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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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wählten sie sich zwölf Rathsleute,-welche zugleich das jüdische Gericht abhielten,
aus ihrer Zahl ernannte der Bischof einen Vorsteher, den Judenbischof. In
vielen Städten standen sie nicht unter der ordentlichen Obrigkeit, dem Bürger¬
meister und Rath, sondern unter besondern landesherrlichen Beamten, z. B.
in Schlesien unter dem Palatinus, in Thüringen unter einem landesherr¬
lichen Rath.

Da man im ältern deutschen Recht das Princip befolgte, daß der Fremde
nicht nach dem Landesrecht, sondern nach dem Recht seines Volks beurtheilt
werde, so ließ man auch den Juden, welche immer Fremde, immer Angehörige
des jüdischen Volks blieben, den Genuß ihres Rechts.' In ihren Privatrechts-
verhültnissen konnten sie sich des jüdischen Rechts bedienen, Streitigkeiten
untereinander wurden nach jüdischem Recht beurtheilt und, da nur der Jude
das jüdische Recht kennt, auch von Juden als Urtheilern entschieden. Nur
darin herrschte Verschiedenheit, daß dem Gericht bald ein von den Juden ge¬
wählter und von dein Landesherrn bestätigter Jude, bald der Landesherr selbst oder
sein Stellvertreter vorstand. Dies jüdische Gericht und Recht konnte aber nur
da zur Anwendung kommen, wo Juden unter sich einen Streit hatten, z. B.
ein Jude den andern verwundet hatte, oder eine Frage des Erbrechts zu ent¬
scheiden war. Streitigkeiten zwischen Juden und Christen und Verbrechen der
Juden gehörten vor das allgemeine Gericht der Stadt. Allein die Juden
strebten -- und zum Theil mit Glück -- danach, auch wenn sie von einem
Christen beklagt wurden, nur ihrem eignen Gericht zu Recht stehen zu dürfen.
Als der Erzbischof von Köln einmal in großer Geldnoth sich befand, sah er
sich genöthigt, den Juden das Privilegium zu verkaufen, daß Christen, welche
gegen sie Forderungen haben, sich an das Synagogengericht wenden sollten,
von welchem keine weitere Appellation stattfinden dürfe. Bald erhob sich
wegen dieses Privilegs zwischen dem Erzbischof und dein Domcapitel Zwie¬
spalt, welcher nicht eher ein Ende nahm, als bis der Erzbischof das Privileg
zurückgenommen hatte.

Auch was den Proceß, besonders das Beweisverfahren betrifft, bildete
man für die Juden besondere Grundsähe aus. Es war eine allgemeine Regel
des deutschen Rechts, daß jeder nicht blos von seinen Standesgenossen gerich¬
tet, sondern auch nur von ihnen als Zeugen überführt werden dürfe. Da
man nun aber befürchtete, daß der Jude, . welcher einen Christen beklagt,
schwerlich den Beweis mit lauter Christen würde führen können, und es auf
der andern Seite für unwürdig hielt, daß der christliche Kläger den Juden
nur mit jüdischen Zeugen überführen sollte, so ließ man für solche Fälle ein
aus Juden und Christen gemischtes Zeugniß zu. Sodann wandte man gegen
Juden ebenso wie gegen Leibeigne die Tortur als Beweismittel an und bildete
sür sie einen eignen Formalismus des Eides aus. Eine französische Vorschrift


wählten sie sich zwölf Rathsleute,-welche zugleich das jüdische Gericht abhielten,
aus ihrer Zahl ernannte der Bischof einen Vorsteher, den Judenbischof. In
vielen Städten standen sie nicht unter der ordentlichen Obrigkeit, dem Bürger¬
meister und Rath, sondern unter besondern landesherrlichen Beamten, z. B.
in Schlesien unter dem Palatinus, in Thüringen unter einem landesherr¬
lichen Rath.

Da man im ältern deutschen Recht das Princip befolgte, daß der Fremde
nicht nach dem Landesrecht, sondern nach dem Recht seines Volks beurtheilt
werde, so ließ man auch den Juden, welche immer Fremde, immer Angehörige
des jüdischen Volks blieben, den Genuß ihres Rechts.' In ihren Privatrechts-
verhültnissen konnten sie sich des jüdischen Rechts bedienen, Streitigkeiten
untereinander wurden nach jüdischem Recht beurtheilt und, da nur der Jude
das jüdische Recht kennt, auch von Juden als Urtheilern entschieden. Nur
darin herrschte Verschiedenheit, daß dem Gericht bald ein von den Juden ge¬
wählter und von dein Landesherrn bestätigter Jude, bald der Landesherr selbst oder
sein Stellvertreter vorstand. Dies jüdische Gericht und Recht konnte aber nur
da zur Anwendung kommen, wo Juden unter sich einen Streit hatten, z. B.
ein Jude den andern verwundet hatte, oder eine Frage des Erbrechts zu ent¬
scheiden war. Streitigkeiten zwischen Juden und Christen und Verbrechen der
Juden gehörten vor das allgemeine Gericht der Stadt. Allein die Juden
strebten — und zum Theil mit Glück — danach, auch wenn sie von einem
Christen beklagt wurden, nur ihrem eignen Gericht zu Recht stehen zu dürfen.
Als der Erzbischof von Köln einmal in großer Geldnoth sich befand, sah er
sich genöthigt, den Juden das Privilegium zu verkaufen, daß Christen, welche
gegen sie Forderungen haben, sich an das Synagogengericht wenden sollten,
von welchem keine weitere Appellation stattfinden dürfe. Bald erhob sich
wegen dieses Privilegs zwischen dem Erzbischof und dein Domcapitel Zwie¬
spalt, welcher nicht eher ein Ende nahm, als bis der Erzbischof das Privileg
zurückgenommen hatte.

Auch was den Proceß, besonders das Beweisverfahren betrifft, bildete
man für die Juden besondere Grundsähe aus. Es war eine allgemeine Regel
des deutschen Rechts, daß jeder nicht blos von seinen Standesgenossen gerich¬
tet, sondern auch nur von ihnen als Zeugen überführt werden dürfe. Da
man nun aber befürchtete, daß der Jude, . welcher einen Christen beklagt,
schwerlich den Beweis mit lauter Christen würde führen können, und es auf
der andern Seite für unwürdig hielt, daß der christliche Kläger den Juden
nur mit jüdischen Zeugen überführen sollte, so ließ man für solche Fälle ein
aus Juden und Christen gemischtes Zeugniß zu. Sodann wandte man gegen
Juden ebenso wie gegen Leibeigne die Tortur als Beweismittel an und bildete
sür sie einen eignen Formalismus des Eides aus. Eine französische Vorschrift


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[0143] wählten sie sich zwölf Rathsleute,-welche zugleich das jüdische Gericht abhielten, aus ihrer Zahl ernannte der Bischof einen Vorsteher, den Judenbischof. In vielen Städten standen sie nicht unter der ordentlichen Obrigkeit, dem Bürger¬ meister und Rath, sondern unter besondern landesherrlichen Beamten, z. B. in Schlesien unter dem Palatinus, in Thüringen unter einem landesherr¬ lichen Rath. Da man im ältern deutschen Recht das Princip befolgte, daß der Fremde nicht nach dem Landesrecht, sondern nach dem Recht seines Volks beurtheilt werde, so ließ man auch den Juden, welche immer Fremde, immer Angehörige des jüdischen Volks blieben, den Genuß ihres Rechts.' In ihren Privatrechts- verhültnissen konnten sie sich des jüdischen Rechts bedienen, Streitigkeiten untereinander wurden nach jüdischem Recht beurtheilt und, da nur der Jude das jüdische Recht kennt, auch von Juden als Urtheilern entschieden. Nur darin herrschte Verschiedenheit, daß dem Gericht bald ein von den Juden ge¬ wählter und von dein Landesherrn bestätigter Jude, bald der Landesherr selbst oder sein Stellvertreter vorstand. Dies jüdische Gericht und Recht konnte aber nur da zur Anwendung kommen, wo Juden unter sich einen Streit hatten, z. B. ein Jude den andern verwundet hatte, oder eine Frage des Erbrechts zu ent¬ scheiden war. Streitigkeiten zwischen Juden und Christen und Verbrechen der Juden gehörten vor das allgemeine Gericht der Stadt. Allein die Juden strebten — und zum Theil mit Glück — danach, auch wenn sie von einem Christen beklagt wurden, nur ihrem eignen Gericht zu Recht stehen zu dürfen. Als der Erzbischof von Köln einmal in großer Geldnoth sich befand, sah er sich genöthigt, den Juden das Privilegium zu verkaufen, daß Christen, welche gegen sie Forderungen haben, sich an das Synagogengericht wenden sollten, von welchem keine weitere Appellation stattfinden dürfe. Bald erhob sich wegen dieses Privilegs zwischen dem Erzbischof und dein Domcapitel Zwie¬ spalt, welcher nicht eher ein Ende nahm, als bis der Erzbischof das Privileg zurückgenommen hatte. Auch was den Proceß, besonders das Beweisverfahren betrifft, bildete man für die Juden besondere Grundsähe aus. Es war eine allgemeine Regel des deutschen Rechts, daß jeder nicht blos von seinen Standesgenossen gerich¬ tet, sondern auch nur von ihnen als Zeugen überführt werden dürfe. Da man nun aber befürchtete, daß der Jude, . welcher einen Christen beklagt, schwerlich den Beweis mit lauter Christen würde führen können, und es auf der andern Seite für unwürdig hielt, daß der christliche Kläger den Juden nur mit jüdischen Zeugen überführen sollte, so ließ man für solche Fälle ein aus Juden und Christen gemischtes Zeugniß zu. Sodann wandte man gegen Juden ebenso wie gegen Leibeigne die Tortur als Beweismittel an und bildete sür sie einen eignen Formalismus des Eides aus. Eine französische Vorschrift

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/143>, abgerufen am 22.12.2024.