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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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der Schlendrian einer schlaffen Verwaltung an. Eine öde Ruine seit dreißig
Jahren schaut das Fare von La Guaira, einige hundert Fuß über der Stadt,
nach der weiten See hinaus und wahrt nur noch die Signalstangc,
welche ankommende Schiffe anzeigt. Im Zollhaus herrscht polnische Wirth"
schaft. Selbst energische Klagen der Kaufleute vermögen beim Gouvernement
nicht einen geordneten Geschäftsgang und prompter Dienst durchzusetzen. Und
wer sich überzeugen will, wie bei Mangel an Pflege das Beste verwildert,
reite nur auf dem alten Wege nach Caracas. In breiten tiefen Wasserrinnen
querüber zeichnen Regengüsse ihre Spur; ganz weggespült sind hier und da
die Pflastersteine. Aengstlich das Ausrutschen auf dem schlüpfrigen Boden
vermeidend, tragt das schweißtriefende Roß seinen Reiter, vorsichtig meidet
das herabkommende Lastthier einzelne umherliegende spitzige Steine. Schritt
vor Schritt bemißt es genau, um sicher aufzutreten, die Weite des Ganges
und trippelt bei steileren Stellen mit eingezogenen Hinterbeinen langsam herun¬
ter, bald links sich wendend, bald rechts sich bessere Fährte suchend und er¬
müdet weit schneller in dem Gefühl beengter Scheu vor einem Fehltritt auf
dem unebnen Wege, als unter dem Drucke der schwankenden Last. Und da¬
bei fühlt es noch häufig genug den harten Stab des Maultiertreibers, der in
munterem Gespräche mit seinen Kameraden hinterdrein trollt und sich seiner Esel
nur erinnert, um auf zurückbleibende zu schlagen und auf alle zu fluchen.

Die Steigung des Weges beginnt erst in Maiquetia. einem Dorfe eine
Viertelstunde westlich von La Guaira. Fast netzt der Schaum der Brandung den
Wanderer, zu dessen Linker Hütten mit einfacher Thüröffnung, ohne Fenster, dem
Meere zugekehrt stehen. Kinder treiben sich mit Kugeln spielend herum, nackt
wie sie der Herr erschaffen, farbige Frauen mit schlecht verhüllter Brust tragen
ihre Kleinen rittlings auf der Hüfte, so daß die Beinchen sich spreitzen, und
gruppiren sich auf ebner Erde vor dem Hause zu traulichem Schwatzen. Der
Ort selbst ist nett und anständig, zählt recht ansehnliche Häuser nebst einer
neuen schmucken Kirche und genießt wegen freierer Lage mehr von der kühlen¬
den Seebrise. Rechts auf dem Landvorsprunge, der sich bis zu dem nahen
weißgrauen Felsen des Cap Blanco ausdehnt, wiegen sich die Wipfel schlanker
Cocospnlmen. die urwüchsig schief aus dem Boden entsprossen sich zu einem
Wäldchen gruppiren und der Landschaft echt tropischen Anstrich geben. Links
versteckt sich nach hinten zwischen den Hitze ausstrahlenden dürren Felsen eine
liebliche Thalschlucht; eine üppige Vegetation, kräftige Bäume und dichtes
Gebüsch verrathen dort einen Gebirgsbach. der unter ihrem Schatten bald
wild rauschend, bald anmuthig plätschernd sich dahin schlängelt. In diesem
klaren kühlen Wasser und zwischen glatt gespülter Felsstücken im Schatten
der ineinanderverschlungenen Laubkronen unter heimlicher Stille dieser großen
Natur sich einsam zu baden, ist in diesem Klima wahre Götterlust.


der Schlendrian einer schlaffen Verwaltung an. Eine öde Ruine seit dreißig
Jahren schaut das Fare von La Guaira, einige hundert Fuß über der Stadt,
nach der weiten See hinaus und wahrt nur noch die Signalstangc,
welche ankommende Schiffe anzeigt. Im Zollhaus herrscht polnische Wirth«
schaft. Selbst energische Klagen der Kaufleute vermögen beim Gouvernement
nicht einen geordneten Geschäftsgang und prompter Dienst durchzusetzen. Und
wer sich überzeugen will, wie bei Mangel an Pflege das Beste verwildert,
reite nur auf dem alten Wege nach Caracas. In breiten tiefen Wasserrinnen
querüber zeichnen Regengüsse ihre Spur; ganz weggespült sind hier und da
die Pflastersteine. Aengstlich das Ausrutschen auf dem schlüpfrigen Boden
vermeidend, tragt das schweißtriefende Roß seinen Reiter, vorsichtig meidet
das herabkommende Lastthier einzelne umherliegende spitzige Steine. Schritt
vor Schritt bemißt es genau, um sicher aufzutreten, die Weite des Ganges
und trippelt bei steileren Stellen mit eingezogenen Hinterbeinen langsam herun¬
ter, bald links sich wendend, bald rechts sich bessere Fährte suchend und er¬
müdet weit schneller in dem Gefühl beengter Scheu vor einem Fehltritt auf
dem unebnen Wege, als unter dem Drucke der schwankenden Last. Und da¬
bei fühlt es noch häufig genug den harten Stab des Maultiertreibers, der in
munterem Gespräche mit seinen Kameraden hinterdrein trollt und sich seiner Esel
nur erinnert, um auf zurückbleibende zu schlagen und auf alle zu fluchen.

Die Steigung des Weges beginnt erst in Maiquetia. einem Dorfe eine
Viertelstunde westlich von La Guaira. Fast netzt der Schaum der Brandung den
Wanderer, zu dessen Linker Hütten mit einfacher Thüröffnung, ohne Fenster, dem
Meere zugekehrt stehen. Kinder treiben sich mit Kugeln spielend herum, nackt
wie sie der Herr erschaffen, farbige Frauen mit schlecht verhüllter Brust tragen
ihre Kleinen rittlings auf der Hüfte, so daß die Beinchen sich spreitzen, und
gruppiren sich auf ebner Erde vor dem Hause zu traulichem Schwatzen. Der
Ort selbst ist nett und anständig, zählt recht ansehnliche Häuser nebst einer
neuen schmucken Kirche und genießt wegen freierer Lage mehr von der kühlen¬
den Seebrise. Rechts auf dem Landvorsprunge, der sich bis zu dem nahen
weißgrauen Felsen des Cap Blanco ausdehnt, wiegen sich die Wipfel schlanker
Cocospnlmen. die urwüchsig schief aus dem Boden entsprossen sich zu einem
Wäldchen gruppiren und der Landschaft echt tropischen Anstrich geben. Links
versteckt sich nach hinten zwischen den Hitze ausstrahlenden dürren Felsen eine
liebliche Thalschlucht; eine üppige Vegetation, kräftige Bäume und dichtes
Gebüsch verrathen dort einen Gebirgsbach. der unter ihrem Schatten bald
wild rauschend, bald anmuthig plätschernd sich dahin schlängelt. In diesem
klaren kühlen Wasser und zwischen glatt gespülter Felsstücken im Schatten
der ineinanderverschlungenen Laubkronen unter heimlicher Stille dieser großen
Natur sich einsam zu baden, ist in diesem Klima wahre Götterlust.


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[0317] der Schlendrian einer schlaffen Verwaltung an. Eine öde Ruine seit dreißig Jahren schaut das Fare von La Guaira, einige hundert Fuß über der Stadt, nach der weiten See hinaus und wahrt nur noch die Signalstangc, welche ankommende Schiffe anzeigt. Im Zollhaus herrscht polnische Wirth« schaft. Selbst energische Klagen der Kaufleute vermögen beim Gouvernement nicht einen geordneten Geschäftsgang und prompter Dienst durchzusetzen. Und wer sich überzeugen will, wie bei Mangel an Pflege das Beste verwildert, reite nur auf dem alten Wege nach Caracas. In breiten tiefen Wasserrinnen querüber zeichnen Regengüsse ihre Spur; ganz weggespült sind hier und da die Pflastersteine. Aengstlich das Ausrutschen auf dem schlüpfrigen Boden vermeidend, tragt das schweißtriefende Roß seinen Reiter, vorsichtig meidet das herabkommende Lastthier einzelne umherliegende spitzige Steine. Schritt vor Schritt bemißt es genau, um sicher aufzutreten, die Weite des Ganges und trippelt bei steileren Stellen mit eingezogenen Hinterbeinen langsam herun¬ ter, bald links sich wendend, bald rechts sich bessere Fährte suchend und er¬ müdet weit schneller in dem Gefühl beengter Scheu vor einem Fehltritt auf dem unebnen Wege, als unter dem Drucke der schwankenden Last. Und da¬ bei fühlt es noch häufig genug den harten Stab des Maultiertreibers, der in munterem Gespräche mit seinen Kameraden hinterdrein trollt und sich seiner Esel nur erinnert, um auf zurückbleibende zu schlagen und auf alle zu fluchen. Die Steigung des Weges beginnt erst in Maiquetia. einem Dorfe eine Viertelstunde westlich von La Guaira. Fast netzt der Schaum der Brandung den Wanderer, zu dessen Linker Hütten mit einfacher Thüröffnung, ohne Fenster, dem Meere zugekehrt stehen. Kinder treiben sich mit Kugeln spielend herum, nackt wie sie der Herr erschaffen, farbige Frauen mit schlecht verhüllter Brust tragen ihre Kleinen rittlings auf der Hüfte, so daß die Beinchen sich spreitzen, und gruppiren sich auf ebner Erde vor dem Hause zu traulichem Schwatzen. Der Ort selbst ist nett und anständig, zählt recht ansehnliche Häuser nebst einer neuen schmucken Kirche und genießt wegen freierer Lage mehr von der kühlen¬ den Seebrise. Rechts auf dem Landvorsprunge, der sich bis zu dem nahen weißgrauen Felsen des Cap Blanco ausdehnt, wiegen sich die Wipfel schlanker Cocospnlmen. die urwüchsig schief aus dem Boden entsprossen sich zu einem Wäldchen gruppiren und der Landschaft echt tropischen Anstrich geben. Links versteckt sich nach hinten zwischen den Hitze ausstrahlenden dürren Felsen eine liebliche Thalschlucht; eine üppige Vegetation, kräftige Bäume und dichtes Gebüsch verrathen dort einen Gebirgsbach. der unter ihrem Schatten bald wild rauschend, bald anmuthig plätschernd sich dahin schlängelt. In diesem klaren kühlen Wasser und zwischen glatt gespülter Felsstücken im Schatten der ineinanderverschlungenen Laubkronen unter heimlicher Stille dieser großen Natur sich einsam zu baden, ist in diesem Klima wahre Götterlust.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/317>, abgerufen am 22.07.2024.