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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Geblök aus den dumpfen Ställen hinaus ins Freie, die springenden Kälber vor¬
auf, die brüllenden Kühe hinterdrein. Lang und spitz ausgewachsen sind die
Hufe, der Schweif trägt schwer an den Wintervermächtnissen des langen Stall-
lebens. Alles draußen ist den Thieren fremd, staunenswerth geworden. ^-
sie würden sich kaum auf die Straße wagen, ginge nicht die ihnen wohl-
bekannte Schwägerin mit dem Salzblock unterm Arm und dem Zeugbündei auf
dem Kopfe voran, folgte nicht mit dem groben Stecken der Mähr (der Gro߬
knecht) und an dessen Kette der stolz auftretende Brummochs, dem sie es schon
an der Stimme anmerken, daß die Almreise begonnen hat. Zwer, drei Stun¬
den geht es bergauf. Manche Trifthecke wird passirt und das Tannenthor sorg¬
lich wieder verschlossen. Rehe huschen auf die Seite und gucken aus der Ferne
nach der blökenden Karavane. Wo eine Eiche ihre Früchte umherstrcnte,
möchten die Schweine Rast machen. Die kletternden Ziegen spähen jedes
schmackhafte Kräutlein aus, und der mitgenommene Gaisbube wird nicht fertig
mit Steinwerfen, um die abseits botanisirenden zurückzurufen. Aber Halt
gemacht wird nur. w/die Ruhestellen zum Abladen der Kopfbürden, galgcn-
artige Gerüste in ungefährer Schultcrnhöhe der Tragender, hergerichtet sind.
Wenn der Mähr am Freitag jeder Woche Mehl, Brot und Salz auf die
Aline schafft _ denn die Schwägerin kommt jetzt nicht wieder vor dem Herbst
ins Thal hinab -- da setzt er dort von Strecke zu Strecke die'Bürde ab, und
ebenso erleichtert er sich beim Hinabsteigen, so oft ihm die Schmalz- und Käje-
wst zu drückend wird. Nun ist die Alm nahezu erreicht. Dem MetaiMange
der Kuhglocken antworten gleiche Töne aus der Höhe. Aus hellgestimmter
Kehle jodelts herab, und die Schwägerin steht still, um zu probiren. obs noch
so voll aus der Brust zurückklingt wie im vorigen Jahr. Viel Salpetcrluft
gabs den Winter über im dumpfen Stall zu schlucken. In den ersten acht
Tagen wirds noch keinen rechtschaffnen Jodler geben. Aber die Stimme ist
noch da. Sie wird sich schon wieder frei singen. Daß die Alm wol in einer
Woche, aber nicht an demselben Tage von allen Schwägerinnen bezogen wird,
hat seinen Scheingrund in mancherlei kleinen Geschäften, die erst abgethan
sein wollen, ehe der Auftrieb möglich ist. Einen wirklichen Grund mag man
oft im Kalender suchen, der diesen oder jenen Tag als segensreich zu solch
einem Vorhaben empfiehlt, oft auch in der Vorliebe des Bauers oder der
Schwägerin für diese oder jene kirchliche Bedeutung des Wochentags. Der
Montag z. B. ist dem heiligen Geist und den armen Seelen (im Fegfeuer)
geweiht; der Dienstag gehört den heiligen Engeln; am Mittwoch verehrt man
den heiligen Joseph. am Donnerstag das heilige Altarsacrament. Den Lei¬
den Jesu ist der Freitag gewidmet, der Mutter Gottes gedenkt man vorzugs¬
weise (freilich jetzt kaum noch mit dieser Einschränkung auf einen Tag) am
Samstag. Und endlich thront die goldene Dreieinigkeit, wie das Sonnen-


Geblök aus den dumpfen Ställen hinaus ins Freie, die springenden Kälber vor¬
auf, die brüllenden Kühe hinterdrein. Lang und spitz ausgewachsen sind die
Hufe, der Schweif trägt schwer an den Wintervermächtnissen des langen Stall-
lebens. Alles draußen ist den Thieren fremd, staunenswerth geworden. ^-
sie würden sich kaum auf die Straße wagen, ginge nicht die ihnen wohl-
bekannte Schwägerin mit dem Salzblock unterm Arm und dem Zeugbündei auf
dem Kopfe voran, folgte nicht mit dem groben Stecken der Mähr (der Gro߬
knecht) und an dessen Kette der stolz auftretende Brummochs, dem sie es schon
an der Stimme anmerken, daß die Almreise begonnen hat. Zwer, drei Stun¬
den geht es bergauf. Manche Trifthecke wird passirt und das Tannenthor sorg¬
lich wieder verschlossen. Rehe huschen auf die Seite und gucken aus der Ferne
nach der blökenden Karavane. Wo eine Eiche ihre Früchte umherstrcnte,
möchten die Schweine Rast machen. Die kletternden Ziegen spähen jedes
schmackhafte Kräutlein aus, und der mitgenommene Gaisbube wird nicht fertig
mit Steinwerfen, um die abseits botanisirenden zurückzurufen. Aber Halt
gemacht wird nur. w/die Ruhestellen zum Abladen der Kopfbürden, galgcn-
artige Gerüste in ungefährer Schultcrnhöhe der Tragender, hergerichtet sind.
Wenn der Mähr am Freitag jeder Woche Mehl, Brot und Salz auf die
Aline schafft _ denn die Schwägerin kommt jetzt nicht wieder vor dem Herbst
ins Thal hinab — da setzt er dort von Strecke zu Strecke die'Bürde ab, und
ebenso erleichtert er sich beim Hinabsteigen, so oft ihm die Schmalz- und Käje-
wst zu drückend wird. Nun ist die Alm nahezu erreicht. Dem MetaiMange
der Kuhglocken antworten gleiche Töne aus der Höhe. Aus hellgestimmter
Kehle jodelts herab, und die Schwägerin steht still, um zu probiren. obs noch
so voll aus der Brust zurückklingt wie im vorigen Jahr. Viel Salpetcrluft
gabs den Winter über im dumpfen Stall zu schlucken. In den ersten acht
Tagen wirds noch keinen rechtschaffnen Jodler geben. Aber die Stimme ist
noch da. Sie wird sich schon wieder frei singen. Daß die Alm wol in einer
Woche, aber nicht an demselben Tage von allen Schwägerinnen bezogen wird,
hat seinen Scheingrund in mancherlei kleinen Geschäften, die erst abgethan
sein wollen, ehe der Auftrieb möglich ist. Einen wirklichen Grund mag man
oft im Kalender suchen, der diesen oder jenen Tag als segensreich zu solch
einem Vorhaben empfiehlt, oft auch in der Vorliebe des Bauers oder der
Schwägerin für diese oder jene kirchliche Bedeutung des Wochentags. Der
Montag z. B. ist dem heiligen Geist und den armen Seelen (im Fegfeuer)
geweiht; der Dienstag gehört den heiligen Engeln; am Mittwoch verehrt man
den heiligen Joseph. am Donnerstag das heilige Altarsacrament. Den Lei¬
den Jesu ist der Freitag gewidmet, der Mutter Gottes gedenkt man vorzugs¬
weise (freilich jetzt kaum noch mit dieser Einschränkung auf einen Tag) am
Samstag. Und endlich thront die goldene Dreieinigkeit, wie das Sonnen-


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[0029] Geblök aus den dumpfen Ställen hinaus ins Freie, die springenden Kälber vor¬ auf, die brüllenden Kühe hinterdrein. Lang und spitz ausgewachsen sind die Hufe, der Schweif trägt schwer an den Wintervermächtnissen des langen Stall- lebens. Alles draußen ist den Thieren fremd, staunenswerth geworden. ^- sie würden sich kaum auf die Straße wagen, ginge nicht die ihnen wohl- bekannte Schwägerin mit dem Salzblock unterm Arm und dem Zeugbündei auf dem Kopfe voran, folgte nicht mit dem groben Stecken der Mähr (der Gro߬ knecht) und an dessen Kette der stolz auftretende Brummochs, dem sie es schon an der Stimme anmerken, daß die Almreise begonnen hat. Zwer, drei Stun¬ den geht es bergauf. Manche Trifthecke wird passirt und das Tannenthor sorg¬ lich wieder verschlossen. Rehe huschen auf die Seite und gucken aus der Ferne nach der blökenden Karavane. Wo eine Eiche ihre Früchte umherstrcnte, möchten die Schweine Rast machen. Die kletternden Ziegen spähen jedes schmackhafte Kräutlein aus, und der mitgenommene Gaisbube wird nicht fertig mit Steinwerfen, um die abseits botanisirenden zurückzurufen. Aber Halt gemacht wird nur. w/die Ruhestellen zum Abladen der Kopfbürden, galgcn- artige Gerüste in ungefährer Schultcrnhöhe der Tragender, hergerichtet sind. Wenn der Mähr am Freitag jeder Woche Mehl, Brot und Salz auf die Aline schafft _ denn die Schwägerin kommt jetzt nicht wieder vor dem Herbst ins Thal hinab — da setzt er dort von Strecke zu Strecke die'Bürde ab, und ebenso erleichtert er sich beim Hinabsteigen, so oft ihm die Schmalz- und Käje- wst zu drückend wird. Nun ist die Alm nahezu erreicht. Dem MetaiMange der Kuhglocken antworten gleiche Töne aus der Höhe. Aus hellgestimmter Kehle jodelts herab, und die Schwägerin steht still, um zu probiren. obs noch so voll aus der Brust zurückklingt wie im vorigen Jahr. Viel Salpetcrluft gabs den Winter über im dumpfen Stall zu schlucken. In den ersten acht Tagen wirds noch keinen rechtschaffnen Jodler geben. Aber die Stimme ist noch da. Sie wird sich schon wieder frei singen. Daß die Alm wol in einer Woche, aber nicht an demselben Tage von allen Schwägerinnen bezogen wird, hat seinen Scheingrund in mancherlei kleinen Geschäften, die erst abgethan sein wollen, ehe der Auftrieb möglich ist. Einen wirklichen Grund mag man oft im Kalender suchen, der diesen oder jenen Tag als segensreich zu solch einem Vorhaben empfiehlt, oft auch in der Vorliebe des Bauers oder der Schwägerin für diese oder jene kirchliche Bedeutung des Wochentags. Der Montag z. B. ist dem heiligen Geist und den armen Seelen (im Fegfeuer) geweiht; der Dienstag gehört den heiligen Engeln; am Mittwoch verehrt man den heiligen Joseph. am Donnerstag das heilige Altarsacrament. Den Lei¬ den Jesu ist der Freitag gewidmet, der Mutter Gottes gedenkt man vorzugs¬ weise (freilich jetzt kaum noch mit dieser Einschränkung auf einen Tag) am Samstag. Und endlich thront die goldene Dreieinigkeit, wie das Sonnen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/29>, abgerufen am 26.07.2024.