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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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und. um der dazu gehörigen' Gebete willen, unter den Bildern und dem Cru¬
cifix seinen Platz hat. Zwei festgenagelte Bänke stehen daneben. Eine buntbe¬
malte Zeugiade an der Wand, unter der am Nagel hängenden silbernen Taschen¬
uhr, enthält den Kleidervorrath der Schwägerin und die Betttücher zum frischen
Ueberziehen von Pfühl und Decke, für den Fall eines Jäger- oder Fremden¬
besuchs, um dessen willen sichs lohnt das Nachtlager zu räumen und zur
Nachbarin zu gehen. Ein Rosenkranz, ein Kamm von hartem Holz, ein
Strang Pferdehaare. um ihn zu reinigen, ein paar Flaschen mit Thierarznei,
auch wol eine halbleere mit süßem Rosoglio -- Nachlaß des letzten Jäger¬
besuchs -- ein abgegriffenes Gebetbuch vom vorigen Jahrhundert, ein Kalen¬
der voll rother Silengesichtcr und schwarzer Satirprofile als Mondesconterfeie.
ein paar Büschel Stiertraut und Fingerkraut -- und das Inventarium der
Schwaghütte ist fertig. Die Nacht über steht das Vieh im anstoßenden Stall.
Nach dem Frühmetten wird es ausgetrieben und sucht sich sein Futter selbst; Abends
ruft die Stimme der Schwägerin es wieder heim. "Gamsl. Hirschl. Schäl'ert"
doues dann in langgezogenen Rufen, und die Gerufenen kennen so wohl die
Stimme ihrer Schwägerin, wenn sie ihre Namen durch die hohle Hand schreit,
wie wenn sie den Unfolgsamen ein "Alle-Galgen-Vieh" oder eme sonstige Ver¬
deutlichung ihres Heimrusens nachwcttert.

Fällt ein Ungewitter ein. da gibts am lichten Tage plötzliches Hallo aus
der Alm. Alle Dirnen sind hinter dem weit umher verstreuten Vieh drein,
jede bemüht, das ihrige mit Schmeicheln, Schelten und Steinwürfen unter
Dach und Fach zu schaffen; denn ein Nebel kann dem Wetter folgen und auf
halbe oder ganze Tage das Eintreiben des Viehs vereiteln.

Oft auch hat sich ein Thier verklcttert oder im Zerbenholz verwickelt, daß
die Hilfe der andern Schwägerinnen aufgeboten werden muß. um es zu be¬
freien. Oft hat sich eins völlig verloren und nach allen Seiten nun schweifen
die Dirnen aus. um es wieder zu schaffen. Gibt es gar jungen Zuwachs
im Stall oder Vieherkranken, so müssen die Erfahrensten mit Rath und Hilfe
herhalten, und allenthalben geschieht es willig, da das Trag und Hilf gar rasch
in der Reihe herumkommt und wer heute Beistand leistet, morgen desselben be-
nöthigt sein kann. Dabei zwingt die stete Möglichkeit schlechter Witterung
die Schwägerin zum Vorrathsammeln von schmackhaftem Futter. Und hier
spornt der Eifer der einen denjenigen der andern. Während des Melkens will das
Vieh die besten Kräuter fressen, sonst hält es nicht still; denn das Almvieh
ist lebhast, unruhig und nahezu der Wildheit zurückgegeben. Während Sturm
und auch wol Schnee es im Stall hält, will es gut genährt sein, oder ein
empfindlicher Ausfall an Milch folgt sofort der Vernachlässigung auf der Ferse.

So benutzen die Schwägerinnen denn freie Stunden unermüdlich, um
große Futterbündel von allen Seiten zusammenzuschleppen. Die sich der Mühe


und. um der dazu gehörigen' Gebete willen, unter den Bildern und dem Cru¬
cifix seinen Platz hat. Zwei festgenagelte Bänke stehen daneben. Eine buntbe¬
malte Zeugiade an der Wand, unter der am Nagel hängenden silbernen Taschen¬
uhr, enthält den Kleidervorrath der Schwägerin und die Betttücher zum frischen
Ueberziehen von Pfühl und Decke, für den Fall eines Jäger- oder Fremden¬
besuchs, um dessen willen sichs lohnt das Nachtlager zu räumen und zur
Nachbarin zu gehen. Ein Rosenkranz, ein Kamm von hartem Holz, ein
Strang Pferdehaare. um ihn zu reinigen, ein paar Flaschen mit Thierarznei,
auch wol eine halbleere mit süßem Rosoglio — Nachlaß des letzten Jäger¬
besuchs — ein abgegriffenes Gebetbuch vom vorigen Jahrhundert, ein Kalen¬
der voll rother Silengesichtcr und schwarzer Satirprofile als Mondesconterfeie.
ein paar Büschel Stiertraut und Fingerkraut — und das Inventarium der
Schwaghütte ist fertig. Die Nacht über steht das Vieh im anstoßenden Stall.
Nach dem Frühmetten wird es ausgetrieben und sucht sich sein Futter selbst; Abends
ruft die Stimme der Schwägerin es wieder heim. „Gamsl. Hirschl. Schäl'ert"
doues dann in langgezogenen Rufen, und die Gerufenen kennen so wohl die
Stimme ihrer Schwägerin, wenn sie ihre Namen durch die hohle Hand schreit,
wie wenn sie den Unfolgsamen ein „Alle-Galgen-Vieh" oder eme sonstige Ver¬
deutlichung ihres Heimrusens nachwcttert.

Fällt ein Ungewitter ein. da gibts am lichten Tage plötzliches Hallo aus
der Alm. Alle Dirnen sind hinter dem weit umher verstreuten Vieh drein,
jede bemüht, das ihrige mit Schmeicheln, Schelten und Steinwürfen unter
Dach und Fach zu schaffen; denn ein Nebel kann dem Wetter folgen und auf
halbe oder ganze Tage das Eintreiben des Viehs vereiteln.

Oft auch hat sich ein Thier verklcttert oder im Zerbenholz verwickelt, daß
die Hilfe der andern Schwägerinnen aufgeboten werden muß. um es zu be¬
freien. Oft hat sich eins völlig verloren und nach allen Seiten nun schweifen
die Dirnen aus. um es wieder zu schaffen. Gibt es gar jungen Zuwachs
im Stall oder Vieherkranken, so müssen die Erfahrensten mit Rath und Hilfe
herhalten, und allenthalben geschieht es willig, da das Trag und Hilf gar rasch
in der Reihe herumkommt und wer heute Beistand leistet, morgen desselben be-
nöthigt sein kann. Dabei zwingt die stete Möglichkeit schlechter Witterung
die Schwägerin zum Vorrathsammeln von schmackhaftem Futter. Und hier
spornt der Eifer der einen denjenigen der andern. Während des Melkens will das
Vieh die besten Kräuter fressen, sonst hält es nicht still; denn das Almvieh
ist lebhast, unruhig und nahezu der Wildheit zurückgegeben. Während Sturm
und auch wol Schnee es im Stall hält, will es gut genährt sein, oder ein
empfindlicher Ausfall an Milch folgt sofort der Vernachlässigung auf der Ferse.

So benutzen die Schwägerinnen denn freie Stunden unermüdlich, um
große Futterbündel von allen Seiten zusammenzuschleppen. Die sich der Mühe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/31>, abgerufen am 26.07.2024.