Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

das Kind der Mutter heimlich entrücken könnte. Diese Hebamme begleiteten
freiwillig etliche kühne christliche Matronen. Als Anführerin die durch männ¬
liche Gottseligkeit allbekannte Ludmilla, Gemahlin des in Wasser und Blut
getauften Wenzeslaus Wymbrsky, Ihr Ehemann Wenzeslaus war mit dieser
Ehefrau und fünf Kindern von Sr. Eminenz dem Cardinal und Erzbischof
von Prag 1464 in unserer Kirche getauft worden. Es war der tobenden
Judenschaft überaus mißfällig, daß dreizehn Mann aus anderen Geschlechtern dem
Beispiel des Wenzeslaus folgend, in demselben Jahre das Judenthum ab¬
geschworen hatten. Endlich kam ihnen unerträglich vor. daß Wenzeslaus in
seinem Kaufladen, bei dem viele Juden täglich auf ihren Tandelmarkt vor¬
beigehen mußten, das Bildniß des gekreuzigten Heilandes öffentlich ausstellte
und jeden Freitag davor eine brennende Ampel unterhielt. Deshalb war er
dem Judengeschmeiß höchst verhaßt und wurde oft mit Schmach und Spott¬
reden angefallen. Als er nun einst seiner täglichen Gewohnheit gemäß eine
Stunde vor Tage in die Tcynkirche ging, wohin ihm sein Bedienter vorleuch-
tete, fielen ihn drei bewaffnete Juden an, von denen er mit zwei vergifteten
Pistolkugeln tödtlich verwundet wurde, so daß er am fünften Tag darauf gott¬
selig sein Ende nahm, nachdem er nicht zu bewegen gewesen war, die Mörder
nahmhast zu machen. Der Rädelsführer derselben wurde später ertappt und
zum Rad verdammt, brachte aber, als sein eigener Henker, sich selbst durch
den Strick um. Des Getödteten Witwe, Ludmilla, war mit dem Häuflein der
gottseliger Frauen, nun nicht im Stande, sich zu der jüdischen Kindbettin unver¬
merkt einzuschleichen, weil die Hebräer mit ihren scharfen Luchsaugen genau
aufpaßten. Im Augenblick rotteten sich viele derselben zusammen und drängten
sich mit in das Zimmer der jüdischen Sechswöchnerin. Es ließ sich aber Lud¬
milla durch ihre Anwesenheit und die mögliche Todesgefahr nicht abschrecken.
Sie überreichte das mitgebrachte Weihwasser der christlichen Hebamme, und
forderte sie mit kräftigen Worten auf. die Mutter zu entbinden und das Kind
zu taufen. Die Sache ging an. Die Hebamme erwischte das Kind und
taufte das Neugeborne. Die Kindbettin aber sprang rasend aus dem Bette
und riß ihr das Kind mit heftigem Geschrei gewaltthätig aus den Händen.
Sofort fand sich der Stadtrichter mit bewaffneten Männern ein. um das nun¬
mehr christliche Söhnlein von der Mutter abzusondern. Da aber diese gleich¬
sam rasend das Kind so fest in ihren Armen umschlossen hielt, daß man zu
besorgen hatte, es möchte eher erdrückt, als ihr entwunden werden , begnügte
sich der verständige Siadtrichter damit, den versammelten ältern Juden streng
zu verbieten, daß sie idas Kind nicht zum Juden machten. Darauf wurde
durch Se. Excellenz, Hrn. Reichsgrafen von Sternberg, Oberst-Burggrafen
des Königreiches Böhmen geboten, daß dieses fünfte Kind dem Vater aus¬
gehändigt werden sollte. Nicht lange darnach ergab sich auch die dem


das Kind der Mutter heimlich entrücken könnte. Diese Hebamme begleiteten
freiwillig etliche kühne christliche Matronen. Als Anführerin die durch männ¬
liche Gottseligkeit allbekannte Ludmilla, Gemahlin des in Wasser und Blut
getauften Wenzeslaus Wymbrsky, Ihr Ehemann Wenzeslaus war mit dieser
Ehefrau und fünf Kindern von Sr. Eminenz dem Cardinal und Erzbischof
von Prag 1464 in unserer Kirche getauft worden. Es war der tobenden
Judenschaft überaus mißfällig, daß dreizehn Mann aus anderen Geschlechtern dem
Beispiel des Wenzeslaus folgend, in demselben Jahre das Judenthum ab¬
geschworen hatten. Endlich kam ihnen unerträglich vor. daß Wenzeslaus in
seinem Kaufladen, bei dem viele Juden täglich auf ihren Tandelmarkt vor¬
beigehen mußten, das Bildniß des gekreuzigten Heilandes öffentlich ausstellte
und jeden Freitag davor eine brennende Ampel unterhielt. Deshalb war er
dem Judengeschmeiß höchst verhaßt und wurde oft mit Schmach und Spott¬
reden angefallen. Als er nun einst seiner täglichen Gewohnheit gemäß eine
Stunde vor Tage in die Tcynkirche ging, wohin ihm sein Bedienter vorleuch-
tete, fielen ihn drei bewaffnete Juden an, von denen er mit zwei vergifteten
Pistolkugeln tödtlich verwundet wurde, so daß er am fünften Tag darauf gott¬
selig sein Ende nahm, nachdem er nicht zu bewegen gewesen war, die Mörder
nahmhast zu machen. Der Rädelsführer derselben wurde später ertappt und
zum Rad verdammt, brachte aber, als sein eigener Henker, sich selbst durch
den Strick um. Des Getödteten Witwe, Ludmilla, war mit dem Häuflein der
gottseliger Frauen, nun nicht im Stande, sich zu der jüdischen Kindbettin unver¬
merkt einzuschleichen, weil die Hebräer mit ihren scharfen Luchsaugen genau
aufpaßten. Im Augenblick rotteten sich viele derselben zusammen und drängten
sich mit in das Zimmer der jüdischen Sechswöchnerin. Es ließ sich aber Lud¬
milla durch ihre Anwesenheit und die mögliche Todesgefahr nicht abschrecken.
Sie überreichte das mitgebrachte Weihwasser der christlichen Hebamme, und
forderte sie mit kräftigen Worten auf. die Mutter zu entbinden und das Kind
zu taufen. Die Sache ging an. Die Hebamme erwischte das Kind und
taufte das Neugeborne. Die Kindbettin aber sprang rasend aus dem Bette
und riß ihr das Kind mit heftigem Geschrei gewaltthätig aus den Händen.
Sofort fand sich der Stadtrichter mit bewaffneten Männern ein. um das nun¬
mehr christliche Söhnlein von der Mutter abzusondern. Da aber diese gleich¬
sam rasend das Kind so fest in ihren Armen umschlossen hielt, daß man zu
besorgen hatte, es möchte eher erdrückt, als ihr entwunden werden , begnügte
sich der verständige Siadtrichter damit, den versammelten ältern Juden streng
zu verbieten, daß sie idas Kind nicht zum Juden machten. Darauf wurde
durch Se. Excellenz, Hrn. Reichsgrafen von Sternberg, Oberst-Burggrafen
des Königreiches Böhmen geboten, daß dieses fünfte Kind dem Vater aus¬
gehändigt werden sollte. Nicht lange darnach ergab sich auch die dem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0454" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266263"/>
            <p xml:id="ID_1302" prev="#ID_1301" next="#ID_1303"> das Kind der Mutter heimlich entrücken könnte.  Diese Hebamme begleiteten<lb/>
freiwillig etliche kühne christliche Matronen.  Als Anführerin die durch männ¬<lb/>
liche Gottseligkeit allbekannte Ludmilla, Gemahlin des in Wasser und Blut<lb/>
getauften Wenzeslaus Wymbrsky,  Ihr Ehemann Wenzeslaus war mit dieser<lb/>
Ehefrau und fünf Kindern von Sr. Eminenz dem Cardinal und Erzbischof<lb/>
von Prag 1464 in unserer Kirche getauft worden.  Es war der tobenden<lb/>
Judenschaft überaus mißfällig, daß dreizehn Mann aus anderen Geschlechtern dem<lb/>
Beispiel des Wenzeslaus folgend, in demselben Jahre das Judenthum ab¬<lb/>
geschworen hatten.  Endlich kam ihnen unerträglich vor. daß Wenzeslaus in<lb/>
seinem Kaufladen, bei dem viele Juden täglich auf ihren Tandelmarkt vor¬<lb/>
beigehen mußten, das Bildniß des gekreuzigten Heilandes öffentlich ausstellte<lb/>
und jeden Freitag davor eine brennende Ampel unterhielt. Deshalb war er<lb/>
dem Judengeschmeiß höchst verhaßt und wurde oft mit Schmach und Spott¬<lb/>
reden angefallen.  Als er nun einst seiner täglichen Gewohnheit gemäß eine<lb/>
Stunde vor Tage in die Tcynkirche ging, wohin ihm sein Bedienter vorleuch-<lb/>
tete, fielen ihn drei bewaffnete Juden an, von denen er mit zwei vergifteten<lb/>
Pistolkugeln tödtlich verwundet wurde, so daß er am fünften Tag darauf gott¬<lb/>
selig sein Ende nahm, nachdem er nicht zu bewegen gewesen war, die Mörder<lb/>
nahmhast zu machen.  Der Rädelsführer derselben wurde später ertappt und<lb/>
zum Rad verdammt, brachte aber, als sein eigener Henker, sich selbst durch<lb/>
den Strick um. Des Getödteten Witwe, Ludmilla, war mit dem Häuflein der<lb/>
gottseliger Frauen, nun nicht im Stande, sich zu der jüdischen Kindbettin unver¬<lb/>
merkt einzuschleichen, weil die Hebräer mit ihren scharfen Luchsaugen genau<lb/>
aufpaßten. Im Augenblick rotteten sich viele derselben zusammen und drängten<lb/>
sich mit in das Zimmer der jüdischen Sechswöchnerin.  Es ließ sich aber Lud¬<lb/>
milla durch ihre Anwesenheit und die mögliche Todesgefahr nicht abschrecken.<lb/>
Sie überreichte das mitgebrachte Weihwasser der christlichen Hebamme, und<lb/>
forderte sie mit kräftigen Worten auf. die Mutter zu entbinden und das Kind<lb/>
zu taufen.  Die Sache ging an.  Die Hebamme erwischte das Kind und<lb/>
taufte das Neugeborne.  Die Kindbettin aber sprang rasend aus dem Bette<lb/>
und riß ihr das Kind mit heftigem Geschrei gewaltthätig aus den Händen.<lb/>
Sofort fand sich der Stadtrichter mit bewaffneten Männern ein. um das nun¬<lb/>
mehr christliche Söhnlein von der Mutter abzusondern. Da aber diese gleich¬<lb/>
sam rasend das Kind so fest in ihren Armen umschlossen hielt, daß man zu<lb/>
besorgen hatte, es möchte eher erdrückt, als ihr entwunden werden , begnügte<lb/>
sich der verständige Siadtrichter damit, den versammelten ältern Juden streng<lb/>
zu verbieten, daß sie idas Kind nicht zum Juden machten. Darauf wurde<lb/>
durch Se. Excellenz, Hrn. Reichsgrafen von Sternberg, Oberst-Burggrafen<lb/>
des Königreiches Böhmen geboten, daß dieses fünfte Kind dem Vater aus¬<lb/>
gehändigt werden sollte.  Nicht lange darnach ergab sich auch die dem</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0454] das Kind der Mutter heimlich entrücken könnte. Diese Hebamme begleiteten freiwillig etliche kühne christliche Matronen. Als Anführerin die durch männ¬ liche Gottseligkeit allbekannte Ludmilla, Gemahlin des in Wasser und Blut getauften Wenzeslaus Wymbrsky, Ihr Ehemann Wenzeslaus war mit dieser Ehefrau und fünf Kindern von Sr. Eminenz dem Cardinal und Erzbischof von Prag 1464 in unserer Kirche getauft worden. Es war der tobenden Judenschaft überaus mißfällig, daß dreizehn Mann aus anderen Geschlechtern dem Beispiel des Wenzeslaus folgend, in demselben Jahre das Judenthum ab¬ geschworen hatten. Endlich kam ihnen unerträglich vor. daß Wenzeslaus in seinem Kaufladen, bei dem viele Juden täglich auf ihren Tandelmarkt vor¬ beigehen mußten, das Bildniß des gekreuzigten Heilandes öffentlich ausstellte und jeden Freitag davor eine brennende Ampel unterhielt. Deshalb war er dem Judengeschmeiß höchst verhaßt und wurde oft mit Schmach und Spott¬ reden angefallen. Als er nun einst seiner täglichen Gewohnheit gemäß eine Stunde vor Tage in die Tcynkirche ging, wohin ihm sein Bedienter vorleuch- tete, fielen ihn drei bewaffnete Juden an, von denen er mit zwei vergifteten Pistolkugeln tödtlich verwundet wurde, so daß er am fünften Tag darauf gott¬ selig sein Ende nahm, nachdem er nicht zu bewegen gewesen war, die Mörder nahmhast zu machen. Der Rädelsführer derselben wurde später ertappt und zum Rad verdammt, brachte aber, als sein eigener Henker, sich selbst durch den Strick um. Des Getödteten Witwe, Ludmilla, war mit dem Häuflein der gottseliger Frauen, nun nicht im Stande, sich zu der jüdischen Kindbettin unver¬ merkt einzuschleichen, weil die Hebräer mit ihren scharfen Luchsaugen genau aufpaßten. Im Augenblick rotteten sich viele derselben zusammen und drängten sich mit in das Zimmer der jüdischen Sechswöchnerin. Es ließ sich aber Lud¬ milla durch ihre Anwesenheit und die mögliche Todesgefahr nicht abschrecken. Sie überreichte das mitgebrachte Weihwasser der christlichen Hebamme, und forderte sie mit kräftigen Worten auf. die Mutter zu entbinden und das Kind zu taufen. Die Sache ging an. Die Hebamme erwischte das Kind und taufte das Neugeborne. Die Kindbettin aber sprang rasend aus dem Bette und riß ihr das Kind mit heftigem Geschrei gewaltthätig aus den Händen. Sofort fand sich der Stadtrichter mit bewaffneten Männern ein. um das nun¬ mehr christliche Söhnlein von der Mutter abzusondern. Da aber diese gleich¬ sam rasend das Kind so fest in ihren Armen umschlossen hielt, daß man zu besorgen hatte, es möchte eher erdrückt, als ihr entwunden werden , begnügte sich der verständige Siadtrichter damit, den versammelten ältern Juden streng zu verbieten, daß sie idas Kind nicht zum Juden machten. Darauf wurde durch Se. Excellenz, Hrn. Reichsgrafen von Sternberg, Oberst-Burggrafen des Königreiches Böhmen geboten, daß dieses fünfte Kind dem Vater aus¬ gehändigt werden sollte. Nicht lange darnach ergab sich auch die dem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/454
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/454>, abgerufen am 05.07.2024.