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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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bin der Held von Tahiti. Und diese Wunder alle hat nur der "Carneval"
bewirkt. Wahrlich, die Violinspieler wissen gar nicht, wie viel sie diesem
Stück zu danken haben, dessen wunderthütige Wirkung oft wie ein Sirenen¬
lied das starrste Publicum entflammt, und oft ward es mir, wie diesmal,
zur rettenden That.

Einige Tage nach dem Concert wurde ich zum Gouverneur geladen, wo
auch alle Consuln und fremden Agenten Tahitis anwesend waren, denn es
wurde das Geburtsfest des Gouverneurs gefeiert. Auch eine Deputation Ein-
geborner, die den Gouverneur zu beglückwünschen kamen, wurde zur Tasel
gezogen. Sie machten mir wieder sehr viel Spaß. Sie waren aufs sorg¬
fältigste gekleidet, trugen sogar Vatermörder und Glacehandschuhe ,als Sym¬
bole erworbener Cultur, aber die Nacktheit ihrer Füße behielten sie consequent
und ungeschmälert bei. Es war ergötzlich, mit anzusehn, wie die guten Na¬
turkinder sich vergebens abmühten, die feinen Manieren der europäischen Tisch-
genossen nachzuahmen, und wie ungeschickt sie die ihnen sonst ganz über¬
flüssigen Servietten, Messer und Gabeln handhabten. Jede neu aufgetragene
Speise brachte ihnen neue Verlegenheiten, ja, ein famoser Pudding, an dem
sich die ganze Tischgesellschaft delcctirte, spielte einem der gelben Gäste den
boshaftesten Streich, denn er wollte dem Gaumen des Natursohncs so wenig
munden, daß in seinem Magen eine entsetzliche Empörung ausbrach. Wie
sollten aber auch diese französischen Leckereien jenen urwüchsigen Gelbhüuten
munden, bei denen vor noch gar nicht langer Zeit ein Stück Menschenfleisch
gebraten oder gesotten als' großer Leckerbissen galt; denn nicht nur die gefan¬
genen Feinde allein waren es. die sie kochten und verzehrten, sondern auch
junge Mädchen, die durch irgend einen Fehler den Zorn der Götter erweckten,
wurden zur Strafe festlich geschlachtet, in Gruben gebraten und dann -- ver¬
zehrt. Seit diesen entsetzlichen Greuelthaten ist noch kaum ein halbes Jahr¬
hundert verflossen, und jetzt geigt hier ein europäischer Violinspieler schon den
"Carneval". Wahrlich die Civilisation ist schnell! Wie froh bin ich, daß
ich nicht früher gekommen, denn dreißig Jahre früher hätte man mir vielleicht
aus lauter Verehrung den Kopf abgeschnitten, oder mich lebendig gebraten,
um den zürnenden Eatu-Rasal (Donnergott) durch meine musikalische Persön¬
lichkeit zu versöhnen.

Sehr originell und merkwürdig sind hier die Tänze. Tahitische Mädchen,
die mit herabwallenden Haaren, mit Blumen geschmückt, sonst aber nur sehr
wenig bekleidet sind, jagen wie im Fluge dahin. Dieses geht so fort, bis
sie athemlos und erschöpft in den Sand sinken, wo sie so lange regungslos
liegen bleiben, bis es der pantomimischen Ueberredungskunst ihres Tänzers
gelingt, die Erschöpfte zu einem neuen Tanze zu bewegen; wie ein Blitz so


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bin der Held von Tahiti. Und diese Wunder alle hat nur der „Carneval"
bewirkt. Wahrlich, die Violinspieler wissen gar nicht, wie viel sie diesem
Stück zu danken haben, dessen wunderthütige Wirkung oft wie ein Sirenen¬
lied das starrste Publicum entflammt, und oft ward es mir, wie diesmal,
zur rettenden That.

Einige Tage nach dem Concert wurde ich zum Gouverneur geladen, wo
auch alle Consuln und fremden Agenten Tahitis anwesend waren, denn es
wurde das Geburtsfest des Gouverneurs gefeiert. Auch eine Deputation Ein-
geborner, die den Gouverneur zu beglückwünschen kamen, wurde zur Tasel
gezogen. Sie machten mir wieder sehr viel Spaß. Sie waren aufs sorg¬
fältigste gekleidet, trugen sogar Vatermörder und Glacehandschuhe ,als Sym¬
bole erworbener Cultur, aber die Nacktheit ihrer Füße behielten sie consequent
und ungeschmälert bei. Es war ergötzlich, mit anzusehn, wie die guten Na¬
turkinder sich vergebens abmühten, die feinen Manieren der europäischen Tisch-
genossen nachzuahmen, und wie ungeschickt sie die ihnen sonst ganz über¬
flüssigen Servietten, Messer und Gabeln handhabten. Jede neu aufgetragene
Speise brachte ihnen neue Verlegenheiten, ja, ein famoser Pudding, an dem
sich die ganze Tischgesellschaft delcctirte, spielte einem der gelben Gäste den
boshaftesten Streich, denn er wollte dem Gaumen des Natursohncs so wenig
munden, daß in seinem Magen eine entsetzliche Empörung ausbrach. Wie
sollten aber auch diese französischen Leckereien jenen urwüchsigen Gelbhüuten
munden, bei denen vor noch gar nicht langer Zeit ein Stück Menschenfleisch
gebraten oder gesotten als' großer Leckerbissen galt; denn nicht nur die gefan¬
genen Feinde allein waren es. die sie kochten und verzehrten, sondern auch
junge Mädchen, die durch irgend einen Fehler den Zorn der Götter erweckten,
wurden zur Strafe festlich geschlachtet, in Gruben gebraten und dann — ver¬
zehrt. Seit diesen entsetzlichen Greuelthaten ist noch kaum ein halbes Jahr¬
hundert verflossen, und jetzt geigt hier ein europäischer Violinspieler schon den
„Carneval". Wahrlich die Civilisation ist schnell! Wie froh bin ich, daß
ich nicht früher gekommen, denn dreißig Jahre früher hätte man mir vielleicht
aus lauter Verehrung den Kopf abgeschnitten, oder mich lebendig gebraten,
um den zürnenden Eatu-Rasal (Donnergott) durch meine musikalische Persön¬
lichkeit zu versöhnen.

Sehr originell und merkwürdig sind hier die Tänze. Tahitische Mädchen,
die mit herabwallenden Haaren, mit Blumen geschmückt, sonst aber nur sehr
wenig bekleidet sind, jagen wie im Fluge dahin. Dieses geht so fort, bis
sie athemlos und erschöpft in den Sand sinken, wo sie so lange regungslos
liegen bleiben, bis es der pantomimischen Ueberredungskunst ihres Tänzers
gelingt, die Erschöpfte zu einem neuen Tanze zu bewegen; wie ein Blitz so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/435>, abgerufen am 26.07.2024.