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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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im hintersten Kirchenschrein aufbewahrt und nur zu gewissen Zeiten den Neu¬
gierigen gezeigt zu werden; sie gehören zum innersten Leben und Beruf der Kirche,
und es wird keine Kirche der Zukunft sein ohne eine Kirchenlehre der Ver¬
gangenheit, ohne eine Kirche der Geschichte, in welcher der heilige Geist
ohne Unterlaß regiert und persönlich gewaltet hat. Zum Maße des voll¬
kommenen Alters unsers Herrn Jesu Christi wird nur der gelangen, welcher
mit Seinem Leibe hat wachsen wollen und gewachsen ist durch alle Jahr¬
hunderte."

Wo ist aber für den Suchenden in der protestantischen Kirche der Leit¬
stern, der ihm die "Erlebnisse" des Christenthums deutlich macht?

"In der Welt steht allerdings nichts mehr fest für uns. und der
Greuel der Verwüstung scheint sogar weiter zu schreiten, scheint das Leben
unsrer Kinder und Kindeskinder noch tiefer zerrütten zu wollen, als er das
unsrige zerrüttet hat. Müssen wir aber darum gen Himmel steigen, Christum
herabzuholen? Er wird nicht kommen, wenn wir ungeduldig nach ihm ren¬
nen und lausen. Er braucht auch gar nicht geholt zu werden, er ist noch da.
Er ist noch selbst gegenwärtig in seinem Amte des Worts, des Sacraments
und der Zucht, um seine Gemeindevon neuem zu sammeln. Das geistliche
Amt, dem allein Wort und Sacrament und Zucht und die Kräfte dieser erlö¬
senden und heiligenden Mittel überwiesen sind, das geistliche Amt allein
hat noch göttliches Mandat. Sonst niemand; nicht die Welt, nicht die
gläubigen Individuen in den Gemeinden, nicht die Gemeinde, und wäre sie
auch eine Gemeinde der Heiligen. Sie wäre selbst dies nicht ohne das geist¬
liche Amt, in welchem die Kraft des Gesetzes und des Evangeliums, die Kraft
der Sacramente, die Kraft zu binden und zu lösen liegt." "Der, welcher das
Wort des Herrn zu verkündigen, den Leib des Herrn zu spenden und im Na¬
men des Herrn Sünde zu behalten und zu vergeben hat, der Trüger des geist¬
lichen Amtes, der Geistliche, welcher mehr ist und sich mehr weiß als einen
Prediger, wird nicht zagen noch schwanken, auch als Grundstein und Mittel¬
punkt der äußern Gestaltung der Kirche sich darzustellen." "Wer den gegen¬
wärtigen Herrn noch bekennt, der bekenne sich jetzt zu seinem noch gegen¬
wärtigen Amt." "Es ist nicht die Rede von dem Geschäft eines Religions¬
lehrers, eines bloßen Predigers, eines bloßen Administranten und Vorlesers
von Formeln. Wer sich als bloßen Religionslehrer, Prediger, Verkündiger,
und nicht als einen mit der bindenden und lösenden Kraft Christi ausgestatte¬
ten Diener Christi betrachtet, der ist kein Mann unsers Bedürfnisses. Wir
wollen nicht an den Herrn erinnert sein und nichts von ihm erzählt haben;
wir wollen ihn selbst sehen und als Sündenvergeber mit seiner die Todten
erweckenden Kraft im innersten Mark unsers Lebens fühlen. So aber bringt
ihn uns nur das Amt, welches Er selber eingesetzt hat als Träger seiner


im hintersten Kirchenschrein aufbewahrt und nur zu gewissen Zeiten den Neu¬
gierigen gezeigt zu werden; sie gehören zum innersten Leben und Beruf der Kirche,
und es wird keine Kirche der Zukunft sein ohne eine Kirchenlehre der Ver¬
gangenheit, ohne eine Kirche der Geschichte, in welcher der heilige Geist
ohne Unterlaß regiert und persönlich gewaltet hat. Zum Maße des voll¬
kommenen Alters unsers Herrn Jesu Christi wird nur der gelangen, welcher
mit Seinem Leibe hat wachsen wollen und gewachsen ist durch alle Jahr¬
hunderte."

Wo ist aber für den Suchenden in der protestantischen Kirche der Leit¬
stern, der ihm die „Erlebnisse" des Christenthums deutlich macht?

„In der Welt steht allerdings nichts mehr fest für uns. und der
Greuel der Verwüstung scheint sogar weiter zu schreiten, scheint das Leben
unsrer Kinder und Kindeskinder noch tiefer zerrütten zu wollen, als er das
unsrige zerrüttet hat. Müssen wir aber darum gen Himmel steigen, Christum
herabzuholen? Er wird nicht kommen, wenn wir ungeduldig nach ihm ren¬
nen und lausen. Er braucht auch gar nicht geholt zu werden, er ist noch da.
Er ist noch selbst gegenwärtig in seinem Amte des Worts, des Sacraments
und der Zucht, um seine Gemeindevon neuem zu sammeln. Das geistliche
Amt, dem allein Wort und Sacrament und Zucht und die Kräfte dieser erlö¬
senden und heiligenden Mittel überwiesen sind, das geistliche Amt allein
hat noch göttliches Mandat. Sonst niemand; nicht die Welt, nicht die
gläubigen Individuen in den Gemeinden, nicht die Gemeinde, und wäre sie
auch eine Gemeinde der Heiligen. Sie wäre selbst dies nicht ohne das geist¬
liche Amt, in welchem die Kraft des Gesetzes und des Evangeliums, die Kraft
der Sacramente, die Kraft zu binden und zu lösen liegt." „Der, welcher das
Wort des Herrn zu verkündigen, den Leib des Herrn zu spenden und im Na¬
men des Herrn Sünde zu behalten und zu vergeben hat, der Trüger des geist¬
lichen Amtes, der Geistliche, welcher mehr ist und sich mehr weiß als einen
Prediger, wird nicht zagen noch schwanken, auch als Grundstein und Mittel¬
punkt der äußern Gestaltung der Kirche sich darzustellen." „Wer den gegen¬
wärtigen Herrn noch bekennt, der bekenne sich jetzt zu seinem noch gegen¬
wärtigen Amt." „Es ist nicht die Rede von dem Geschäft eines Religions¬
lehrers, eines bloßen Predigers, eines bloßen Administranten und Vorlesers
von Formeln. Wer sich als bloßen Religionslehrer, Prediger, Verkündiger,
und nicht als einen mit der bindenden und lösenden Kraft Christi ausgestatte¬
ten Diener Christi betrachtet, der ist kein Mann unsers Bedürfnisses. Wir
wollen nicht an den Herrn erinnert sein und nichts von ihm erzählt haben;
wir wollen ihn selbst sehen und als Sündenvergeber mit seiner die Todten
erweckenden Kraft im innersten Mark unsers Lebens fühlen. So aber bringt
ihn uns nur das Amt, welches Er selber eingesetzt hat als Träger seiner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/375>, abgerufen am 22.07.2024.