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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Die Region des Cactus ist es zuerst, die uns empfängt, wenn wir auf
einem der drei Wege von Caracas reiten, von denen nächst dem eben ge¬
nannten- breiteren der eine nur ein schmaler steiler Pfad ist. der Jndianersteg
genannt, der andere und längste in gleicher Steile über den 6000 F. hohen
Galipan führt. Die Glut der Sonne lastet mit aller Macht auf diesen un¬
tersten Felsrücken und gibt der Vegetation einen kahlen trocknen Anstrich.
Hoch aufstrebende Cactussäulen stehen gruppenweise umher in eintöniger
Stimmung und Farbe, untermengt mit andern Gewächsen, die einen'dürren
Boden lieben. Wir befinden uns in dem heißen Strich der tierra, oalients
der heißen Zone. Die Temperatur am Meeresufer beträgt im Durchschnitt
20" R. Sehr allmälig vermindert sie sich nach den Höhen hin. Doch wech¬
selt sie nach örtlichen Einflüssen, und mit ihr auch die Vegetativ". Fast und
eintönig, selbst durstig stellt sie sich dar, wo wegen offner und freier Lage die
Glut der Sonne von früh bis spät thätig ist und die von den Felsen aus¬
strahlende Hitze die Feuchtigkeit der, Wolken schnell absorbirt. Da schützt kein
Laubdach den Reiter und der steinige trockne Boden glüht unter den Huf¬
tritten des Thieres. Wo aber die allezeit erfrischende Seebrise Zugang hat,
da ist das Klima frischer, die Pflanzenwelt belebter, und in Klüften und
Schluchten, wo Gebirgswasser sprudeln und die Sonne nur wenige Stunden
eindringt, da ziehen sich in Schlangenlinien aufsteigend grüne Laubgewölbe
längs des verborgenen Baches hin und kräftige Stämme entwachsen dem
feuchten Boden.

Mit Lust fühlt sich der Wandrer nach einer Steigung von weniger denn
2000 F. von milderen Lüsten umfächelt, doch ist derUebergang nicht so fühlbar,
als wenn er aus den kühlen Gebirgsregioncn nach dem Meere herabsteigt.
Die Vegetation wird mannigfaltiger, die Farben frischer, der Wuchs gro߬
artiger, reicher und üppiger. Aus der Tiefe deS Abhanges, an dem er hin¬
reitet, ragen mächtige Bäume mit dichten Laubkronen herauf, welche ihn be¬
schatten und die Aussicht sperren. In fröhlichem Grün umschwanken ihn leichte
schlanke Halme zarter Gräser und den Saum des Weges zieren in der Luft
schwebende saftstrotzende Lauben -- das neckische Kinderspiel lieblicher Schma¬
rotzerpflanzen, die in flüchtigem Wuchs sich geschwisterlich umwinden und von
Baum zu Baum dicht sich verweben, ihren Schmuck zu erhöhen und zu ver¬
dunkeln denjenigen der ihnen als Träger dienenden Bäume. Kostbare Blu¬
men mit allem Farbenschmelz, dessen die Natur fähig ist, prangen mitten im
grünen Laube, und gleich Strängen und Schnuren schaukeln die Endfäden im
Winde einher. Aber noch mehr betrifft den Wanderer der Anblick hoher kräftiger
Riesenstämme, um deren Peripherie sich schwächere Stämme förmlich hinanwin¬
den -- wie es scheint, ein Baum umschlungen vom Baume. Aber in Wahrheit
sind es Lianen, mit baumähnlicher Rinde und Stärke, von jenem gefährlichen


Die Region des Cactus ist es zuerst, die uns empfängt, wenn wir auf
einem der drei Wege von Caracas reiten, von denen nächst dem eben ge¬
nannten- breiteren der eine nur ein schmaler steiler Pfad ist. der Jndianersteg
genannt, der andere und längste in gleicher Steile über den 6000 F. hohen
Galipan führt. Die Glut der Sonne lastet mit aller Macht auf diesen un¬
tersten Felsrücken und gibt der Vegetation einen kahlen trocknen Anstrich.
Hoch aufstrebende Cactussäulen stehen gruppenweise umher in eintöniger
Stimmung und Farbe, untermengt mit andern Gewächsen, die einen'dürren
Boden lieben. Wir befinden uns in dem heißen Strich der tierra, oalients
der heißen Zone. Die Temperatur am Meeresufer beträgt im Durchschnitt
20" R. Sehr allmälig vermindert sie sich nach den Höhen hin. Doch wech¬
selt sie nach örtlichen Einflüssen, und mit ihr auch die Vegetativ». Fast und
eintönig, selbst durstig stellt sie sich dar, wo wegen offner und freier Lage die
Glut der Sonne von früh bis spät thätig ist und die von den Felsen aus¬
strahlende Hitze die Feuchtigkeit der, Wolken schnell absorbirt. Da schützt kein
Laubdach den Reiter und der steinige trockne Boden glüht unter den Huf¬
tritten des Thieres. Wo aber die allezeit erfrischende Seebrise Zugang hat,
da ist das Klima frischer, die Pflanzenwelt belebter, und in Klüften und
Schluchten, wo Gebirgswasser sprudeln und die Sonne nur wenige Stunden
eindringt, da ziehen sich in Schlangenlinien aufsteigend grüne Laubgewölbe
längs des verborgenen Baches hin und kräftige Stämme entwachsen dem
feuchten Boden.

Mit Lust fühlt sich der Wandrer nach einer Steigung von weniger denn
2000 F. von milderen Lüsten umfächelt, doch ist derUebergang nicht so fühlbar,
als wenn er aus den kühlen Gebirgsregioncn nach dem Meere herabsteigt.
Die Vegetation wird mannigfaltiger, die Farben frischer, der Wuchs gro߬
artiger, reicher und üppiger. Aus der Tiefe deS Abhanges, an dem er hin¬
reitet, ragen mächtige Bäume mit dichten Laubkronen herauf, welche ihn be¬
schatten und die Aussicht sperren. In fröhlichem Grün umschwanken ihn leichte
schlanke Halme zarter Gräser und den Saum des Weges zieren in der Luft
schwebende saftstrotzende Lauben — das neckische Kinderspiel lieblicher Schma¬
rotzerpflanzen, die in flüchtigem Wuchs sich geschwisterlich umwinden und von
Baum zu Baum dicht sich verweben, ihren Schmuck zu erhöhen und zu ver¬
dunkeln denjenigen der ihnen als Träger dienenden Bäume. Kostbare Blu¬
men mit allem Farbenschmelz, dessen die Natur fähig ist, prangen mitten im
grünen Laube, und gleich Strängen und Schnuren schaukeln die Endfäden im
Winde einher. Aber noch mehr betrifft den Wanderer der Anblick hoher kräftiger
Riesenstämme, um deren Peripherie sich schwächere Stämme förmlich hinanwin¬
den — wie es scheint, ein Baum umschlungen vom Baume. Aber in Wahrheit
sind es Lianen, mit baumähnlicher Rinde und Stärke, von jenem gefährlichen


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[0318] Die Region des Cactus ist es zuerst, die uns empfängt, wenn wir auf einem der drei Wege von Caracas reiten, von denen nächst dem eben ge¬ nannten- breiteren der eine nur ein schmaler steiler Pfad ist. der Jndianersteg genannt, der andere und längste in gleicher Steile über den 6000 F. hohen Galipan führt. Die Glut der Sonne lastet mit aller Macht auf diesen un¬ tersten Felsrücken und gibt der Vegetation einen kahlen trocknen Anstrich. Hoch aufstrebende Cactussäulen stehen gruppenweise umher in eintöniger Stimmung und Farbe, untermengt mit andern Gewächsen, die einen'dürren Boden lieben. Wir befinden uns in dem heißen Strich der tierra, oalients der heißen Zone. Die Temperatur am Meeresufer beträgt im Durchschnitt 20" R. Sehr allmälig vermindert sie sich nach den Höhen hin. Doch wech¬ selt sie nach örtlichen Einflüssen, und mit ihr auch die Vegetativ». Fast und eintönig, selbst durstig stellt sie sich dar, wo wegen offner und freier Lage die Glut der Sonne von früh bis spät thätig ist und die von den Felsen aus¬ strahlende Hitze die Feuchtigkeit der, Wolken schnell absorbirt. Da schützt kein Laubdach den Reiter und der steinige trockne Boden glüht unter den Huf¬ tritten des Thieres. Wo aber die allezeit erfrischende Seebrise Zugang hat, da ist das Klima frischer, die Pflanzenwelt belebter, und in Klüften und Schluchten, wo Gebirgswasser sprudeln und die Sonne nur wenige Stunden eindringt, da ziehen sich in Schlangenlinien aufsteigend grüne Laubgewölbe längs des verborgenen Baches hin und kräftige Stämme entwachsen dem feuchten Boden. Mit Lust fühlt sich der Wandrer nach einer Steigung von weniger denn 2000 F. von milderen Lüsten umfächelt, doch ist derUebergang nicht so fühlbar, als wenn er aus den kühlen Gebirgsregioncn nach dem Meere herabsteigt. Die Vegetation wird mannigfaltiger, die Farben frischer, der Wuchs gro߬ artiger, reicher und üppiger. Aus der Tiefe deS Abhanges, an dem er hin¬ reitet, ragen mächtige Bäume mit dichten Laubkronen herauf, welche ihn be¬ schatten und die Aussicht sperren. In fröhlichem Grün umschwanken ihn leichte schlanke Halme zarter Gräser und den Saum des Weges zieren in der Luft schwebende saftstrotzende Lauben — das neckische Kinderspiel lieblicher Schma¬ rotzerpflanzen, die in flüchtigem Wuchs sich geschwisterlich umwinden und von Baum zu Baum dicht sich verweben, ihren Schmuck zu erhöhen und zu ver¬ dunkeln denjenigen der ihnen als Träger dienenden Bäume. Kostbare Blu¬ men mit allem Farbenschmelz, dessen die Natur fähig ist, prangen mitten im grünen Laube, und gleich Strängen und Schnuren schaukeln die Endfäden im Winde einher. Aber noch mehr betrifft den Wanderer der Anblick hoher kräftiger Riesenstämme, um deren Peripherie sich schwächere Stämme förmlich hinanwin¬ den — wie es scheint, ein Baum umschlungen vom Baume. Aber in Wahrheit sind es Lianen, mit baumähnlicher Rinde und Stärke, von jenem gefährlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/318>, abgerufen am 05.07.2024.