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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Judenthum hartnäckig zugethane Mutter, und wurde getauft. Dies zur Ein"
teilung. --

Der jüdische Knabe Simon Abeles hatte zum Vater den Lazarus, zum
Ahnherrn aber Moses Abeles. welcher der Judenschaft viele Jahre als Primas
vorgestanden hatte. Schon in zarten Jahren wurde an diesem Knaben eine
besondere Gemüthsneigung zum Christenthum verspürt. Wo er sonnte, son-
derte er sich von jüdischer Jugend ab und gesellte sich Christenknaben zu.
spielte mit ihnen und beschenkte sie, um ihr Wohlwollen zu erwerben mit
süßen Leckerbissen, die er am väterlichen Tisch zusammengebracht hatte; der
jüdische gekrauste Kragen, welchen die Juden mit blauem Kraftmehl gestärkt,
ringförmig um den Hals tragen und sich dadurch hier in Böhmen von den
Christen unterscheiden, war dem Simon durchaus zuwider. Als das Licht
seiner Vernunft Heller wurde, erkundigte er sich bei jeder Gelegenheit nach den
christlichen Geheimnissen. Es begab sich, daß er von seinem Vater, einem
Handschuh Händler, in Geschäften mehrmals nach dem Haus eines Christen,
des Handschuhmacher Christoph Hoffmann geschickt wurde. Dort verweilte er
in Betrachtung der heiligen, aber nicht der weltlichen Bilder, welche an den
Wänden hingen, obgleich die letzteren kostbarer und wegen künstlicher Malerei
ansehnlicher waren, und forschte begierig die christlichen Inwohner aus, was
unter selbigen Bildern zu verstehen sei. Als ihm geantwortet wurde, daß
durch das eine Christus, durch ein anderes die Mutter Christi, die wunder¬
thätige Gottesgebärerin von Buntzel (Bunzlau), durch jenes der heil. Antonius
von Padua angedeutet werde, rief er von ganzem Herzen seufzend aus: O daß
ich ein Christ werden könnte! Ueberdies bezeugte ein Jude, Rebbe Liebenau
genannt, daß der Knabe zuweilen ganze Nächte unter Christen zugebracht und
sich im väterlichen Hause nicht eingestellt habe. Viele nun hielten dafür, daß
solche Zuneigung zum Christenthum einen übernatürlichen Ursprung habe und
von einem Taufzeichen herrühre, das ihm schon in der Wiege von einem
Christen eingedrückt worden sei. Als man später diesem aufgesprengten Ge¬
rücht emsig nachgrübelte, wurde bezeugt, daß ein Präceptor, Stephan Hiller,
einst zu Lazarus Abeles geschickt worden sei, eine Geldschuld abzuholen, daß
er allda ein allein in der Wiege liegendes Kind gefunden und dasselbe in
innerlicher Herzensregung mit elementarischen in der Nähe befindlichen Wasser
getauft habe. Aus Nachforschung des hochehrwürdigen erzbischöflichen Consisto-
riums sagte dieser Präceptor, welcher jetzt eine Kaplanstelle bekleidete, aus,
daß er nicht wisse, ob das Kind des Lazarus Söhnlein gewesen sei; ja seinem
Dafürhalten nach wäre selbiges vielmehr einem jüdischen Schneider zugehörg
gewesen. Durch solche Aussage blieb dieser wichtige Umstand zweifelhaft.

Nachdem sich durch etliche Jahre in Simons Gemüth die standhafte
Zuneigung zum Christenthum so vergrößert hatte, daß sie von Einheimischen


Judenthum hartnäckig zugethane Mutter, und wurde getauft. Dies zur Ein«
teilung. —

Der jüdische Knabe Simon Abeles hatte zum Vater den Lazarus, zum
Ahnherrn aber Moses Abeles. welcher der Judenschaft viele Jahre als Primas
vorgestanden hatte. Schon in zarten Jahren wurde an diesem Knaben eine
besondere Gemüthsneigung zum Christenthum verspürt. Wo er sonnte, son-
derte er sich von jüdischer Jugend ab und gesellte sich Christenknaben zu.
spielte mit ihnen und beschenkte sie, um ihr Wohlwollen zu erwerben mit
süßen Leckerbissen, die er am väterlichen Tisch zusammengebracht hatte; der
jüdische gekrauste Kragen, welchen die Juden mit blauem Kraftmehl gestärkt,
ringförmig um den Hals tragen und sich dadurch hier in Böhmen von den
Christen unterscheiden, war dem Simon durchaus zuwider. Als das Licht
seiner Vernunft Heller wurde, erkundigte er sich bei jeder Gelegenheit nach den
christlichen Geheimnissen. Es begab sich, daß er von seinem Vater, einem
Handschuh Händler, in Geschäften mehrmals nach dem Haus eines Christen,
des Handschuhmacher Christoph Hoffmann geschickt wurde. Dort verweilte er
in Betrachtung der heiligen, aber nicht der weltlichen Bilder, welche an den
Wänden hingen, obgleich die letzteren kostbarer und wegen künstlicher Malerei
ansehnlicher waren, und forschte begierig die christlichen Inwohner aus, was
unter selbigen Bildern zu verstehen sei. Als ihm geantwortet wurde, daß
durch das eine Christus, durch ein anderes die Mutter Christi, die wunder¬
thätige Gottesgebärerin von Buntzel (Bunzlau), durch jenes der heil. Antonius
von Padua angedeutet werde, rief er von ganzem Herzen seufzend aus: O daß
ich ein Christ werden könnte! Ueberdies bezeugte ein Jude, Rebbe Liebenau
genannt, daß der Knabe zuweilen ganze Nächte unter Christen zugebracht und
sich im väterlichen Hause nicht eingestellt habe. Viele nun hielten dafür, daß
solche Zuneigung zum Christenthum einen übernatürlichen Ursprung habe und
von einem Taufzeichen herrühre, das ihm schon in der Wiege von einem
Christen eingedrückt worden sei. Als man später diesem aufgesprengten Ge¬
rücht emsig nachgrübelte, wurde bezeugt, daß ein Präceptor, Stephan Hiller,
einst zu Lazarus Abeles geschickt worden sei, eine Geldschuld abzuholen, daß
er allda ein allein in der Wiege liegendes Kind gefunden und dasselbe in
innerlicher Herzensregung mit elementarischen in der Nähe befindlichen Wasser
getauft habe. Aus Nachforschung des hochehrwürdigen erzbischöflichen Consisto-
riums sagte dieser Präceptor, welcher jetzt eine Kaplanstelle bekleidete, aus,
daß er nicht wisse, ob das Kind des Lazarus Söhnlein gewesen sei; ja seinem
Dafürhalten nach wäre selbiges vielmehr einem jüdischen Schneider zugehörg
gewesen. Durch solche Aussage blieb dieser wichtige Umstand zweifelhaft.

Nachdem sich durch etliche Jahre in Simons Gemüth die standhafte
Zuneigung zum Christenthum so vergrößert hatte, daß sie von Einheimischen


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[0455] Judenthum hartnäckig zugethane Mutter, und wurde getauft. Dies zur Ein« teilung. — Der jüdische Knabe Simon Abeles hatte zum Vater den Lazarus, zum Ahnherrn aber Moses Abeles. welcher der Judenschaft viele Jahre als Primas vorgestanden hatte. Schon in zarten Jahren wurde an diesem Knaben eine besondere Gemüthsneigung zum Christenthum verspürt. Wo er sonnte, son- derte er sich von jüdischer Jugend ab und gesellte sich Christenknaben zu. spielte mit ihnen und beschenkte sie, um ihr Wohlwollen zu erwerben mit süßen Leckerbissen, die er am väterlichen Tisch zusammengebracht hatte; der jüdische gekrauste Kragen, welchen die Juden mit blauem Kraftmehl gestärkt, ringförmig um den Hals tragen und sich dadurch hier in Böhmen von den Christen unterscheiden, war dem Simon durchaus zuwider. Als das Licht seiner Vernunft Heller wurde, erkundigte er sich bei jeder Gelegenheit nach den christlichen Geheimnissen. Es begab sich, daß er von seinem Vater, einem Handschuh Händler, in Geschäften mehrmals nach dem Haus eines Christen, des Handschuhmacher Christoph Hoffmann geschickt wurde. Dort verweilte er in Betrachtung der heiligen, aber nicht der weltlichen Bilder, welche an den Wänden hingen, obgleich die letzteren kostbarer und wegen künstlicher Malerei ansehnlicher waren, und forschte begierig die christlichen Inwohner aus, was unter selbigen Bildern zu verstehen sei. Als ihm geantwortet wurde, daß durch das eine Christus, durch ein anderes die Mutter Christi, die wunder¬ thätige Gottesgebärerin von Buntzel (Bunzlau), durch jenes der heil. Antonius von Padua angedeutet werde, rief er von ganzem Herzen seufzend aus: O daß ich ein Christ werden könnte! Ueberdies bezeugte ein Jude, Rebbe Liebenau genannt, daß der Knabe zuweilen ganze Nächte unter Christen zugebracht und sich im väterlichen Hause nicht eingestellt habe. Viele nun hielten dafür, daß solche Zuneigung zum Christenthum einen übernatürlichen Ursprung habe und von einem Taufzeichen herrühre, das ihm schon in der Wiege von einem Christen eingedrückt worden sei. Als man später diesem aufgesprengten Ge¬ rücht emsig nachgrübelte, wurde bezeugt, daß ein Präceptor, Stephan Hiller, einst zu Lazarus Abeles geschickt worden sei, eine Geldschuld abzuholen, daß er allda ein allein in der Wiege liegendes Kind gefunden und dasselbe in innerlicher Herzensregung mit elementarischen in der Nähe befindlichen Wasser getauft habe. Aus Nachforschung des hochehrwürdigen erzbischöflichen Consisto- riums sagte dieser Präceptor, welcher jetzt eine Kaplanstelle bekleidete, aus, daß er nicht wisse, ob das Kind des Lazarus Söhnlein gewesen sei; ja seinem Dafürhalten nach wäre selbiges vielmehr einem jüdischen Schneider zugehörg gewesen. Durch solche Aussage blieb dieser wichtige Umstand zweifelhaft. Nachdem sich durch etliche Jahre in Simons Gemüth die standhafte Zuneigung zum Christenthum so vergrößert hatte, daß sie von Einheimischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/455>, abgerufen am 05.07.2024.