auswärtigem Schuldnern höhere Zinsen nehmen dürften,, gewöhnlich fünfund¬ sechzig Procent. Auch suchte man zu großen Bedrückungen durch die Vorschrift vorzubeugen, daß die Schuldbriefe jährlich oder innerhalb einer kurzen Reihe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/146>, abgerufen am 22.12.2024.