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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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minicnner, das Haupt mit Kränzen geschmückt, auf dem freien Platz eine Runde,
indem sie dabei Hymnen und Psalmen sangen. In einem feierlichen Autodafö
wurden die von den Kindern confiscirten Luxusgegenstünde verbrannt, da¬
runter mehre berühmte Gemälde und Dichtungen. Schon fing man an, gegen
den Reformator zu predigen und was schlimmer ist, Spottgedichte zu machen.
Die Medici hatten einen Handstreich versucht, infolge dessen ein Proceß ein¬
geleitet wurde: fünf der angesehensten Edelleute wurden hingerichtet und ihre
Güter confiscire August 1497. Die Erbitterung stieg, aber noch immer war
sein Anhang zu mächtig, als daß der Bannspruch des Papstes hätte durch¬
geführt werden können.

Seit dem Februar 1498 sing er wieder an öffentlich zu predigen und
zwar diesmal in offnem Widerspruch gegen den Papst.

"Als Grundsatz nehme ich an, daß jeder Mensch sich täuschen kann; der
Papst selbst ist nicht untrüglich. Es wäre Unsinn, das Gegentheil zu behaup¬
ten. Wie viele schlechte Päpste hat es gegeben, welche sich geirrt haben!
Wenn es wahr wäre, daß der Papst von allem Irrthum frei ist, so würden
wir, wenn wir das thäten, was die Päpste thun, sicher sein, selig zu werden.
Ein Papst, werdet ihr sagen, kann irren, inwiefern er ein Mensch ist, aber
nicht als Papst. Gleichwol sind die Entscheidungen, welche sie treffen, voller
Irrthümer. Leset alle Verordnungen eines Papstes, ein andrer hat sie wieder
vernichtet. Die Meinungen der Päpste stehen untereinander im Widerspruch.
Es gibt für sie eine doppelte Art sich zu irren, erstens wissen sie nur, da sie
in Rom sind, vom Hörensagen, was außerhalb vorgeht, und man belügt sie
oft; zweitens können sie boshaft und gegen ihr Gewissen handeln. Nichts¬
destoweniger dürfen wir ihnen aber niemals eine böse Absicht unterschieben.
Gott allein kann die Herzen erforschen; die Menschen aber müssen annehmen,
daß der Wille des Papstes gut, daß er aber hintergangen worden ist."

"Man sagt, daß der Papst als Papst untrüglich ist, und glaubt etwas
recht Schönes gesagt zu haben. Allein das ist nur so eine hergebrachte
Redensart. An und für sich jedoch ist es wahr; allein was nicht recht ist,
ist das, daß man den Satz gegen mich anwendet. Es ist auch wahr, daß
ein Christ, inwiefern er Christ ist, nicht sündigen kann, und dennoch sündigen
so viele Christen, insofern sie Menschen sind, und jeder Mensch kann irren.
Ich selbst kann, insofern ich Christ bin, nicht irren, und als Geistlicher kann
ich nicht gegen meine Ordensregel handeln. Fraget die Philosophen! Der
schwächste Logiker wird euch sagen, daß dieser Satz wahr ist. Also ist der
Papst, inwiefern er Papst ist, untrüglich , denn dann geht er den Weg der
Pflicht. Wenn er irrt, ist er nicht mehr Papst, und wenn er Böses befiehlt,
so ist es nicht der Papst, welcher es befiehlt."

Der Krieg war jetzt offen erklärt, und der letzte Ausgang konnte nicht


minicnner, das Haupt mit Kränzen geschmückt, auf dem freien Platz eine Runde,
indem sie dabei Hymnen und Psalmen sangen. In einem feierlichen Autodafö
wurden die von den Kindern confiscirten Luxusgegenstünde verbrannt, da¬
runter mehre berühmte Gemälde und Dichtungen. Schon fing man an, gegen
den Reformator zu predigen und was schlimmer ist, Spottgedichte zu machen.
Die Medici hatten einen Handstreich versucht, infolge dessen ein Proceß ein¬
geleitet wurde: fünf der angesehensten Edelleute wurden hingerichtet und ihre
Güter confiscire August 1497. Die Erbitterung stieg, aber noch immer war
sein Anhang zu mächtig, als daß der Bannspruch des Papstes hätte durch¬
geführt werden können.

Seit dem Februar 1498 sing er wieder an öffentlich zu predigen und
zwar diesmal in offnem Widerspruch gegen den Papst.

„Als Grundsatz nehme ich an, daß jeder Mensch sich täuschen kann; der
Papst selbst ist nicht untrüglich. Es wäre Unsinn, das Gegentheil zu behaup¬
ten. Wie viele schlechte Päpste hat es gegeben, welche sich geirrt haben!
Wenn es wahr wäre, daß der Papst von allem Irrthum frei ist, so würden
wir, wenn wir das thäten, was die Päpste thun, sicher sein, selig zu werden.
Ein Papst, werdet ihr sagen, kann irren, inwiefern er ein Mensch ist, aber
nicht als Papst. Gleichwol sind die Entscheidungen, welche sie treffen, voller
Irrthümer. Leset alle Verordnungen eines Papstes, ein andrer hat sie wieder
vernichtet. Die Meinungen der Päpste stehen untereinander im Widerspruch.
Es gibt für sie eine doppelte Art sich zu irren, erstens wissen sie nur, da sie
in Rom sind, vom Hörensagen, was außerhalb vorgeht, und man belügt sie
oft; zweitens können sie boshaft und gegen ihr Gewissen handeln. Nichts¬
destoweniger dürfen wir ihnen aber niemals eine böse Absicht unterschieben.
Gott allein kann die Herzen erforschen; die Menschen aber müssen annehmen,
daß der Wille des Papstes gut, daß er aber hintergangen worden ist."

„Man sagt, daß der Papst als Papst untrüglich ist, und glaubt etwas
recht Schönes gesagt zu haben. Allein das ist nur so eine hergebrachte
Redensart. An und für sich jedoch ist es wahr; allein was nicht recht ist,
ist das, daß man den Satz gegen mich anwendet. Es ist auch wahr, daß
ein Christ, inwiefern er Christ ist, nicht sündigen kann, und dennoch sündigen
so viele Christen, insofern sie Menschen sind, und jeder Mensch kann irren.
Ich selbst kann, insofern ich Christ bin, nicht irren, und als Geistlicher kann
ich nicht gegen meine Ordensregel handeln. Fraget die Philosophen! Der
schwächste Logiker wird euch sagen, daß dieser Satz wahr ist. Also ist der
Papst, inwiefern er Papst ist, untrüglich , denn dann geht er den Weg der
Pflicht. Wenn er irrt, ist er nicht mehr Papst, und wenn er Böses befiehlt,
so ist es nicht der Papst, welcher es befiehlt."

Der Krieg war jetzt offen erklärt, und der letzte Ausgang konnte nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/342>, abgerufen am 26.07.2024.