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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Gottes, des Königs unsrer Stadt, und der heiligen Jungfrau Maria, unsrer
Königin, ernähren wir dich, all diesen eiteln Schmuck abzulegen; thust du es
nicht, so wirst du von Krankheit heimgesucht werden." Sie begnügten sich
nicht, ihr Amt auf den Straßen zu verwalten, sondern ließen sich die Häuser
öffnen, nahmen daselbst Karten. Schachbretcr, Harfen, Lauten, die wohl¬
riechenden Essenzen, Spiegel, Masten, Dichterwerke und andere zum Verder¬
ben gereichende Dinge weg. In allen Häusern war Zwiespalt ausgebrochen.
Mann und Frau, Vater und Kinder, kurz alle lagen miteinander in Streit,
die Schwiegermutter jagte ihre Schwiegertochter aus dem Hause, der Mann
seine Frau, und die Frauen schrieben heimlich an Savonarola, ihm die An¬
schläge ihrer Männer zu verrathen.

Schon zu Anfang 1496 hatte der Reformator eine Leihanstalt errichtet,
in welcher den Bedürftigen zu unerhört billigen Zinsen Geld ausgeliehen
wurde. Also auch Proudhon hat nichts Neues erfunden. Natürlich konnte
die Leihanstalt nur durch Zwnngssteuern erhalten werden, die man den Reichen
auflegte.

ES versteht sich von selbst, daß gegen dies Treiben in der Stadt eine
starke Opposition bestand, die aber nicht laut zu werden wagte. Sie wandte
sich unter der Hand an den Papst, der auch einige Schritte that, aber nicht
darauf bestand, da ihm vorläufig die Sache nicht nahe zu liegen schien. Erst
als der Herzog von Mailand, damals der Vormund der conservativen Sache,
ihn drängte, ließ er sich im September und October 1495 zu strengern Ver¬
boten herbei, aber auch diese hatten keine Wirkung, da die Zeitströmung noch
entschieden für den Propheten war. Bald geschah etwas, was in solchen
Fällen fast nie ausbleibt: man fürchtete für das Leben des guten Volksfreun¬
des und gab ihm eine Leibwache. Schon wurde seine Sprache gegen den
Papst dreister. "Wenn der Papst sich von den Pharisäern fälschlich bereden
liebe und mir beföhle, nicht mehr zu predigen, so würde ich. da ein solcher
Befehl dem Anbau des Weinbergs des Herrn zuwider wäre, nicht in Worten
aber in Absichten gehorchen. So lautet die Meinung des heiligen Thomas.
Wenn er mir beföhle, während der Fasten Fleisch zu essen, während ich
doch gesund bin, so würde ich nicht gehalten sein, ihm zu folgen, weil ein
solcher Befehl M) mit unsrer Ordensregel und Verfassung nicht verein¬
baren ließe."

Der Papst berief darauf April 1496 ein Capitel von den Dominicanern,
die einstimmig den Bruder Hieronymus für einen Ketzer erklärten, doch dauerte
es noch bis zum 12. Mai 1497 , ehe sich der Papst entschloß, den Bannfluch
auszusprechen.

In der Zeit hatte Savonarola mehrfachen Anstoß gegeben. Bei einer
Procession, bei welcher 8000 Kinder die Hauptrolle spielten, tanzten die Do-


Gottes, des Königs unsrer Stadt, und der heiligen Jungfrau Maria, unsrer
Königin, ernähren wir dich, all diesen eiteln Schmuck abzulegen; thust du es
nicht, so wirst du von Krankheit heimgesucht werden." Sie begnügten sich
nicht, ihr Amt auf den Straßen zu verwalten, sondern ließen sich die Häuser
öffnen, nahmen daselbst Karten. Schachbretcr, Harfen, Lauten, die wohl¬
riechenden Essenzen, Spiegel, Masten, Dichterwerke und andere zum Verder¬
ben gereichende Dinge weg. In allen Häusern war Zwiespalt ausgebrochen.
Mann und Frau, Vater und Kinder, kurz alle lagen miteinander in Streit,
die Schwiegermutter jagte ihre Schwiegertochter aus dem Hause, der Mann
seine Frau, und die Frauen schrieben heimlich an Savonarola, ihm die An¬
schläge ihrer Männer zu verrathen.

Schon zu Anfang 1496 hatte der Reformator eine Leihanstalt errichtet,
in welcher den Bedürftigen zu unerhört billigen Zinsen Geld ausgeliehen
wurde. Also auch Proudhon hat nichts Neues erfunden. Natürlich konnte
die Leihanstalt nur durch Zwnngssteuern erhalten werden, die man den Reichen
auflegte.

ES versteht sich von selbst, daß gegen dies Treiben in der Stadt eine
starke Opposition bestand, die aber nicht laut zu werden wagte. Sie wandte
sich unter der Hand an den Papst, der auch einige Schritte that, aber nicht
darauf bestand, da ihm vorläufig die Sache nicht nahe zu liegen schien. Erst
als der Herzog von Mailand, damals der Vormund der conservativen Sache,
ihn drängte, ließ er sich im September und October 1495 zu strengern Ver¬
boten herbei, aber auch diese hatten keine Wirkung, da die Zeitströmung noch
entschieden für den Propheten war. Bald geschah etwas, was in solchen
Fällen fast nie ausbleibt: man fürchtete für das Leben des guten Volksfreun¬
des und gab ihm eine Leibwache. Schon wurde seine Sprache gegen den
Papst dreister. „Wenn der Papst sich von den Pharisäern fälschlich bereden
liebe und mir beföhle, nicht mehr zu predigen, so würde ich. da ein solcher
Befehl dem Anbau des Weinbergs des Herrn zuwider wäre, nicht in Worten
aber in Absichten gehorchen. So lautet die Meinung des heiligen Thomas.
Wenn er mir beföhle, während der Fasten Fleisch zu essen, während ich
doch gesund bin, so würde ich nicht gehalten sein, ihm zu folgen, weil ein
solcher Befehl M) mit unsrer Ordensregel und Verfassung nicht verein¬
baren ließe."

Der Papst berief darauf April 1496 ein Capitel von den Dominicanern,
die einstimmig den Bruder Hieronymus für einen Ketzer erklärten, doch dauerte
es noch bis zum 12. Mai 1497 , ehe sich der Papst entschloß, den Bannfluch
auszusprechen.

In der Zeit hatte Savonarola mehrfachen Anstoß gegeben. Bei einer
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/341>, abgerufen am 22.07.2024.