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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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obwol die Protestanten in dieser Zeit nahezu die größere Mehrzahl der Be¬
völkerung ausmachten und unter den Ständen selbst zahlreich vertreten waren,
so stieß die ausgesprochene freie Ausübung der Religion doch überall auf
Hindernisse, und es wurde, was zu den meisten Streitigkeiten Anlaß gab,
dieses durch das Gesetz gewährte Recht von der katholischen Partei so aus¬
gelegt, daß damit eine Religionsübung ohne Kirchen gemeint sei. Aus diesem
Grunde gestatteten katholische Grundherren den Bau protestantischer Gottes¬
häuser nicht, und diese Verdrehung eines klaren Gesetzartikels gab wieder zu
jalirelangen blutigen Kämpfen Veranlassung. Den Beschwerden der Prote¬
stanten gerecht zu werden, weigerte sich Ferdinand II. noch mehr, trotz seiner
Bedrängnisse im Anfang des dreißigjährigen Krieges; dies führte zur Ein¬
mischung Bethlens, Fürsten von Siebenbürgen, der 1620 bis in die Nähe
Wiens rückte, und am 31. Decbr. 1621 mit Ferdinand den Frieden von
Nikölsburg abschloß, der, mehr für die Interessen Bethlens sorgend, blos
eine Bestätigung der Antecoronationalartikel enthielt.

Eine fernere Schilderung der ungarischen Religionswirreu im Einzelnen
würde zu weit führen; Ferdinand II. Haß gegen die Ketzer ist aus der Ge¬
schichte zu bekannt, als daß von ihm eine aufrichtige Befolgung der'Religions¬
gesetze vermuthet werden könnte. Aus jedem Landtag ertönten die bittern
Klagen der Protestanten, die auf gesetzliche Abhilfe drangen, welche aber vom
Hof und den katholischen Ständen verweigert wurde. Nicht minder herrschend
blieben die der Religionsfreiheit feindlichen Einflüsse unter Ferdinand III.,
und gegen diese erhob sich 1644 Nakoczy, Fürst von Siebenbürgen, von den
Ungarn angerufen, die Freiheit der protestantischen Kirche zu schützen. Es ist
hier nicht der Ort zu untersuchen, inwiefern diese häusigen Aufstände des
Landes politisch zu rechtfertigen wären; einen großen Antheil hatte dabei auch
der persönliche Ehrgeiz, der in den anarchischen Zuständen Nahrung fand;
doch muß auch der Freund der Habsburgischen Dynastie zugeben, daß an die¬
sen Aufständen die Regierungsweise eines von Jesuiten beherrschten Hofes, die
zahlreichen Eingriffe in die Constitutwn des Landes, und die offen an den
Tag gelegte Unduldsamkeit in einem Lande, welches damals seinen Thron
durch sreie Wahl vergab, einen sehr großen Theil der Schuld trugen. -- Am
16. Sept. 1645 ward zwischen Ferdinand III. und Rakoczy, der vor Brünn
stand, der Religion"friede von Linz abgeschlossen, der in seinem oft ge--
nannten ersten Artikel die freie Religionsübung allen Ständen, Städten. Fle¬
cken, Besatzungen und auch den Bauern auf allen Gütern, mit Kirchen. Glo¬
cken und Begräbnis; zusagte. Die fünfzehn Artikel des Landtags 1647 erhoben
den linzer Frieden zum Landesgesetz, ergänzten ihn in einigen Hinsichten und
ordneten weitere streitige Punkte. Diese Artikel, im Verein mit dem liuzer
Neligionssrieden bilden das zweite Fundnmentalgcsetz der Protestanten.


obwol die Protestanten in dieser Zeit nahezu die größere Mehrzahl der Be¬
völkerung ausmachten und unter den Ständen selbst zahlreich vertreten waren,
so stieß die ausgesprochene freie Ausübung der Religion doch überall auf
Hindernisse, und es wurde, was zu den meisten Streitigkeiten Anlaß gab,
dieses durch das Gesetz gewährte Recht von der katholischen Partei so aus¬
gelegt, daß damit eine Religionsübung ohne Kirchen gemeint sei. Aus diesem
Grunde gestatteten katholische Grundherren den Bau protestantischer Gottes¬
häuser nicht, und diese Verdrehung eines klaren Gesetzartikels gab wieder zu
jalirelangen blutigen Kämpfen Veranlassung. Den Beschwerden der Prote¬
stanten gerecht zu werden, weigerte sich Ferdinand II. noch mehr, trotz seiner
Bedrängnisse im Anfang des dreißigjährigen Krieges; dies führte zur Ein¬
mischung Bethlens, Fürsten von Siebenbürgen, der 1620 bis in die Nähe
Wiens rückte, und am 31. Decbr. 1621 mit Ferdinand den Frieden von
Nikölsburg abschloß, der, mehr für die Interessen Bethlens sorgend, blos
eine Bestätigung der Antecoronationalartikel enthielt.

Eine fernere Schilderung der ungarischen Religionswirreu im Einzelnen
würde zu weit führen; Ferdinand II. Haß gegen die Ketzer ist aus der Ge¬
schichte zu bekannt, als daß von ihm eine aufrichtige Befolgung der'Religions¬
gesetze vermuthet werden könnte. Aus jedem Landtag ertönten die bittern
Klagen der Protestanten, die auf gesetzliche Abhilfe drangen, welche aber vom
Hof und den katholischen Ständen verweigert wurde. Nicht minder herrschend
blieben die der Religionsfreiheit feindlichen Einflüsse unter Ferdinand III.,
und gegen diese erhob sich 1644 Nakoczy, Fürst von Siebenbürgen, von den
Ungarn angerufen, die Freiheit der protestantischen Kirche zu schützen. Es ist
hier nicht der Ort zu untersuchen, inwiefern diese häusigen Aufstände des
Landes politisch zu rechtfertigen wären; einen großen Antheil hatte dabei auch
der persönliche Ehrgeiz, der in den anarchischen Zuständen Nahrung fand;
doch muß auch der Freund der Habsburgischen Dynastie zugeben, daß an die¬
sen Aufständen die Regierungsweise eines von Jesuiten beherrschten Hofes, die
zahlreichen Eingriffe in die Constitutwn des Landes, und die offen an den
Tag gelegte Unduldsamkeit in einem Lande, welches damals seinen Thron
durch sreie Wahl vergab, einen sehr großen Theil der Schuld trugen. — Am
16. Sept. 1645 ward zwischen Ferdinand III. und Rakoczy, der vor Brünn
stand, der Religion«friede von Linz abgeschlossen, der in seinem oft ge--
nannten ersten Artikel die freie Religionsübung allen Ständen, Städten. Fle¬
cken, Besatzungen und auch den Bauern auf allen Gütern, mit Kirchen. Glo¬
cken und Begräbnis; zusagte. Die fünfzehn Artikel des Landtags 1647 erhoben
den linzer Frieden zum Landesgesetz, ergänzten ihn in einigen Hinsichten und
ordneten weitere streitige Punkte. Diese Artikel, im Verein mit dem liuzer
Neligionssrieden bilden das zweite Fundnmentalgcsetz der Protestanten.


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[0421] obwol die Protestanten in dieser Zeit nahezu die größere Mehrzahl der Be¬ völkerung ausmachten und unter den Ständen selbst zahlreich vertreten waren, so stieß die ausgesprochene freie Ausübung der Religion doch überall auf Hindernisse, und es wurde, was zu den meisten Streitigkeiten Anlaß gab, dieses durch das Gesetz gewährte Recht von der katholischen Partei so aus¬ gelegt, daß damit eine Religionsübung ohne Kirchen gemeint sei. Aus diesem Grunde gestatteten katholische Grundherren den Bau protestantischer Gottes¬ häuser nicht, und diese Verdrehung eines klaren Gesetzartikels gab wieder zu jalirelangen blutigen Kämpfen Veranlassung. Den Beschwerden der Prote¬ stanten gerecht zu werden, weigerte sich Ferdinand II. noch mehr, trotz seiner Bedrängnisse im Anfang des dreißigjährigen Krieges; dies führte zur Ein¬ mischung Bethlens, Fürsten von Siebenbürgen, der 1620 bis in die Nähe Wiens rückte, und am 31. Decbr. 1621 mit Ferdinand den Frieden von Nikölsburg abschloß, der, mehr für die Interessen Bethlens sorgend, blos eine Bestätigung der Antecoronationalartikel enthielt. Eine fernere Schilderung der ungarischen Religionswirreu im Einzelnen würde zu weit führen; Ferdinand II. Haß gegen die Ketzer ist aus der Ge¬ schichte zu bekannt, als daß von ihm eine aufrichtige Befolgung der'Religions¬ gesetze vermuthet werden könnte. Aus jedem Landtag ertönten die bittern Klagen der Protestanten, die auf gesetzliche Abhilfe drangen, welche aber vom Hof und den katholischen Ständen verweigert wurde. Nicht minder herrschend blieben die der Religionsfreiheit feindlichen Einflüsse unter Ferdinand III., und gegen diese erhob sich 1644 Nakoczy, Fürst von Siebenbürgen, von den Ungarn angerufen, die Freiheit der protestantischen Kirche zu schützen. Es ist hier nicht der Ort zu untersuchen, inwiefern diese häusigen Aufstände des Landes politisch zu rechtfertigen wären; einen großen Antheil hatte dabei auch der persönliche Ehrgeiz, der in den anarchischen Zuständen Nahrung fand; doch muß auch der Freund der Habsburgischen Dynastie zugeben, daß an die¬ sen Aufständen die Regierungsweise eines von Jesuiten beherrschten Hofes, die zahlreichen Eingriffe in die Constitutwn des Landes, und die offen an den Tag gelegte Unduldsamkeit in einem Lande, welches damals seinen Thron durch sreie Wahl vergab, einen sehr großen Theil der Schuld trugen. — Am 16. Sept. 1645 ward zwischen Ferdinand III. und Rakoczy, der vor Brünn stand, der Religion«friede von Linz abgeschlossen, der in seinem oft ge-- nannten ersten Artikel die freie Religionsübung allen Ständen, Städten. Fle¬ cken, Besatzungen und auch den Bauern auf allen Gütern, mit Kirchen. Glo¬ cken und Begräbnis; zusagte. Die fünfzehn Artikel des Landtags 1647 erhoben den linzer Frieden zum Landesgesetz, ergänzten ihn in einigen Hinsichten und ordneten weitere streitige Punkte. Diese Artikel, im Verein mit dem liuzer Neligionssrieden bilden das zweite Fundnmentalgcsetz der Protestanten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/421>, abgerufen am 26.07.2024.