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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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prägt sich unauslöschlich unsrer Phantasie ein. Der Unterhandlung zwischen
Wallenstein und Wrangel folgen wir mit athcmloscr Spannung. Die Noth
des guten Königs von Frankreich, den Unmuth und die Verzweiflung seiner
Generale erleben wir mit, unser Fleisch und Blut ist bei dem Ausgang be-
theiligt; und was soll man erst von der prachtvollen Schilderung der schwei¬
zerischen Zustände sagen, die in der Poesie nicht ihres Gleichen hat.

Wenn Realismus auf dem Theater so viel heißt, als die Fähigkeit, den
Eingebungen der Phantasie reale Gestalt zu geben, namentlich in Bezug auf
die äußere Erscheinung, so stehen wir nicht an, in dieser Beziehung Schillers
Talent über das Goethes zu stellen. --

Nehmen wir ferner -- es kommt uns nur auf einzelne Beispiele an --
die lyrischen Gedichte, so wird man freilich das "Ideal und das Leben", "die
Künstler" und ähnliches mit hoher Achtung nennen. Es sind nicht blos seine,
sondern sehr tiefe Gedanken darin und sie sind so schön ausgedrückt, wie man
so etwas nur ausdrücken kann. Aber im Ganzen haben diese Gedichte wenig
Leser, und Schiller selbst hielt sich nur kurze Zeit in diesem Reich der Schatten
auf. Dagegen sind die Balladen, und unter den didaktischen Gedichten die¬
jenigen, die allgemeine Sentenzen in einer körnigen sprichwörtlichen Sprache
ausdrücken, in aller Munde. In jenen Balladen liegt aber das Hauptinter¬
esse in der Schilderung, und hier ist es ganz erstaunlich, mit welcher Anschau¬
lichkeit Schiller die Brandung des Meeres, den Eisenhammer und ähnliches
wiedergibt, grade wie im Tell den Vierwaldstättersee, was er nie gesehen
hat. In dieser Beziehung haben wir die schlagendsten Zeugnisse von Goethe,
der doch so gut sah wie selten ein Mensch, und der nicht genug Worte finden
konnte, sein Staunen über die Naturtreue dieser Schilderungen auszudrücken.
Dieses Talent wird man doch wol ein realistisches nennen, während man bei
den Idealen im Drama wie im Lied wahrnimmt, daß sie durch Kunst nach¬
träglich hineingetragen sind.

Schiller hat ein Gedicht geschrieben, "die Ideale", das wahrlich nicht für
diejenigen spricht, die ihn einen Idealisten nennen. Er ist verschiedenen
Idealen nachgegangen, dem Ruhm, der Wahrheit, der Liebe; sie haben sich
alle als illusorisch erwiesen, er bleibt bei der Freundschaft stehen und bei der
Beschäftigung, die nie ermattet. Ein wunderliches Ideal! aber hüten wir uns
ihm aufs Wort zu glauben, das Gedicht ist nichts als ein poetischer Klingklang.
Schiller ist dem edlen Trieb des Ruhms stets treu geblieben, er hat der Wahrheit
nachgerungen bis an sein Lebensende; andere Ideale, die er hier gar nicht
nennt, z. B. die künstlerische Schönheit waren die Glut seines Lebens, und
wenn er in den "Idealen" klagt: "allzuschnell nach kurzem Lenze entfloh die
schöne Liebeszeit" -- grade vier Jahre, nachdem er aufs glücklichste, verhn-
rathet war --, so wußte die Hofräthin Schiller sehr wohl, wie dergleichen


prägt sich unauslöschlich unsrer Phantasie ein. Der Unterhandlung zwischen
Wallenstein und Wrangel folgen wir mit athcmloscr Spannung. Die Noth
des guten Königs von Frankreich, den Unmuth und die Verzweiflung seiner
Generale erleben wir mit, unser Fleisch und Blut ist bei dem Ausgang be-
theiligt; und was soll man erst von der prachtvollen Schilderung der schwei¬
zerischen Zustände sagen, die in der Poesie nicht ihres Gleichen hat.

Wenn Realismus auf dem Theater so viel heißt, als die Fähigkeit, den
Eingebungen der Phantasie reale Gestalt zu geben, namentlich in Bezug auf
die äußere Erscheinung, so stehen wir nicht an, in dieser Beziehung Schillers
Talent über das Goethes zu stellen. —

Nehmen wir ferner — es kommt uns nur auf einzelne Beispiele an —
die lyrischen Gedichte, so wird man freilich das „Ideal und das Leben", „die
Künstler" und ähnliches mit hoher Achtung nennen. Es sind nicht blos seine,
sondern sehr tiefe Gedanken darin und sie sind so schön ausgedrückt, wie man
so etwas nur ausdrücken kann. Aber im Ganzen haben diese Gedichte wenig
Leser, und Schiller selbst hielt sich nur kurze Zeit in diesem Reich der Schatten
auf. Dagegen sind die Balladen, und unter den didaktischen Gedichten die¬
jenigen, die allgemeine Sentenzen in einer körnigen sprichwörtlichen Sprache
ausdrücken, in aller Munde. In jenen Balladen liegt aber das Hauptinter¬
esse in der Schilderung, und hier ist es ganz erstaunlich, mit welcher Anschau¬
lichkeit Schiller die Brandung des Meeres, den Eisenhammer und ähnliches
wiedergibt, grade wie im Tell den Vierwaldstättersee, was er nie gesehen
hat. In dieser Beziehung haben wir die schlagendsten Zeugnisse von Goethe,
der doch so gut sah wie selten ein Mensch, und der nicht genug Worte finden
konnte, sein Staunen über die Naturtreue dieser Schilderungen auszudrücken.
Dieses Talent wird man doch wol ein realistisches nennen, während man bei
den Idealen im Drama wie im Lied wahrnimmt, daß sie durch Kunst nach¬
träglich hineingetragen sind.

Schiller hat ein Gedicht geschrieben, „die Ideale", das wahrlich nicht für
diejenigen spricht, die ihn einen Idealisten nennen. Er ist verschiedenen
Idealen nachgegangen, dem Ruhm, der Wahrheit, der Liebe; sie haben sich
alle als illusorisch erwiesen, er bleibt bei der Freundschaft stehen und bei der
Beschäftigung, die nie ermattet. Ein wunderliches Ideal! aber hüten wir uns
ihm aufs Wort zu glauben, das Gedicht ist nichts als ein poetischer Klingklang.
Schiller ist dem edlen Trieb des Ruhms stets treu geblieben, er hat der Wahrheit
nachgerungen bis an sein Lebensende; andere Ideale, die er hier gar nicht
nennt, z. B. die künstlerische Schönheit waren die Glut seines Lebens, und
wenn er in den „Idealen" klagt: „allzuschnell nach kurzem Lenze entfloh die
schöne Liebeszeit" — grade vier Jahre, nachdem er aufs glücklichste, verhn-
rathet war —, so wußte die Hofräthin Schiller sehr wohl, wie dergleichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/414>, abgerufen am 26.07.2024.