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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Hunde vorbeiführen -- sie waren alle wohlgenährt" (II. 117). Gelegentlich
wird dem Leser auch mitgetheilt, wie der Verfasser, nachdem er sich in der
Stille der Nacht über die beleuchteten Bergzacken hinüber mit seinen Lieben
unterhalten, mit nassen Augen das Fenster verläßt (I. 145). Wahrhaft ekel¬
erregend ist die cynische Art, in der Ehren-Kotzebue mit seiner aufgeklärten
Verachtung des Christenthums bei passenden und unpassenden Gelegenheiten
renommirt; wo ein antikes Monument einen christlichen Zusatz erhalten hat,
da ist es verunreinigt, wie die Trajanssäule durch die Statue des heiligen
Petrus, die Marc Aurelssäule durch die des heiligen Paul (III. 22). "Die
herrliche Pinakothek (in den Bädern'des Diocletian) ist durch eine Marien¬
kirche entweiht worden, die Michel Angelo erbaut hat" (III. 204). Eine Säule
aus dem Friedenstcmpel trägt eine Madonna vor Maria Maggiore: "selt¬
sam, daß eine Säule des Friedenstempcls vom eigensinnigen Schicksal be¬
stimmt wurde, die Mutter des Mannes zu tragen, dessen Lehre einen endlosen
blutigen Krieg veranlaßte" (I. 196). Daß die ersten Christen -- die damals
schon begannen, was sie Jahrtausende hindurch fortgesetzt haben, nämlich Staaten
verwirren und überall die Fackel der Zwietracht schütteln -- daß sie im Coios.
heuen bisweilen mit wilden Thieren kämpfen mußten, wird eine gerechte Strafe
genannt (I. 181). Konstantin heißt der Abtrünnige, in seiner Zeit ist die
Kunst "wie alles Uebrige" in Verfall gerathen (I. 193). Zuletzt wird man durch
die Entdeckung überrascht, daß Christus eigentlich nur eine Nachahmung von
Wischnu ist (III. 17).

Doch diese Reisebeschreibung hat noch ein andres Interesse, als daß sie
uns die Auffassung und Terminologie der damaligen Ausklärung vom reinsten
Wasser in Erinnerung bringt. Es ist die erste dreiste Opposition gegen den
traditionellen Enthusiasmus für Kunst und Alterthum, gegen den Idealismus
und das Princip der Formvollendung in der Kunst. Seume hatte sich um
diese Dinge wenig gekümmert, er bekennt seine Indifferenz, aber er sucht keinen
Ruhm darin; Kotzebue pocht aus seine natürliche ungebildete Empfindung ge¬
genüber dem gebildeten Sinn der Kenner. Mit der ganzen Dreistigkeit, die
Leuten dieses Schlages eigenthümlich ist, lobt und tadelt er, ohne zu ahnen,
daß ihm irgend etwas unfaßlich sein konnte, und seine Urtheile zeigen eine
seltene Vereinigung von Oberflächlichkeit, Stumpfheit und Ignoranz. Statt
der Vorrede gibt er ein Verzeichnis) aller derer, die sein Buch nicht lesen müssen.
Dazu gehören vor allem "alle Künstler und sogenannte Kunstkenner; es wäre
denn, daß es ihnen Vergnügen machte, alle Augenblicke mitleidig die Achseln
zu zucken. Denn weil sie die Kunst als etwas Fertiges betrachten, ich als
etwas täglich Neues -- sie als die Schöpfung einer Form, ich aber als den
Aufbaues eines Geistes -- sie als eine Prüfung geübter Augen, ich als eine
Beschäftigung der Seele -- weil ihnen die Form das Erste und mir das Letzte


Hunde vorbeiführen — sie waren alle wohlgenährt" (II. 117). Gelegentlich
wird dem Leser auch mitgetheilt, wie der Verfasser, nachdem er sich in der
Stille der Nacht über die beleuchteten Bergzacken hinüber mit seinen Lieben
unterhalten, mit nassen Augen das Fenster verläßt (I. 145). Wahrhaft ekel¬
erregend ist die cynische Art, in der Ehren-Kotzebue mit seiner aufgeklärten
Verachtung des Christenthums bei passenden und unpassenden Gelegenheiten
renommirt; wo ein antikes Monument einen christlichen Zusatz erhalten hat,
da ist es verunreinigt, wie die Trajanssäule durch die Statue des heiligen
Petrus, die Marc Aurelssäule durch die des heiligen Paul (III. 22). „Die
herrliche Pinakothek (in den Bädern'des Diocletian) ist durch eine Marien¬
kirche entweiht worden, die Michel Angelo erbaut hat" (III. 204). Eine Säule
aus dem Friedenstcmpel trägt eine Madonna vor Maria Maggiore: „selt¬
sam, daß eine Säule des Friedenstempcls vom eigensinnigen Schicksal be¬
stimmt wurde, die Mutter des Mannes zu tragen, dessen Lehre einen endlosen
blutigen Krieg veranlaßte" (I. 196). Daß die ersten Christen — die damals
schon begannen, was sie Jahrtausende hindurch fortgesetzt haben, nämlich Staaten
verwirren und überall die Fackel der Zwietracht schütteln — daß sie im Coios.
heuen bisweilen mit wilden Thieren kämpfen mußten, wird eine gerechte Strafe
genannt (I. 181). Konstantin heißt der Abtrünnige, in seiner Zeit ist die
Kunst „wie alles Uebrige" in Verfall gerathen (I. 193). Zuletzt wird man durch
die Entdeckung überrascht, daß Christus eigentlich nur eine Nachahmung von
Wischnu ist (III. 17).

Doch diese Reisebeschreibung hat noch ein andres Interesse, als daß sie
uns die Auffassung und Terminologie der damaligen Ausklärung vom reinsten
Wasser in Erinnerung bringt. Es ist die erste dreiste Opposition gegen den
traditionellen Enthusiasmus für Kunst und Alterthum, gegen den Idealismus
und das Princip der Formvollendung in der Kunst. Seume hatte sich um
diese Dinge wenig gekümmert, er bekennt seine Indifferenz, aber er sucht keinen
Ruhm darin; Kotzebue pocht aus seine natürliche ungebildete Empfindung ge¬
genüber dem gebildeten Sinn der Kenner. Mit der ganzen Dreistigkeit, die
Leuten dieses Schlages eigenthümlich ist, lobt und tadelt er, ohne zu ahnen,
daß ihm irgend etwas unfaßlich sein konnte, und seine Urtheile zeigen eine
seltene Vereinigung von Oberflächlichkeit, Stumpfheit und Ignoranz. Statt
der Vorrede gibt er ein Verzeichnis) aller derer, die sein Buch nicht lesen müssen.
Dazu gehören vor allem „alle Künstler und sogenannte Kunstkenner; es wäre
denn, daß es ihnen Vergnügen machte, alle Augenblicke mitleidig die Achseln
zu zucken. Denn weil sie die Kunst als etwas Fertiges betrachten, ich als
etwas täglich Neues — sie als die Schöpfung einer Form, ich aber als den
Aufbaues eines Geistes — sie als eine Prüfung geübter Augen, ich als eine
Beschäftigung der Seele — weil ihnen die Form das Erste und mir das Letzte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/349>, abgerufen am 05.07.2024.