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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Die Reformation fand schon in ihren Anfängen in allen Theilen Ungarns
zahlreiche Anhänger unter allen Ständen, am zahlreichsten im Adel und unter
den magyarischen Bauern. Während der Regierung der ersten Könige des
Habsburgischen Hauses. Ferdinand I. (1527 -- 1564) und Maximilian I. (als
deutscher Kaiser der II.) 1564--1576, konnte sich der neue Glaube wenig
angefochten ausbreiten; theilweise dürfen diese Fürsten als duldsamere bezeichnet
werden, theilweise waren sie durch die türkischen Kriege und einheimische
Händel viel zu sehr beschäftigt, um mit Gewalt gegen die Kirche Luthers und
Calvins aufzutreten und friedliche, dein königlichen Hause treue Unterthanen
durch Verfolgung zur Gegenpartei zu treiben. In den den Türken unter¬
worfenen Theilen Ungarns hatten die Protestanten wegen ihrer Religion nie
Unterdrückungen zu erfahren. Unter Rudolph I. (II.) 1577 -- 1K08 nahmen
die religiösen Verfolgungen, im Verein mit Eingriffen in die constitutionellen
Rechte des Landes ihren Anfang, machten dieses und das folgende Jahr¬
hundert zu der traurigsten Epoche Ungarns, führten zu zahlreichen Aufständen,
zur Verwüstung des Landes, und diesen Wirren hat es Ungarn zum Theil zu
danken, daß es in jeder Beziehung um mehr als ein Jahrhundert zurückblieb.
Fortwährende Kämpfe verwüsteten das Land und brachten es dem vollständigen
Ruin nahe: die Hälfte desselben befand sich in den Händen der Türken; der
östliche Theil gerieth in den Besitz der Fürsten Siebenbürgens oder in den ein¬
heimischer Großen, die im offenen Aufstand für Gewissensfreiheit und die
Privilegien mit den legitimen Königen Kriege führten, Frieden schlossen und
von ihnen zeitweise selbst in dem unabhängigen Besitz des halben Landes
anerkannt werden mußten. Solche Männer, die in dieser Periode der Ge¬
schichte Ungarns eine hervorragende Rolle spielten, sind Botskay, Gabor
Bethlen, die Rakoczys. Tököli.

Gegen das Ende der unruhigen Regierung Rudolphs wurde zwischen
diesem und dem siebenbürgischen Fürsten Botskay am 23. Juni 16V6 der
wiener Friede geschlossen, der die Abschaffung aller Verfolgungsgesetze,
freie und ungestörte Ausübung der Religion für alle Stande, Gleichberech¬
tigung des protestantischen Bekenntnisses in Verleihung aller Aemter und die
Genehmigung der Kirchenverfassung aussprach, die von den Protestanten an¬
genommen worden war, und welche dieselbe ist, die im Wesentlichen auch
jetzt noch besteht. Die sogenannten Antecoronationalartikel des Landtags von
1608, aus dem Mathias II. (I.) nach Abdankung Rudolphs sich krönen ließ,
enthielten eine klarere Redaction des wiener Friedens, und bilden mit diesem
das erste Fundamentalgesetz sür die Protestanten Ungarns, auf das man sich
in späteren Friedensschlüssen, Landtagsverhandlungen und Verordnungen stets
berief.

Schon unter Mathias nahm der Einfluß der bigotten Partei zu, und


Die Reformation fand schon in ihren Anfängen in allen Theilen Ungarns
zahlreiche Anhänger unter allen Ständen, am zahlreichsten im Adel und unter
den magyarischen Bauern. Während der Regierung der ersten Könige des
Habsburgischen Hauses. Ferdinand I. (1527 — 1564) und Maximilian I. (als
deutscher Kaiser der II.) 1564—1576, konnte sich der neue Glaube wenig
angefochten ausbreiten; theilweise dürfen diese Fürsten als duldsamere bezeichnet
werden, theilweise waren sie durch die türkischen Kriege und einheimische
Händel viel zu sehr beschäftigt, um mit Gewalt gegen die Kirche Luthers und
Calvins aufzutreten und friedliche, dein königlichen Hause treue Unterthanen
durch Verfolgung zur Gegenpartei zu treiben. In den den Türken unter¬
worfenen Theilen Ungarns hatten die Protestanten wegen ihrer Religion nie
Unterdrückungen zu erfahren. Unter Rudolph I. (II.) 1577 — 1K08 nahmen
die religiösen Verfolgungen, im Verein mit Eingriffen in die constitutionellen
Rechte des Landes ihren Anfang, machten dieses und das folgende Jahr¬
hundert zu der traurigsten Epoche Ungarns, führten zu zahlreichen Aufständen,
zur Verwüstung des Landes, und diesen Wirren hat es Ungarn zum Theil zu
danken, daß es in jeder Beziehung um mehr als ein Jahrhundert zurückblieb.
Fortwährende Kämpfe verwüsteten das Land und brachten es dem vollständigen
Ruin nahe: die Hälfte desselben befand sich in den Händen der Türken; der
östliche Theil gerieth in den Besitz der Fürsten Siebenbürgens oder in den ein¬
heimischer Großen, die im offenen Aufstand für Gewissensfreiheit und die
Privilegien mit den legitimen Königen Kriege führten, Frieden schlossen und
von ihnen zeitweise selbst in dem unabhängigen Besitz des halben Landes
anerkannt werden mußten. Solche Männer, die in dieser Periode der Ge¬
schichte Ungarns eine hervorragende Rolle spielten, sind Botskay, Gabor
Bethlen, die Rakoczys. Tököli.

Gegen das Ende der unruhigen Regierung Rudolphs wurde zwischen
diesem und dem siebenbürgischen Fürsten Botskay am 23. Juni 16V6 der
wiener Friede geschlossen, der die Abschaffung aller Verfolgungsgesetze,
freie und ungestörte Ausübung der Religion für alle Stande, Gleichberech¬
tigung des protestantischen Bekenntnisses in Verleihung aller Aemter und die
Genehmigung der Kirchenverfassung aussprach, die von den Protestanten an¬
genommen worden war, und welche dieselbe ist, die im Wesentlichen auch
jetzt noch besteht. Die sogenannten Antecoronationalartikel des Landtags von
1608, aus dem Mathias II. (I.) nach Abdankung Rudolphs sich krönen ließ,
enthielten eine klarere Redaction des wiener Friedens, und bilden mit diesem
das erste Fundamentalgesetz sür die Protestanten Ungarns, auf das man sich
in späteren Friedensschlüssen, Landtagsverhandlungen und Verordnungen stets
berief.

Schon unter Mathias nahm der Einfluß der bigotten Partei zu, und


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[0420] Die Reformation fand schon in ihren Anfängen in allen Theilen Ungarns zahlreiche Anhänger unter allen Ständen, am zahlreichsten im Adel und unter den magyarischen Bauern. Während der Regierung der ersten Könige des Habsburgischen Hauses. Ferdinand I. (1527 — 1564) und Maximilian I. (als deutscher Kaiser der II.) 1564—1576, konnte sich der neue Glaube wenig angefochten ausbreiten; theilweise dürfen diese Fürsten als duldsamere bezeichnet werden, theilweise waren sie durch die türkischen Kriege und einheimische Händel viel zu sehr beschäftigt, um mit Gewalt gegen die Kirche Luthers und Calvins aufzutreten und friedliche, dein königlichen Hause treue Unterthanen durch Verfolgung zur Gegenpartei zu treiben. In den den Türken unter¬ worfenen Theilen Ungarns hatten die Protestanten wegen ihrer Religion nie Unterdrückungen zu erfahren. Unter Rudolph I. (II.) 1577 — 1K08 nahmen die religiösen Verfolgungen, im Verein mit Eingriffen in die constitutionellen Rechte des Landes ihren Anfang, machten dieses und das folgende Jahr¬ hundert zu der traurigsten Epoche Ungarns, führten zu zahlreichen Aufständen, zur Verwüstung des Landes, und diesen Wirren hat es Ungarn zum Theil zu danken, daß es in jeder Beziehung um mehr als ein Jahrhundert zurückblieb. Fortwährende Kämpfe verwüsteten das Land und brachten es dem vollständigen Ruin nahe: die Hälfte desselben befand sich in den Händen der Türken; der östliche Theil gerieth in den Besitz der Fürsten Siebenbürgens oder in den ein¬ heimischer Großen, die im offenen Aufstand für Gewissensfreiheit und die Privilegien mit den legitimen Königen Kriege führten, Frieden schlossen und von ihnen zeitweise selbst in dem unabhängigen Besitz des halben Landes anerkannt werden mußten. Solche Männer, die in dieser Periode der Ge¬ schichte Ungarns eine hervorragende Rolle spielten, sind Botskay, Gabor Bethlen, die Rakoczys. Tököli. Gegen das Ende der unruhigen Regierung Rudolphs wurde zwischen diesem und dem siebenbürgischen Fürsten Botskay am 23. Juni 16V6 der wiener Friede geschlossen, der die Abschaffung aller Verfolgungsgesetze, freie und ungestörte Ausübung der Religion für alle Stande, Gleichberech¬ tigung des protestantischen Bekenntnisses in Verleihung aller Aemter und die Genehmigung der Kirchenverfassung aussprach, die von den Protestanten an¬ genommen worden war, und welche dieselbe ist, die im Wesentlichen auch jetzt noch besteht. Die sogenannten Antecoronationalartikel des Landtags von 1608, aus dem Mathias II. (I.) nach Abdankung Rudolphs sich krönen ließ, enthielten eine klarere Redaction des wiener Friedens, und bilden mit diesem das erste Fundamentalgesetz sür die Protestanten Ungarns, auf das man sich in späteren Friedensschlüssen, Landtagsverhandlungen und Verordnungen stets berief. Schon unter Mathias nahm der Einfluß der bigotten Partei zu, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/420>, abgerufen am 26.07.2024.