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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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O Stern der Liebe, längst versunken,
Verlöschen hatt' ich dich geglaubt;
Was wirfst du heute deine Funken
Noch einmal auf mein alternd Haupt?
Aus Wetterwolken mitternächtig
Rasse du voll finstrer Majestät,
Wie ein Komet, verderbenträchtig,
Sein flammend Haupt zur Erde dreht.
Ich aber steh' und fühl' erschrocken
Und selig dennoch deinen Strahl:
O nicht auf mich, auf braune Locken
Gieß deiner Gluten süße Qual!
Hab Mitleid mit dem müden Herzen,
So viel geprüft von Gram und Noth,
Es hat verlernt, wie lang! zu scherzen,
Und wenn es liebt, so liebt's zum Tod.
Umsonst, umsonst! Schon nah' und näher
Wälzt sich das gier'ge Element,
Und höher steigt und immer höher
Die holde Glut, die mich verbrennt.
Ich will entfliehen, kann nicht wenden
Den Fuß, gebannt von Qual und Lust,
Und drücke selbst mit beiden Händen
Den Flammenpfeil mir in die Brust!

Aber einen Fehler haben diese Gedichte - sie drängen dem Leser die Realität zu
handgreiflich auf. Man wird, von dieser Seite wenigstens, an Bürger erinnert, und
an Schillers viclgeschmähtc Kritik, die, wenn auch in ungeschickten Ausdrücken, sehr
richtig daraus hinwies, daß die Dichtung, die ganz in der subjectiven Wahrheit stehn
bleibt, den Leser peinigt, statt ihn zu erheben. Der Zauber der Poesie liegt darin,
daß wir uns an die nächste Noth nicht erinnern; das Meer ist ein erhabener An¬
blick, aber nicht für den, der darin umhertreibt, im Begriff zu ertrinken. Auch die
Lyrik wirkt nur dann wohlthuend, wenn sie uns die Stimmung; wie wird das
enden? fern hält. Hier werden aber über alle betheiligten Personen so viel Details
erzählt, daß der Eindruck fast noch beklommener ist, als in den frühern Liedern.--
In einem polemischen Sonett sagt Prutz:


Wir leben im Zeitalter des Realen,
Das, sagt ihr, muß sür manches uns entschuld'gen;
Es will die Welt aus einmal sich entled'gen
Von allen unfruchtbaren Idealen.
Nicht länger wolln wir nur auf Wolken malen;
Wir sind der Götter müd', davon sie pret'gen.
Der zürnenden sowol als auch der grad'gen;
Wer Schulden macht, der soll sie auch bezahlen.

Es ist doch nicht ganz so. Wer uns eine wirkliche Welt des Ideals auszu¬
malen versteht, die uns dem Staub dieser verworrenen Erde ganz enthebt, den
wollen wir freudig als Propheten begrüßen; die Welt ist nicht der Götter müde,
fie harrt ihrer mit größerer Sehnsucht als je, nur die Erscheinungen bleiben aus.
Der Dichter dagegen, der uns in den Staub dieser Erde vertieft, uns an alle die


O Stern der Liebe, längst versunken,
Verlöschen hatt' ich dich geglaubt;
Was wirfst du heute deine Funken
Noch einmal auf mein alternd Haupt?
Aus Wetterwolken mitternächtig
Rasse du voll finstrer Majestät,
Wie ein Komet, verderbenträchtig,
Sein flammend Haupt zur Erde dreht.
Ich aber steh' und fühl' erschrocken
Und selig dennoch deinen Strahl:
O nicht auf mich, auf braune Locken
Gieß deiner Gluten süße Qual!
Hab Mitleid mit dem müden Herzen,
So viel geprüft von Gram und Noth,
Es hat verlernt, wie lang! zu scherzen,
Und wenn es liebt, so liebt's zum Tod.
Umsonst, umsonst! Schon nah' und näher
Wälzt sich das gier'ge Element,
Und höher steigt und immer höher
Die holde Glut, die mich verbrennt.
Ich will entfliehen, kann nicht wenden
Den Fuß, gebannt von Qual und Lust,
Und drücke selbst mit beiden Händen
Den Flammenpfeil mir in die Brust!

Aber einen Fehler haben diese Gedichte - sie drängen dem Leser die Realität zu
handgreiflich auf. Man wird, von dieser Seite wenigstens, an Bürger erinnert, und
an Schillers viclgeschmähtc Kritik, die, wenn auch in ungeschickten Ausdrücken, sehr
richtig daraus hinwies, daß die Dichtung, die ganz in der subjectiven Wahrheit stehn
bleibt, den Leser peinigt, statt ihn zu erheben. Der Zauber der Poesie liegt darin,
daß wir uns an die nächste Noth nicht erinnern; das Meer ist ein erhabener An¬
blick, aber nicht für den, der darin umhertreibt, im Begriff zu ertrinken. Auch die
Lyrik wirkt nur dann wohlthuend, wenn sie uns die Stimmung; wie wird das
enden? fern hält. Hier werden aber über alle betheiligten Personen so viel Details
erzählt, daß der Eindruck fast noch beklommener ist, als in den frühern Liedern.—
In einem polemischen Sonett sagt Prutz:


Wir leben im Zeitalter des Realen,
Das, sagt ihr, muß sür manches uns entschuld'gen;
Es will die Welt aus einmal sich entled'gen
Von allen unfruchtbaren Idealen.
Nicht länger wolln wir nur auf Wolken malen;
Wir sind der Götter müd', davon sie pret'gen.
Der zürnenden sowol als auch der grad'gen;
Wer Schulden macht, der soll sie auch bezahlen.

Es ist doch nicht ganz so. Wer uns eine wirkliche Welt des Ideals auszu¬
malen versteht, die uns dem Staub dieser verworrenen Erde ganz enthebt, den
wollen wir freudig als Propheten begrüßen; die Welt ist nicht der Götter müde,
fie harrt ihrer mit größerer Sehnsucht als je, nur die Erscheinungen bleiben aus.
Der Dichter dagegen, der uns in den Staub dieser Erde vertieft, uns an alle die


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[0365] O Stern der Liebe, längst versunken, Verlöschen hatt' ich dich geglaubt; Was wirfst du heute deine Funken Noch einmal auf mein alternd Haupt? Aus Wetterwolken mitternächtig Rasse du voll finstrer Majestät, Wie ein Komet, verderbenträchtig, Sein flammend Haupt zur Erde dreht. Ich aber steh' und fühl' erschrocken Und selig dennoch deinen Strahl: O nicht auf mich, auf braune Locken Gieß deiner Gluten süße Qual! Hab Mitleid mit dem müden Herzen, So viel geprüft von Gram und Noth, Es hat verlernt, wie lang! zu scherzen, Und wenn es liebt, so liebt's zum Tod. Umsonst, umsonst! Schon nah' und näher Wälzt sich das gier'ge Element, Und höher steigt und immer höher Die holde Glut, die mich verbrennt. Ich will entfliehen, kann nicht wenden Den Fuß, gebannt von Qual und Lust, Und drücke selbst mit beiden Händen Den Flammenpfeil mir in die Brust! Aber einen Fehler haben diese Gedichte - sie drängen dem Leser die Realität zu handgreiflich auf. Man wird, von dieser Seite wenigstens, an Bürger erinnert, und an Schillers viclgeschmähtc Kritik, die, wenn auch in ungeschickten Ausdrücken, sehr richtig daraus hinwies, daß die Dichtung, die ganz in der subjectiven Wahrheit stehn bleibt, den Leser peinigt, statt ihn zu erheben. Der Zauber der Poesie liegt darin, daß wir uns an die nächste Noth nicht erinnern; das Meer ist ein erhabener An¬ blick, aber nicht für den, der darin umhertreibt, im Begriff zu ertrinken. Auch die Lyrik wirkt nur dann wohlthuend, wenn sie uns die Stimmung; wie wird das enden? fern hält. Hier werden aber über alle betheiligten Personen so viel Details erzählt, daß der Eindruck fast noch beklommener ist, als in den frühern Liedern.— In einem polemischen Sonett sagt Prutz: Wir leben im Zeitalter des Realen, Das, sagt ihr, muß sür manches uns entschuld'gen; Es will die Welt aus einmal sich entled'gen Von allen unfruchtbaren Idealen. Nicht länger wolln wir nur auf Wolken malen; Wir sind der Götter müd', davon sie pret'gen. Der zürnenden sowol als auch der grad'gen; Wer Schulden macht, der soll sie auch bezahlen. Es ist doch nicht ganz so. Wer uns eine wirkliche Welt des Ideals auszu¬ malen versteht, die uns dem Staub dieser verworrenen Erde ganz enthebt, den wollen wir freudig als Propheten begrüßen; die Welt ist nicht der Götter müde, fie harrt ihrer mit größerer Sehnsucht als je, nur die Erscheinungen bleiben aus. Der Dichter dagegen, der uns in den Staub dieser Erde vertieft, uns an alle die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/365>, abgerufen am 02.07.2024.