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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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dorthin wieder zurück und werden mit neuen Privilegien ausgestattet; kaum
haben sie all das Ihrige, Capital und Zinsen verloren, so gewinnen sie doch,
da der.Wucher unter den gegebenen Verhältnissen nicht zu umgehen war und
der Creditlosigkeit erst am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts durch die Stiftung
von Pfandleihbanken begegnet wurde, in wenigen Jahren angestrengter Thätigkeit
den ehemaligen Reichthum wieder zurück. Schon durch die Verhältnisse waren
sie auf den Handel angewiesen. Das Handwerk war ihnen verschlossen, da
es bis in die neuere Zeit hinein zünftig war und niemand es ausüben durfte,
als wer in, die Zunft, eine streng abgeschlossene Corporation, ausgenommen
war. Der Erwerb von Ländereien war ihnen durch kein allgemeines Verbot,
sondern nur hier und da untersagt. Wir haben auch Nachrichten, daß Juden
bisweilen Gutsbesitzer waren, aber es scheint, daß sie schon damals den Land¬
bau nicht liebten, sondern das Leben in den Städten vorzogen. Der Handel
war ihr eigentlicher Beruf; allein auch hier unterlagen sie Beschränkungen,
indem ihnen z. B. der Handel mit Nahrungsmitteln, mit Kleidungsstoffen u. s. w.
verboten wurde. Ihre Geschäfte waren zweierlei Art: die Einen betrieben
Schacher, indem sie von einem Ort zum andern herumziehend kleine, werth-
losere Gegenstünde verhandelten. -- sie waren die verachtetste Classe --; die
Andern waren angesessen und machten Geldgeschäfte, wechselten oder liehen
Geld auf Pfänder oder ohne Pfand. Der Wucher ist das Gewerbe, in wel¬
chem sie privilegirt sind, in welchem kein Christ ihnen Concurrenz macheu
durfte; er war die Quelle ihres Reichthums, der Grund ihres Einflusses und
ihrer Unentbehrlichkeit.

Zinsen zu nehmen verbot sowol der Papst, als der Kaiser, das geist¬
liche und das weltliche Recht. Karl der Große sagte: ssuZtum toeims e8t,
<Zui Ämxlius non rehuirit c^ulrm xrac!8eg.t, und die Kirche erklärte es für
Sünde mehr zu nehmen, als man gegeben hat und schloß den Wucherer von
der kirchlichen Gemeinschaft und dem christlichen Begräbniß aus. Dazu kam,
daß der Mangel an persönlichem Credit einfache Darlehen selten zu Stande
kommen ließ. Wer Geld brauchte, erhielt gewöhnlich ein Darlehen nur dann, -
wenn er an einem Grundstück ein Pfandrecht bestellte; von diesem den Nutzen
Zu ziehen, es wie das seinige zu bestellen und so den Ausfall zu decken, wel¬
cher durch das Darlehen erfolgt war, war dem Gläubiger unbedenklich gestat¬
tet. Hatte jemand eidlich die Zahlung von Zinsen angelobt, so war die
casuistisch-sophistische Lehre um ein Auskunftsmittel nicht verlegen, diesen Eid
nichtig zu machen. Wer dem Gläubiger versprach, die gezählten Zinsen nicht
zurückzufordern, soll es dem geistlichen Richter bekannt machen und dieser soll
dann den Gläubiger ebenso richten, als wenn der Schuldner.selbst klagte;
Klagen um Zinsen soll der Richter nicht annehmen; von dem Eide, man
wolle von den Zinsen niemand etwas sagen, absolvirt der Bischof. Mo.gen


dorthin wieder zurück und werden mit neuen Privilegien ausgestattet; kaum
haben sie all das Ihrige, Capital und Zinsen verloren, so gewinnen sie doch,
da der.Wucher unter den gegebenen Verhältnissen nicht zu umgehen war und
der Creditlosigkeit erst am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts durch die Stiftung
von Pfandleihbanken begegnet wurde, in wenigen Jahren angestrengter Thätigkeit
den ehemaligen Reichthum wieder zurück. Schon durch die Verhältnisse waren
sie auf den Handel angewiesen. Das Handwerk war ihnen verschlossen, da
es bis in die neuere Zeit hinein zünftig war und niemand es ausüben durfte,
als wer in, die Zunft, eine streng abgeschlossene Corporation, ausgenommen
war. Der Erwerb von Ländereien war ihnen durch kein allgemeines Verbot,
sondern nur hier und da untersagt. Wir haben auch Nachrichten, daß Juden
bisweilen Gutsbesitzer waren, aber es scheint, daß sie schon damals den Land¬
bau nicht liebten, sondern das Leben in den Städten vorzogen. Der Handel
war ihr eigentlicher Beruf; allein auch hier unterlagen sie Beschränkungen,
indem ihnen z. B. der Handel mit Nahrungsmitteln, mit Kleidungsstoffen u. s. w.
verboten wurde. Ihre Geschäfte waren zweierlei Art: die Einen betrieben
Schacher, indem sie von einem Ort zum andern herumziehend kleine, werth-
losere Gegenstünde verhandelten. — sie waren die verachtetste Classe —; die
Andern waren angesessen und machten Geldgeschäfte, wechselten oder liehen
Geld auf Pfänder oder ohne Pfand. Der Wucher ist das Gewerbe, in wel¬
chem sie privilegirt sind, in welchem kein Christ ihnen Concurrenz macheu
durfte; er war die Quelle ihres Reichthums, der Grund ihres Einflusses und
ihrer Unentbehrlichkeit.

Zinsen zu nehmen verbot sowol der Papst, als der Kaiser, das geist¬
liche und das weltliche Recht. Karl der Große sagte: ssuZtum toeims e8t,
<Zui Ämxlius non rehuirit c^ulrm xrac!8eg.t, und die Kirche erklärte es für
Sünde mehr zu nehmen, als man gegeben hat und schloß den Wucherer von
der kirchlichen Gemeinschaft und dem christlichen Begräbniß aus. Dazu kam,
daß der Mangel an persönlichem Credit einfache Darlehen selten zu Stande
kommen ließ. Wer Geld brauchte, erhielt gewöhnlich ein Darlehen nur dann, -
wenn er an einem Grundstück ein Pfandrecht bestellte; von diesem den Nutzen
Zu ziehen, es wie das seinige zu bestellen und so den Ausfall zu decken, wel¬
cher durch das Darlehen erfolgt war, war dem Gläubiger unbedenklich gestat¬
tet. Hatte jemand eidlich die Zahlung von Zinsen angelobt, so war die
casuistisch-sophistische Lehre um ein Auskunftsmittel nicht verlegen, diesen Eid
nichtig zu machen. Wer dem Gläubiger versprach, die gezählten Zinsen nicht
zurückzufordern, soll es dem geistlichen Richter bekannt machen und dieser soll
dann den Gläubiger ebenso richten, als wenn der Schuldner.selbst klagte;
Klagen um Zinsen soll der Richter nicht annehmen; von dem Eide, man
wolle von den Zinsen niemand etwas sagen, absolvirt der Bischof. Mo.gen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/145>, abgerufen am 22.12.2024.