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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Wenn auch die Verfassung einen demokratischen Zuschnitt hatte, so war
sie in der Form doch keineswegs eine reine Demokratie; im Gegentheil waren
die Rechts befugnisse der verschiedenen Classen auf eine ziemlich verwickelte
Weise geordnet. Indessen auf diese Formen kam wenig an, da in allen ernst¬
haften Fragen der Wille der Volksmasse den Ausschlag gab, und diese unbe¬
dingt von ihrem Propheten geleitet wurde. Was mit Revolutionen gewöhn¬
lich verbunden zu sein pflegt. Schuldenerlaß, Einkommensteuer, selbst ein Maxi-
mum für die Lebensmittel, fand auch diesmal statt. Weit entfernt, dem
individuellen Belieben Freiheit zu geben, spannte Savonarola die Zügel sehr
straff an: da Christus selbst an der Spitze der Republik stehe, so werde jede
weitere Kritik der Regierung zu einer Gotteslästerung. -- Man sieht, es ge¬
schieht nichts Neues unter der Sonne.

Ganz anders als Luther, der nach seiner Lossagung von Rom in den
Schoß des Volks zurücktrat, blieb Savonarola als Reformator der alte
Mönch. Aller Luxus und alle Festlichkeiten wurden VM Polizei wegen unter¬
sagt, sast die Hälfte des Jahres wurden Fasten gehalten, in den Straßen
hörte man nur geistliche Gesänge erschallen. Der Unterricht in den alten Spra¬
chen wurde nicht mehr aus den Schriften des Horaz, Cicero und Virgil, sondern
aus dem heiligen Leo. dem heiligen Hieronymus und dem heiligen Ambrosius
geschöpft. Man sah die Frauen und öfters auch die Männer auf den Straßen
in ihren Gebetbüchern lesen. Während der ganzen Dauer der Predigt blieben
die Schulen und die Verkaufsladen geschlossen. Wollten diese neuen Christen
einmal eine Ergötzlichkeit haben, so vereinigten sich etwa ihrer dreißig Männer
und Weiber an einem angenehmen Ort, in der Stadt oder auf dem Lande;
nachdem sie zuvor communicirt. brachten sie den Tag unter Lobpreisungen
Gottes und dein Absingen von Psalmen hin. Bisweilen nahmen sie das
Jesuskindlein in ihre Mitte und richteten an dasselbe unter Thränen Gebete.
Sie hielten fromme Reden und trugen in Procession das Bild der Madonna
herum. Savonarola billigte es, wenn Frauen, die von ihren Gatten nicht
die Bewilligung erhalten konnten, ins Kloster zu treten, den Entschluß faßten
ihre Lebenstage fortan so zu verleben, als wenn sie nicht verheirathet wären,
ja er mischte sich in das innere Leben des Hauses in einer Weise, wie es
noch nie ein Despot gethan. Noch unerhörter war das Mittel, welches er
dazu anwendete. Er warb die Kinder für seine Predigten und übertrug ihnen
die Sittenpolizei, sie mußten überall in der Stadt umherwandern. um die
Gotteslästerer und Spieler zu verfolgen, und den letztern ihre Karten, Würfel
und selbst Geld wegzunehmen, welches sie dann den Armen gaben. Wenn
sie junge Mädchen zu prächtig geschmückt antrafen, so richteten sie an dieselben
wie ein Anhänger des Propheten erzählt, "mit einer Sanftmuth und Ein¬
fachheit, daß man Thränen dabei vergoß," Worte wie etwa: "im Namen


Wenn auch die Verfassung einen demokratischen Zuschnitt hatte, so war
sie in der Form doch keineswegs eine reine Demokratie; im Gegentheil waren
die Rechts befugnisse der verschiedenen Classen auf eine ziemlich verwickelte
Weise geordnet. Indessen auf diese Formen kam wenig an, da in allen ernst¬
haften Fragen der Wille der Volksmasse den Ausschlag gab, und diese unbe¬
dingt von ihrem Propheten geleitet wurde. Was mit Revolutionen gewöhn¬
lich verbunden zu sein pflegt. Schuldenerlaß, Einkommensteuer, selbst ein Maxi-
mum für die Lebensmittel, fand auch diesmal statt. Weit entfernt, dem
individuellen Belieben Freiheit zu geben, spannte Savonarola die Zügel sehr
straff an: da Christus selbst an der Spitze der Republik stehe, so werde jede
weitere Kritik der Regierung zu einer Gotteslästerung. — Man sieht, es ge¬
schieht nichts Neues unter der Sonne.

Ganz anders als Luther, der nach seiner Lossagung von Rom in den
Schoß des Volks zurücktrat, blieb Savonarola als Reformator der alte
Mönch. Aller Luxus und alle Festlichkeiten wurden VM Polizei wegen unter¬
sagt, sast die Hälfte des Jahres wurden Fasten gehalten, in den Straßen
hörte man nur geistliche Gesänge erschallen. Der Unterricht in den alten Spra¬
chen wurde nicht mehr aus den Schriften des Horaz, Cicero und Virgil, sondern
aus dem heiligen Leo. dem heiligen Hieronymus und dem heiligen Ambrosius
geschöpft. Man sah die Frauen und öfters auch die Männer auf den Straßen
in ihren Gebetbüchern lesen. Während der ganzen Dauer der Predigt blieben
die Schulen und die Verkaufsladen geschlossen. Wollten diese neuen Christen
einmal eine Ergötzlichkeit haben, so vereinigten sich etwa ihrer dreißig Männer
und Weiber an einem angenehmen Ort, in der Stadt oder auf dem Lande;
nachdem sie zuvor communicirt. brachten sie den Tag unter Lobpreisungen
Gottes und dein Absingen von Psalmen hin. Bisweilen nahmen sie das
Jesuskindlein in ihre Mitte und richteten an dasselbe unter Thränen Gebete.
Sie hielten fromme Reden und trugen in Procession das Bild der Madonna
herum. Savonarola billigte es, wenn Frauen, die von ihren Gatten nicht
die Bewilligung erhalten konnten, ins Kloster zu treten, den Entschluß faßten
ihre Lebenstage fortan so zu verleben, als wenn sie nicht verheirathet wären,
ja er mischte sich in das innere Leben des Hauses in einer Weise, wie es
noch nie ein Despot gethan. Noch unerhörter war das Mittel, welches er
dazu anwendete. Er warb die Kinder für seine Predigten und übertrug ihnen
die Sittenpolizei, sie mußten überall in der Stadt umherwandern. um die
Gotteslästerer und Spieler zu verfolgen, und den letztern ihre Karten, Würfel
und selbst Geld wegzunehmen, welches sie dann den Armen gaben. Wenn
sie junge Mädchen zu prächtig geschmückt antrafen, so richteten sie an dieselben
wie ein Anhänger des Propheten erzählt, „mit einer Sanftmuth und Ein¬
fachheit, daß man Thränen dabei vergoß," Worte wie etwa: „im Namen


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[0340] Wenn auch die Verfassung einen demokratischen Zuschnitt hatte, so war sie in der Form doch keineswegs eine reine Demokratie; im Gegentheil waren die Rechts befugnisse der verschiedenen Classen auf eine ziemlich verwickelte Weise geordnet. Indessen auf diese Formen kam wenig an, da in allen ernst¬ haften Fragen der Wille der Volksmasse den Ausschlag gab, und diese unbe¬ dingt von ihrem Propheten geleitet wurde. Was mit Revolutionen gewöhn¬ lich verbunden zu sein pflegt. Schuldenerlaß, Einkommensteuer, selbst ein Maxi- mum für die Lebensmittel, fand auch diesmal statt. Weit entfernt, dem individuellen Belieben Freiheit zu geben, spannte Savonarola die Zügel sehr straff an: da Christus selbst an der Spitze der Republik stehe, so werde jede weitere Kritik der Regierung zu einer Gotteslästerung. — Man sieht, es ge¬ schieht nichts Neues unter der Sonne. Ganz anders als Luther, der nach seiner Lossagung von Rom in den Schoß des Volks zurücktrat, blieb Savonarola als Reformator der alte Mönch. Aller Luxus und alle Festlichkeiten wurden VM Polizei wegen unter¬ sagt, sast die Hälfte des Jahres wurden Fasten gehalten, in den Straßen hörte man nur geistliche Gesänge erschallen. Der Unterricht in den alten Spra¬ chen wurde nicht mehr aus den Schriften des Horaz, Cicero und Virgil, sondern aus dem heiligen Leo. dem heiligen Hieronymus und dem heiligen Ambrosius geschöpft. Man sah die Frauen und öfters auch die Männer auf den Straßen in ihren Gebetbüchern lesen. Während der ganzen Dauer der Predigt blieben die Schulen und die Verkaufsladen geschlossen. Wollten diese neuen Christen einmal eine Ergötzlichkeit haben, so vereinigten sich etwa ihrer dreißig Männer und Weiber an einem angenehmen Ort, in der Stadt oder auf dem Lande; nachdem sie zuvor communicirt. brachten sie den Tag unter Lobpreisungen Gottes und dein Absingen von Psalmen hin. Bisweilen nahmen sie das Jesuskindlein in ihre Mitte und richteten an dasselbe unter Thränen Gebete. Sie hielten fromme Reden und trugen in Procession das Bild der Madonna herum. Savonarola billigte es, wenn Frauen, die von ihren Gatten nicht die Bewilligung erhalten konnten, ins Kloster zu treten, den Entschluß faßten ihre Lebenstage fortan so zu verleben, als wenn sie nicht verheirathet wären, ja er mischte sich in das innere Leben des Hauses in einer Weise, wie es noch nie ein Despot gethan. Noch unerhörter war das Mittel, welches er dazu anwendete. Er warb die Kinder für seine Predigten und übertrug ihnen die Sittenpolizei, sie mußten überall in der Stadt umherwandern. um die Gotteslästerer und Spieler zu verfolgen, und den letztern ihre Karten, Würfel und selbst Geld wegzunehmen, welches sie dann den Armen gaben. Wenn sie junge Mädchen zu prächtig geschmückt antrafen, so richteten sie an dieselben wie ein Anhänger des Propheten erzählt, „mit einer Sanftmuth und Ein¬ fachheit, daß man Thränen dabei vergoß," Worte wie etwa: „im Namen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/340>, abgerufen am 03.07.2024.