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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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sagt, daß man dem Juden, welcher einen Eid leistet, einen Kranz von Brom¬
beerstaude um den Hals hängen, seine Knie damit umwinden und eine Brom¬
beerstaude von fünf Ellen Länge mit tüchtigen Dornen zwischen den Hüften
durchziehen solle. Nach dem Schwabenspiegel soll er auf einer Sauhaut
als Schreckmittel -- stehen, die fünf Bücher Mosis vor sich haben und die
reckte Hand in das Buch hineinlegen; anderswo heißt es, er solleinen grauen
Rock auf bloßem Leibe ohne Hemd, ein Paar graue Hosen ohne Vorfüße
tragen, einen spitzen Hut auf dem Kopfe haben und auf einer mit Lammblut
angefeuchteten Haut stehen.

Während der Christ bei dem Eide in einfacher Form Gott zum Zeugen
anruft, wurden für den Juden eigne, dem jüdischen Glauben angepaßte, sehr
ausführliche Formeln mit schrecklichen Verwünschungen ausgearbeitet, von denen
wol die ausführlichste im westgothischcn Gesetzbuch enthalten ist. Karl der Große
schrieb dies Formular vor: "So wahr mir Gott helfe, jener Gott, welcher
Moses'auf dem Berge Sinai das Gesetz gab; möge der Aussatz nicht über
mich kommen, wie er über Naman Siri kam. möge mich nicht die Erde ver¬
schlingen, wie sie Dhatan und Abiron verschlang, ich habe nichts Böses um
dich verdient." Ohne die ausführlichen uns sonst erhaltenen Formulare an¬
führen zu wollen, theile ich nur noch das Eidesformular mit, welches Erzbischof
Konrad ungefähr ums Jahr 1160 für die erfurter Juden in deutscher Sprache
bestimmte: "dessen dich dieser beschuldigt, bist du unschuldig, so dir Gott helfe,
der Gott, der Himmel und Erde schuf, Laub, Blumen und Gras, das vorher
nicht war. Und ob du unrecht schwörst, soll dich die Erde verschlingen, welche
Dhatan und Abiron verschlang. Und ob du unrecht schwörst, soll dich der
Aussatz befallen, der Naman verzehrte und Jezi ergriff. Und ob du unrecht
schwörst, soll dich das Gesetz vertilgen, welches Gott Moses auf dem Berge
Sinai gab. welches Gott selbst mit seinen Fingern ans die steinerne Tafel
schrieb. Und ob du unrecht schwörst, soll dich alle Schrift vernichten, welche
geschrieben steht in den fünf Büchern Moses."

- Trotz aller dieser rechtlichen, Zurücksetzung haben die Juden doch durch
ihren Reichthum einen größern Einfluß und eine hervorragendere Bedeutung
auch im Mittelalter erlangt, als wir nach den vielen Steuern, welchen sie unter¬
worfen waren, und nach der Verachtung, in welcher sie lebten, vielleicht anneh¬
men möchten. Trotz aller Verfolgungen, Bedrückungen und Steuern sind und blei¬
ben die Juden die Reichen; Wohlhabende und Arme mußten in Geldnoth an
sie sich wenden, um Darlehn gegen schwere Zinsen geliehen zu erhalten. Der¬
artige sociale Schäden ließen sich zum Vortheil der Christen weder durch Be¬
drückungen und Vertreibungen der Juden, noch durch polizeiliche Vorschriften
heilen. Was helfen Gesetze, wenn die Gesellschaft krank ist! Kaum waren die
Juden von einem Ort vertrieben, so kehren sie auch schon nach kurzer Zeit


sagt, daß man dem Juden, welcher einen Eid leistet, einen Kranz von Brom¬
beerstaude um den Hals hängen, seine Knie damit umwinden und eine Brom¬
beerstaude von fünf Ellen Länge mit tüchtigen Dornen zwischen den Hüften
durchziehen solle. Nach dem Schwabenspiegel soll er auf einer Sauhaut
als Schreckmittel — stehen, die fünf Bücher Mosis vor sich haben und die
reckte Hand in das Buch hineinlegen; anderswo heißt es, er solleinen grauen
Rock auf bloßem Leibe ohne Hemd, ein Paar graue Hosen ohne Vorfüße
tragen, einen spitzen Hut auf dem Kopfe haben und auf einer mit Lammblut
angefeuchteten Haut stehen.

Während der Christ bei dem Eide in einfacher Form Gott zum Zeugen
anruft, wurden für den Juden eigne, dem jüdischen Glauben angepaßte, sehr
ausführliche Formeln mit schrecklichen Verwünschungen ausgearbeitet, von denen
wol die ausführlichste im westgothischcn Gesetzbuch enthalten ist. Karl der Große
schrieb dies Formular vor: „So wahr mir Gott helfe, jener Gott, welcher
Moses'auf dem Berge Sinai das Gesetz gab; möge der Aussatz nicht über
mich kommen, wie er über Naman Siri kam. möge mich nicht die Erde ver¬
schlingen, wie sie Dhatan und Abiron verschlang, ich habe nichts Böses um
dich verdient." Ohne die ausführlichen uns sonst erhaltenen Formulare an¬
führen zu wollen, theile ich nur noch das Eidesformular mit, welches Erzbischof
Konrad ungefähr ums Jahr 1160 für die erfurter Juden in deutscher Sprache
bestimmte: „dessen dich dieser beschuldigt, bist du unschuldig, so dir Gott helfe,
der Gott, der Himmel und Erde schuf, Laub, Blumen und Gras, das vorher
nicht war. Und ob du unrecht schwörst, soll dich die Erde verschlingen, welche
Dhatan und Abiron verschlang. Und ob du unrecht schwörst, soll dich der
Aussatz befallen, der Naman verzehrte und Jezi ergriff. Und ob du unrecht
schwörst, soll dich das Gesetz vertilgen, welches Gott Moses auf dem Berge
Sinai gab. welches Gott selbst mit seinen Fingern ans die steinerne Tafel
schrieb. Und ob du unrecht schwörst, soll dich alle Schrift vernichten, welche
geschrieben steht in den fünf Büchern Moses."

- Trotz aller dieser rechtlichen, Zurücksetzung haben die Juden doch durch
ihren Reichthum einen größern Einfluß und eine hervorragendere Bedeutung
auch im Mittelalter erlangt, als wir nach den vielen Steuern, welchen sie unter¬
worfen waren, und nach der Verachtung, in welcher sie lebten, vielleicht anneh¬
men möchten. Trotz aller Verfolgungen, Bedrückungen und Steuern sind und blei¬
ben die Juden die Reichen; Wohlhabende und Arme mußten in Geldnoth an
sie sich wenden, um Darlehn gegen schwere Zinsen geliehen zu erhalten. Der¬
artige sociale Schäden ließen sich zum Vortheil der Christen weder durch Be¬
drückungen und Vertreibungen der Juden, noch durch polizeiliche Vorschriften
heilen. Was helfen Gesetze, wenn die Gesellschaft krank ist! Kaum waren die
Juden von einem Ort vertrieben, so kehren sie auch schon nach kurzer Zeit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/144>, abgerufen am 22.12.2024.