Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.rasch schnellt sie empor und unter den phantastischesten Sprüngen rast sie fort, Noch merkwürdiger war ein Jndianermädchen, das eine große Riesen¬ Der Abend lagerte schon seine dunklen Schatten über die Berge und Von erquickenden Abendlüftcn magisch fortgezogen, wandelte ich, in Ge¬ rasch schnellt sie empor und unter den phantastischesten Sprüngen rast sie fort, Noch merkwürdiger war ein Jndianermädchen, das eine große Riesen¬ Der Abend lagerte schon seine dunklen Schatten über die Berge und Von erquickenden Abendlüftcn magisch fortgezogen, wandelte ich, in Ge¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0436" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266245"/> <p xml:id="ID_1241" prev="#ID_1240"> rasch schnellt sie empor und unter den phantastischesten Sprüngen rast sie fort,<lb/> so lange sie Athem hat. Wehe aber dem Tänzer, der aus Ungeschicklichkeit<lb/> fällt. Von neckenden Mädchen umringt, wird er mit Wasser begossen, mit<lb/> Cocosschalen beworfen, verlacht und ausgesöhnt, und zum Finale wird ihm<lb/> mit Kuhhörnern ein ohrenzerreißendes Charivari gebracht, was er jedoch, da<lb/> es Landessitte ist, nicht übelnehmen darf.</p><lb/> <p xml:id="ID_1242"> Noch merkwürdiger war ein Jndianermädchen, das eine große Riesen¬<lb/> schlange um den Körper gewunden gleich einem zahmen Lämmchen mit sich<lb/> herumführte. Aber eine Gewalt übte sie auf das Ungeheuer, welches sie seit<lb/> ihrer Kindheit wunderbar gezähmt und in allerlei Künsten abgerichtet hatte, die<lb/> an das Unglaublichste grenzten. Jedes Wort, jede Geberde der Gebieterin wurde<lb/> von der Schlange verstanden und befolgt. Verlangte das Mädchen nach einer<lb/> Rose, so kroch das Thier nach der bezeichneten Stelle, pflückte die Blume,<lb/> und sich dann liebkosend an ihrer Herrin hinausschlingend, überbrachte sie die<lb/> verlangte Blume.</p><lb/> <p xml:id="ID_1243"> Der Abend lagerte schon seine dunklen Schatten über die Berge und<lb/> Blumenebenen Tahitis, als ich das Schloß des Gouverneurs verließ. Der<lb/> dunkelblaue Nachthimmel glänzte voller Sterne, balsamische Lüfte säuselten<lb/> erfrischend durch ernste Cypressen und schlanke Dattelpalmen, die ihre Kronen<lb/> leise im Windeshauche wiegten, und die duftenden Blumen, abgemattet von<lb/> der Sonnenglut, erhoben sich jetzt, eine zauberische Pracht entfaltend. Johan¬<lb/> niswürmchen leuchteten durch das dunkelgrüne Gebüsch der duftenden Orangen¬<lb/> bäume, aber noch mächtiger leuchtete der Mond mit seinem Silberlicht durch<lb/> dieses Märchengcbilde einer Sommernacht, dessen erhabene Schönheit sich die<lb/> lebhafteste Einbildungskraft nicht vorzustellen vermag.</p><lb/> <p xml:id="ID_1244" next="#ID_1245"> Von erquickenden Abendlüftcn magisch fortgezogen, wandelte ich, in Ge¬<lb/> danken vertieft, zwischen blühenden Cactus und Aloen, unter riesigen Palmen,<lb/> zu denen der Mensch sich wie ein Zwerg verhält, auf einem zum Gebirge füh¬<lb/> renden Weg. als ich am Abhang eines Palmenwaldes ein hellerleuchtetes<lb/> Gebäude erblickte, aus dem Orgelklang und Gesang ertönte. Ich trat ein<lb/> und befand mich in der ersten katholischen Kirche Otahaitis, durch welche<lb/> Königin Pomare 1828 den Götzendienst verdrängte; 35 mächtige Säulen von<lb/> Brotfruchtbäumen tragen das Gebäude, dessen Inneres einfach und prunklos,<lb/> aber festlich mit Blumen geschmückt, ein feierliches Aussehn hatte. Vor dem<lb/> Hochaltar, den nur ein einfaches Madonnenbild zierte, wurde die Messe ge¬<lb/> lesen. Eingeborne Männer und Frauen knieten andächtig auf den Altarstufen,<lb/> tahitische Mädchen und Knaben, in weiße Tücher gehüllt, sangen im feier¬<lb/> lichen Chor, begleitet von den melancholischen Tönen der Orgel, so andächtig<lb/> und erhebend, daß selbst die trivialen französischen und englischen Massenlieder,<lb/> die von den fremden Seefahrern auf Tahiti eingeführt, und von den unschul-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0436]
rasch schnellt sie empor und unter den phantastischesten Sprüngen rast sie fort,
so lange sie Athem hat. Wehe aber dem Tänzer, der aus Ungeschicklichkeit
fällt. Von neckenden Mädchen umringt, wird er mit Wasser begossen, mit
Cocosschalen beworfen, verlacht und ausgesöhnt, und zum Finale wird ihm
mit Kuhhörnern ein ohrenzerreißendes Charivari gebracht, was er jedoch, da
es Landessitte ist, nicht übelnehmen darf.
Noch merkwürdiger war ein Jndianermädchen, das eine große Riesen¬
schlange um den Körper gewunden gleich einem zahmen Lämmchen mit sich
herumführte. Aber eine Gewalt übte sie auf das Ungeheuer, welches sie seit
ihrer Kindheit wunderbar gezähmt und in allerlei Künsten abgerichtet hatte, die
an das Unglaublichste grenzten. Jedes Wort, jede Geberde der Gebieterin wurde
von der Schlange verstanden und befolgt. Verlangte das Mädchen nach einer
Rose, so kroch das Thier nach der bezeichneten Stelle, pflückte die Blume,
und sich dann liebkosend an ihrer Herrin hinausschlingend, überbrachte sie die
verlangte Blume.
Der Abend lagerte schon seine dunklen Schatten über die Berge und
Blumenebenen Tahitis, als ich das Schloß des Gouverneurs verließ. Der
dunkelblaue Nachthimmel glänzte voller Sterne, balsamische Lüfte säuselten
erfrischend durch ernste Cypressen und schlanke Dattelpalmen, die ihre Kronen
leise im Windeshauche wiegten, und die duftenden Blumen, abgemattet von
der Sonnenglut, erhoben sich jetzt, eine zauberische Pracht entfaltend. Johan¬
niswürmchen leuchteten durch das dunkelgrüne Gebüsch der duftenden Orangen¬
bäume, aber noch mächtiger leuchtete der Mond mit seinem Silberlicht durch
dieses Märchengcbilde einer Sommernacht, dessen erhabene Schönheit sich die
lebhafteste Einbildungskraft nicht vorzustellen vermag.
Von erquickenden Abendlüftcn magisch fortgezogen, wandelte ich, in Ge¬
danken vertieft, zwischen blühenden Cactus und Aloen, unter riesigen Palmen,
zu denen der Mensch sich wie ein Zwerg verhält, auf einem zum Gebirge füh¬
renden Weg. als ich am Abhang eines Palmenwaldes ein hellerleuchtetes
Gebäude erblickte, aus dem Orgelklang und Gesang ertönte. Ich trat ein
und befand mich in der ersten katholischen Kirche Otahaitis, durch welche
Königin Pomare 1828 den Götzendienst verdrängte; 35 mächtige Säulen von
Brotfruchtbäumen tragen das Gebäude, dessen Inneres einfach und prunklos,
aber festlich mit Blumen geschmückt, ein feierliches Aussehn hatte. Vor dem
Hochaltar, den nur ein einfaches Madonnenbild zierte, wurde die Messe ge¬
lesen. Eingeborne Männer und Frauen knieten andächtig auf den Altarstufen,
tahitische Mädchen und Knaben, in weiße Tücher gehüllt, sangen im feier¬
lichen Chor, begleitet von den melancholischen Tönen der Orgel, so andächtig
und erhebend, daß selbst die trivialen französischen und englischen Massenlieder,
die von den fremden Seefahrern auf Tahiti eingeführt, und von den unschul-
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