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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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dreicck auf alten Kupferbildcrn, über dem Sonntage. Was Wunder, wenn
da der eine Tag noch verheißungsvoller ist als der andere?

Am Sonntag wird freilich niemand auftreiben, und auch am Samstag
mögen wenige Schwägerinnen hinauf; denn auf der Stelle ist doch nicht alles
sauber und in Ordnung, und der Samstagabend könnte halt Besuch bringen.
So hält man es denn etwa mit den heiligen Engeln und hat nun Zeit, um
sich vorzusehen.

Jetzt ist die Alm vollzählig besetzt. Zehn bis elf Almhütten und ein
paar lose dabei stehende Stadel, in jeder Hütte eine handfeste Schwägerin,
jung oder alt, wie es eben kommt, in einer auch wol noch eine Kälberdirne fürs
Jungvieh; dazu auf jede Hütte 12 bis 20 Vierfüßer, vielleicht noch ein paar
Hennen und ein Hahn -- das etwa ist der Durchschnittsbestand einer sibiri¬
schen Almwirthschaft.

Nun die Schlüssel nicht mehr hinterm Ofen beim Bauern hängen, sondern
unter dem Schwcllenbret der Schwaghütte selbst verborgen sind, läßt sich auch
ein Blick ins Innere der Räume thun. Zwei gesonderte Abtheilungen gibts,
an die sich eine dritte anschließt. In dieser wird Milch, Schmalz, Käse, Mehl
und Salz verwahrt; die nächste enthält den breiten Herd, die Kessel und Ge¬
schirre und was sonst beim Schmalz- und Käscmachen gebraucht wird; die
letzte Abtheilung endlich ist der Schwägerin Wohn- und Schlafzimmer. Hier
zeigt sich die größere oder geringere Sauberkeit der Bewohnerin mehr noch
als in der Vorratskammer, in welcher auch die minder ordentliche Schwäge¬
rin selten eine Nachlässigkeit zur Schau treten läßt. Ein solch viereckiges
Schlafgemach hat meist dr>'i kleine, vergitterte Fenster. In demjenigen, das
wir eben betraten, steht das Bett hart neben einem dieser Fenster, so daß
die aufgehende Sonne der Schlafenden unmittelbar in die Augen scheint, wenn
ja das Morgenroth sie nicht schon an ihr Geschäft gerufen haben sollte. Das
Bett selbst ist durch ein Bret noch über seine eigentliche Höhe erhöht. So
hoch das Bret reicht, liegt frisches Stroh. Ein grobes Linnentuch bedeckt das
stachlige Lager; ein Slrohpfühl, eine schwere Fcdcrdecke vollenden die Aus¬
stattung. Es schläft sich nach ermüdender Bergersteigung in solchem Bette
gut genug, zumal wenn man kein Insekten anlockendes Blut in den Adern
hat. Ein Winkel des Schlafzimmers gehört den Heiligenbildern und die
Wand bildet dort eine Art griechischer Jkonostasis. Was sich im Lauf der
Jahre an solchen Reliquien ansammelte, fand dort einen Nagel. Madonnen,
heilige Annen, Theresen, Magdalenen -- vor allem die letztern, eine mit der
vieldeutigen Unterschrift: Weil dn viel liebtest, ward dir viel vergeben. Unter
dieser heiligen Ecke, wohin sich auch allerhand Neujahrs- und Geburtstags¬
bilder mit Versen und lustigen Sprüchlein flüchten, steht^der tcmncnhölzerne
Tisch, welcher die Morgen-, Mittags- und Abendlost zu tragen bestimmt ist


dreicck auf alten Kupferbildcrn, über dem Sonntage. Was Wunder, wenn
da der eine Tag noch verheißungsvoller ist als der andere?

Am Sonntag wird freilich niemand auftreiben, und auch am Samstag
mögen wenige Schwägerinnen hinauf; denn auf der Stelle ist doch nicht alles
sauber und in Ordnung, und der Samstagabend könnte halt Besuch bringen.
So hält man es denn etwa mit den heiligen Engeln und hat nun Zeit, um
sich vorzusehen.

Jetzt ist die Alm vollzählig besetzt. Zehn bis elf Almhütten und ein
paar lose dabei stehende Stadel, in jeder Hütte eine handfeste Schwägerin,
jung oder alt, wie es eben kommt, in einer auch wol noch eine Kälberdirne fürs
Jungvieh; dazu auf jede Hütte 12 bis 20 Vierfüßer, vielleicht noch ein paar
Hennen und ein Hahn — das etwa ist der Durchschnittsbestand einer sibiri¬
schen Almwirthschaft.

Nun die Schlüssel nicht mehr hinterm Ofen beim Bauern hängen, sondern
unter dem Schwcllenbret der Schwaghütte selbst verborgen sind, läßt sich auch
ein Blick ins Innere der Räume thun. Zwei gesonderte Abtheilungen gibts,
an die sich eine dritte anschließt. In dieser wird Milch, Schmalz, Käse, Mehl
und Salz verwahrt; die nächste enthält den breiten Herd, die Kessel und Ge¬
schirre und was sonst beim Schmalz- und Käscmachen gebraucht wird; die
letzte Abtheilung endlich ist der Schwägerin Wohn- und Schlafzimmer. Hier
zeigt sich die größere oder geringere Sauberkeit der Bewohnerin mehr noch
als in der Vorratskammer, in welcher auch die minder ordentliche Schwäge¬
rin selten eine Nachlässigkeit zur Schau treten läßt. Ein solch viereckiges
Schlafgemach hat meist dr>'i kleine, vergitterte Fenster. In demjenigen, das
wir eben betraten, steht das Bett hart neben einem dieser Fenster, so daß
die aufgehende Sonne der Schlafenden unmittelbar in die Augen scheint, wenn
ja das Morgenroth sie nicht schon an ihr Geschäft gerufen haben sollte. Das
Bett selbst ist durch ein Bret noch über seine eigentliche Höhe erhöht. So
hoch das Bret reicht, liegt frisches Stroh. Ein grobes Linnentuch bedeckt das
stachlige Lager; ein Slrohpfühl, eine schwere Fcdcrdecke vollenden die Aus¬
stattung. Es schläft sich nach ermüdender Bergersteigung in solchem Bette
gut genug, zumal wenn man kein Insekten anlockendes Blut in den Adern
hat. Ein Winkel des Schlafzimmers gehört den Heiligenbildern und die
Wand bildet dort eine Art griechischer Jkonostasis. Was sich im Lauf der
Jahre an solchen Reliquien ansammelte, fand dort einen Nagel. Madonnen,
heilige Annen, Theresen, Magdalenen — vor allem die letztern, eine mit der
vieldeutigen Unterschrift: Weil dn viel liebtest, ward dir viel vergeben. Unter
dieser heiligen Ecke, wohin sich auch allerhand Neujahrs- und Geburtstags¬
bilder mit Versen und lustigen Sprüchlein flüchten, steht^der tcmncnhölzerne
Tisch, welcher die Morgen-, Mittags- und Abendlost zu tragen bestimmt ist


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/30>, abgerufen am 26.07.2024.