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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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von Jahren zu erneuern seien, um in Kraft zu bleiben: man gedachte so dem
verborgenen Ansammeln von Zinsen und Zinseszinsen zu begegnen.

Natürlich wurde auf diesem Wege der Hilflosigkeit armer Schuldner nicht
abgeholfen und man griff jetzt zu radikaleren Mitteln, durch welche man allerdings
den Juden schadete, aber das Uebel, welches in den socialen Gesammtverhält-
nissen seinen Grund hatte, nicht beseitigte. Man vertrieb die JuiM, sah
sich aber bald nach einigen Jahren wieder genöthigt, sie bei sich aufzunehmen,
oder man versagte ihnen ganz und gar, Geld auf Zinsen auszuleihen. Die
Reichspolizeiordnung von 1577 bestimmte endlich auch für die Juden den Zins¬
fuß auf fünf Procent.

Abgesehen von dem Wucher bei kleinen Darlehen mit dem Versprechen
wöchentlicher Zinsen, streckten die Juden auch den Kaisern, Landesherrn u. s. w.
große Geldsummen vor, bei welchen sie sich jährliche Zinsen versprechen und
bedeutende Unterpfänder geben ließen^ War der Geldbeutel der hohen Herrn
erschöpft, so machten sie bei den Juden große Anleihen, welche zu derartigen
ausgedehnteren Geschäften in Compagnien zusammentraten. So verpfändete
z. B. König Ludwig im Jahr 1315 die Stadt München auf sechs Jahr an einige
Juden, d. h. ertheilte diesen das Recht, für diese Zeit die Einkünfte aus der
Stadt zu beziehen, welche sonst in des Königs Kammer flössen. In demselben
Jahr verbürgt sich die Stadt Eßlingen sür die Summe, welche der König
den Juden zu Ueberlingen schuldig ist. Der Nheingraf bat im Jahr 1296
den König Adolph, einen Zoll, welchen er vom'Reich zu Lehen hat, an einen
Juden aus Oppenheim für dreihundert Mark auf sechs Jahr verpfänden zu
dürfen. Der Herr 'von Limburg verpfändet im Jahr 1316 an zwei Juden
aus Wesel seine Burgmänner, Schöffen und Bürger zu Limburg, welche also
Mit ihrem gesammten Vermögen für die Schuld verhaftet sind. Eine solche
Verpfändung von Einkünften hatte bald den Sinn, daß die Juden aus ihnen
sich sür die Schuld und Zinsen bezahlt machten, bald daß die Einkünfte statt
der Zinsen erhoben wurden. Aber auch kostbare bewegliche Gegenstünde wur¬
den verpfändet; so lieh der Erzbischof von Mainz die Kleinodien vom Dom¬
capitel und ließ sich darauf von zwei Mainzer Juden ein Darlehn von 1160
Gulden auszahlen.

Da sie überhaupt im Mittelalter die Finanzmänner waren, so übertrugen
ihnen häusig Kaiser und Landesherrn die Einkassirung von Steuern, und zwar
nicht blos der von den Juden, sondern auch der überhaupt von einem Bezirk
aufzubringenden Abgaben. Wegen ihres Reichthums, ihrer Kenntniß der Hilfs¬
quellen, ihrer Gewandtheit in der Ueberwindung schwieriger Verhältnisse, aber
auch wegen ihrer geringern Scheu vor krummen Wegen und der öffentlichen
Meinung wußten sie das Vertrauen der Großen und eine einflußreiche Stel¬
lung zu gewinnen. In Polen und Ungarn wurden sie mit der Verwaltung


Grenzboten II. 18S9. 18

von Jahren zu erneuern seien, um in Kraft zu bleiben: man gedachte so dem
verborgenen Ansammeln von Zinsen und Zinseszinsen zu begegnen.

Natürlich wurde auf diesem Wege der Hilflosigkeit armer Schuldner nicht
abgeholfen und man griff jetzt zu radikaleren Mitteln, durch welche man allerdings
den Juden schadete, aber das Uebel, welches in den socialen Gesammtverhält-
nissen seinen Grund hatte, nicht beseitigte. Man vertrieb die JuiM, sah
sich aber bald nach einigen Jahren wieder genöthigt, sie bei sich aufzunehmen,
oder man versagte ihnen ganz und gar, Geld auf Zinsen auszuleihen. Die
Reichspolizeiordnung von 1577 bestimmte endlich auch für die Juden den Zins¬
fuß auf fünf Procent.

Abgesehen von dem Wucher bei kleinen Darlehen mit dem Versprechen
wöchentlicher Zinsen, streckten die Juden auch den Kaisern, Landesherrn u. s. w.
große Geldsummen vor, bei welchen sie sich jährliche Zinsen versprechen und
bedeutende Unterpfänder geben ließen^ War der Geldbeutel der hohen Herrn
erschöpft, so machten sie bei den Juden große Anleihen, welche zu derartigen
ausgedehnteren Geschäften in Compagnien zusammentraten. So verpfändete
z. B. König Ludwig im Jahr 1315 die Stadt München auf sechs Jahr an einige
Juden, d. h. ertheilte diesen das Recht, für diese Zeit die Einkünfte aus der
Stadt zu beziehen, welche sonst in des Königs Kammer flössen. In demselben
Jahr verbürgt sich die Stadt Eßlingen sür die Summe, welche der König
den Juden zu Ueberlingen schuldig ist. Der Nheingraf bat im Jahr 1296
den König Adolph, einen Zoll, welchen er vom'Reich zu Lehen hat, an einen
Juden aus Oppenheim für dreihundert Mark auf sechs Jahr verpfänden zu
dürfen. Der Herr 'von Limburg verpfändet im Jahr 1316 an zwei Juden
aus Wesel seine Burgmänner, Schöffen und Bürger zu Limburg, welche also
Mit ihrem gesammten Vermögen für die Schuld verhaftet sind. Eine solche
Verpfändung von Einkünften hatte bald den Sinn, daß die Juden aus ihnen
sich sür die Schuld und Zinsen bezahlt machten, bald daß die Einkünfte statt
der Zinsen erhoben wurden. Aber auch kostbare bewegliche Gegenstünde wur¬
den verpfändet; so lieh der Erzbischof von Mainz die Kleinodien vom Dom¬
capitel und ließ sich darauf von zwei Mainzer Juden ein Darlehn von 1160
Gulden auszahlen.

Da sie überhaupt im Mittelalter die Finanzmänner waren, so übertrugen
ihnen häusig Kaiser und Landesherrn die Einkassirung von Steuern, und zwar
nicht blos der von den Juden, sondern auch der überhaupt von einem Bezirk
aufzubringenden Abgaben. Wegen ihres Reichthums, ihrer Kenntniß der Hilfs¬
quellen, ihrer Gewandtheit in der Ueberwindung schwieriger Verhältnisse, aber
auch wegen ihrer geringern Scheu vor krummen Wegen und der öffentlichen
Meinung wußten sie das Vertrauen der Großen und eine einflußreiche Stel¬
lung zu gewinnen. In Polen und Ungarn wurden sie mit der Verwaltung


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[0147] von Jahren zu erneuern seien, um in Kraft zu bleiben: man gedachte so dem verborgenen Ansammeln von Zinsen und Zinseszinsen zu begegnen. Natürlich wurde auf diesem Wege der Hilflosigkeit armer Schuldner nicht abgeholfen und man griff jetzt zu radikaleren Mitteln, durch welche man allerdings den Juden schadete, aber das Uebel, welches in den socialen Gesammtverhält- nissen seinen Grund hatte, nicht beseitigte. Man vertrieb die JuiM, sah sich aber bald nach einigen Jahren wieder genöthigt, sie bei sich aufzunehmen, oder man versagte ihnen ganz und gar, Geld auf Zinsen auszuleihen. Die Reichspolizeiordnung von 1577 bestimmte endlich auch für die Juden den Zins¬ fuß auf fünf Procent. Abgesehen von dem Wucher bei kleinen Darlehen mit dem Versprechen wöchentlicher Zinsen, streckten die Juden auch den Kaisern, Landesherrn u. s. w. große Geldsummen vor, bei welchen sie sich jährliche Zinsen versprechen und bedeutende Unterpfänder geben ließen^ War der Geldbeutel der hohen Herrn erschöpft, so machten sie bei den Juden große Anleihen, welche zu derartigen ausgedehnteren Geschäften in Compagnien zusammentraten. So verpfändete z. B. König Ludwig im Jahr 1315 die Stadt München auf sechs Jahr an einige Juden, d. h. ertheilte diesen das Recht, für diese Zeit die Einkünfte aus der Stadt zu beziehen, welche sonst in des Königs Kammer flössen. In demselben Jahr verbürgt sich die Stadt Eßlingen sür die Summe, welche der König den Juden zu Ueberlingen schuldig ist. Der Nheingraf bat im Jahr 1296 den König Adolph, einen Zoll, welchen er vom'Reich zu Lehen hat, an einen Juden aus Oppenheim für dreihundert Mark auf sechs Jahr verpfänden zu dürfen. Der Herr 'von Limburg verpfändet im Jahr 1316 an zwei Juden aus Wesel seine Burgmänner, Schöffen und Bürger zu Limburg, welche also Mit ihrem gesammten Vermögen für die Schuld verhaftet sind. Eine solche Verpfändung von Einkünften hatte bald den Sinn, daß die Juden aus ihnen sich sür die Schuld und Zinsen bezahlt machten, bald daß die Einkünfte statt der Zinsen erhoben wurden. Aber auch kostbare bewegliche Gegenstünde wur¬ den verpfändet; so lieh der Erzbischof von Mainz die Kleinodien vom Dom¬ capitel und ließ sich darauf von zwei Mainzer Juden ein Darlehn von 1160 Gulden auszahlen. Da sie überhaupt im Mittelalter die Finanzmänner waren, so übertrugen ihnen häusig Kaiser und Landesherrn die Einkassirung von Steuern, und zwar nicht blos der von den Juden, sondern auch der überhaupt von einem Bezirk aufzubringenden Abgaben. Wegen ihres Reichthums, ihrer Kenntniß der Hilfs¬ quellen, ihrer Gewandtheit in der Ueberwindung schwieriger Verhältnisse, aber auch wegen ihrer geringern Scheu vor krummen Wegen und der öffentlichen Meinung wußten sie das Vertrauen der Großen und eine einflußreiche Stel¬ lung zu gewinnen. In Polen und Ungarn wurden sie mit der Verwaltung Grenzboten II. 18S9. 18

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/147>, abgerufen am 22.12.2024.