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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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verdrießen ließe, unwegsame Stellen zu diesem Zwecke zu erklimmen, käme
bald als schlechte Futtergeberin in Verruf, und da es der Mähr erführe und
durch ihn der Bauer selbst, so hätte sie ihr Amt in kurzem verscherzt. Man
sieht die Schwägerinnen daher, ob sie auch weit aus dem Gesichtskreise ihres
Brodherrn sind, immer vollauf beschäftigt. Sie haben einen schweren Dienst
und die zwei bis drei Gulden Monatslohn, das grobe Paar Schuhe, das
noch gröbere Hemd und das knallrothe Tüchle, worauf sie etwa Anspruch
haben, werden sauer genug verdient.

Dennoch geht die steirische Dirne gern auf die Alm. Sie hat dort eine
Art Selbständigkeit, welche im engen Bauerhof ihr fehlt, und die jeder Die¬
nende als eine große Erleichterung seiner Aufgabe ansieht und anstrebt. Im
Hofe ist sie Kühmensch, Saumensch, wie die derbe Sprache des bäurischen
"Hoflebens" sie ohne Arg, aber auch ohne alle beschönigende Wendung, ge¬
tauft hat. Auf der Alm ist sie Schwägerin, gleichberechtigt in einer Taschcn-
republik von Leidens- und Freudensgefährtinnen. Der bergsteigende Natur¬
forscher, der Tourist, der Maler, der Sittenschilderer ihres lustigen Daseins,
-- sie alle klopfen um Obdach bei ihr an, behandeln sie gut, verrathen ihrem
langsamen Verstand, was sie selbst nur dunkel faßte: daß es ein eignes, zau¬
berisches, poetisches Leben hier hoch oben auf der Alm gibt, wohl werth, daß
man Mühe und Anstrengung nicht scheue, um ihm auf flüchtige Stunden
nahe zu kommen. Am meisten spricht der Jäger ein, und man weiß bis zu
welcher gefürchteten Höhe eben in den steirischen Gemsbergen der Name Jä¬
ger hinaufreicht. Wo anders alA in den Hütten der Schwägerinnen läßt sich
Nachtlager finden, wenn der Förster mittelst Staffette die Nachricht entsandte^
ein SchUdhcchn balze hoch oben im Gebirg, ein Zwanzigender habe gewech¬
selt, ein Gemsbock sei schon zum zweiten Mal gesehen worden. Vier- bis!
fünftausend Faß Berghöhe beseitigen alle Etikette, machen die'Ständeunter¬
schiede zu Nichte wie die Größenunterschiede der Schober und Stadeln da
unten tief im Thale, und lassen jeden plumpen Bescheid jenen Reiz der Ori¬
ginalität behalten, der in gewissen Kreisen so'schwer aufzutreiben ist. Wie
gern wiederholt man noch das naive Wort des Köhlers, der einer hohen
Person beim Forellensang behilflich sein wollte, dem aber der wegen eines'
vielbesprochenen Attentats dieser hohen Person beigesellte und immer in der
Ferne folgende Gensdarme ein Dorn im Auge: "Wir werden heut nix fangen,,
wenn Ihna der Herr Hofmeister da nit Ruh gibt."

Aber eine andere Art Aufsicht, als die schon dem Köhler "zuwidre", fällt
im hohen Gebirg weg. Kein Beichtvater steigt auf die Alm. Die Sommer¬
zeit gibt den Schwägerinnen Beichtferien, und das Lied "Auf der Alm ist ka
Sund" spricht vollkommen aus, wie hier, hoch über den Kirchthurmspitzen der
Flecken und Dörfer, das Maß von Schuld und --Unschuld eine weitere Fassung


verdrießen ließe, unwegsame Stellen zu diesem Zwecke zu erklimmen, käme
bald als schlechte Futtergeberin in Verruf, und da es der Mähr erführe und
durch ihn der Bauer selbst, so hätte sie ihr Amt in kurzem verscherzt. Man
sieht die Schwägerinnen daher, ob sie auch weit aus dem Gesichtskreise ihres
Brodherrn sind, immer vollauf beschäftigt. Sie haben einen schweren Dienst
und die zwei bis drei Gulden Monatslohn, das grobe Paar Schuhe, das
noch gröbere Hemd und das knallrothe Tüchle, worauf sie etwa Anspruch
haben, werden sauer genug verdient.

Dennoch geht die steirische Dirne gern auf die Alm. Sie hat dort eine
Art Selbständigkeit, welche im engen Bauerhof ihr fehlt, und die jeder Die¬
nende als eine große Erleichterung seiner Aufgabe ansieht und anstrebt. Im
Hofe ist sie Kühmensch, Saumensch, wie die derbe Sprache des bäurischen
„Hoflebens" sie ohne Arg, aber auch ohne alle beschönigende Wendung, ge¬
tauft hat. Auf der Alm ist sie Schwägerin, gleichberechtigt in einer Taschcn-
republik von Leidens- und Freudensgefährtinnen. Der bergsteigende Natur¬
forscher, der Tourist, der Maler, der Sittenschilderer ihres lustigen Daseins,
— sie alle klopfen um Obdach bei ihr an, behandeln sie gut, verrathen ihrem
langsamen Verstand, was sie selbst nur dunkel faßte: daß es ein eignes, zau¬
berisches, poetisches Leben hier hoch oben auf der Alm gibt, wohl werth, daß
man Mühe und Anstrengung nicht scheue, um ihm auf flüchtige Stunden
nahe zu kommen. Am meisten spricht der Jäger ein, und man weiß bis zu
welcher gefürchteten Höhe eben in den steirischen Gemsbergen der Name Jä¬
ger hinaufreicht. Wo anders alA in den Hütten der Schwägerinnen läßt sich
Nachtlager finden, wenn der Förster mittelst Staffette die Nachricht entsandte^
ein SchUdhcchn balze hoch oben im Gebirg, ein Zwanzigender habe gewech¬
selt, ein Gemsbock sei schon zum zweiten Mal gesehen worden. Vier- bis!
fünftausend Faß Berghöhe beseitigen alle Etikette, machen die'Ständeunter¬
schiede zu Nichte wie die Größenunterschiede der Schober und Stadeln da
unten tief im Thale, und lassen jeden plumpen Bescheid jenen Reiz der Ori¬
ginalität behalten, der in gewissen Kreisen so'schwer aufzutreiben ist. Wie
gern wiederholt man noch das naive Wort des Köhlers, der einer hohen
Person beim Forellensang behilflich sein wollte, dem aber der wegen eines'
vielbesprochenen Attentats dieser hohen Person beigesellte und immer in der
Ferne folgende Gensdarme ein Dorn im Auge: „Wir werden heut nix fangen,,
wenn Ihna der Herr Hofmeister da nit Ruh gibt."

Aber eine andere Art Aufsicht, als die schon dem Köhler „zuwidre", fällt
im hohen Gebirg weg. Kein Beichtvater steigt auf die Alm. Die Sommer¬
zeit gibt den Schwägerinnen Beichtferien, und das Lied „Auf der Alm ist ka
Sund" spricht vollkommen aus, wie hier, hoch über den Kirchthurmspitzen der
Flecken und Dörfer, das Maß von Schuld und —Unschuld eine weitere Fassung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/32>, abgerufen am 26.07.2024.