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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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nischen Freistaaten, deren erster Band 1855 erschien, haben diese Stellung be¬
festigt. Er redigirt seit 1855 eine Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissen¬
schaft. Was in dieser Schrift am meisten Beachtung verdient, ist die Aner¬
kennung, daß der Protestantismus, ganz abgesehn von allen dogmatischen
Unterschieden, seinem Wesen nach die Religionsfreiheit fördert, während die ka¬
tholische Kirche sie ausschließt. Der Charakter der religiösen Wahrheit ist der
katholischen Kirche ein von dem der menschlichen Wahrheiten verschiedener.
Diese sind Wahrheiten, inwieweit wir sie als solche anerkennen. Im gewöhn¬
lichen Leben verlangt man von uns nicht, zu glauben, was unsere Intelligenz
verwirft. Anders ist es mit der Wahrheit, welche die katholische Kirche als
eine ewige und untrügliche darstellt. "Die Bereitwilligkeit, zu glauben, was
die Kirche glaubt," sagt Bossuet, "besteht in der Entsagung auf die eigne
Denkweise, wenn diese den Satzungen der Kirche entgegenläuft. Wer sein
individuelles Urtheil für richtiger als das der Kirche hält, ist ein Hochmüthiger,
ein Verdammungswürdiger, der, indem er die Einheit des Glaubens zerreißt,
sich auflehnt gegen das Gesetz der heiligen Kirchengemeinschaft: es ist ein
öffentlicher Feind, der die Seele verdirbt und gestraft werden muß. Die
Kirche bedient sich gegen die Empörung derselben Waffen wie der Staat; die
Anarchie zulassen, hieße sich selbst ausgeben." Diese Verfassung der Kirche,
diese ihre Art und Weise, die Wahrheit wie ein gebietendes Gesetz aufzu¬
fassen, ist die eigentliche Ursache ihrer Intoleranz, und diese Intoleranz hat
alle Umwälzungen in der Kirche, allen Wechsel der Zeit und der Ansichten
überlebt. Jede Toleranz ist ihr ein Preisgeben ihrer- Herde, und An solches
Opfer von der Kirche zu fordern/ ist man nicht berechtigt; sie brachte es nie
und wird es nie bringen. -- Die Art und Weise, wie in neuesten Zeiten die
italienischen Bischöfe das östreichische Concordat verstanden, läßt uns in die
Tiefe ihrer Seele blicken. Vielleicht, will Oestreich durch diesen Act der Kirche
nur die Freiheit geben, allein nimmt man die Freiheit ausschließlich für sich
in Anspruch und gegen andere, so wird sie Tyrannei. Nur die echte Freiheit
löst dieses Problem, d. h. nicht ein Vorrecht, sondern die Rechtsgleichheit
aller. Die Intoleranz der Kirche bezüglich ihrer Glaubenslehre, ihres Cultus,
ihrer Disciplin ist durch ihre Verfassung geboten. Sie würde aufhören, die
katholische Kirche zu sein, stände ihr die unbeschränkte Macht in kirchlichen
Dingen nicht zu. Auch wenn die Kirche auf die Hilfe des weltlichen Arms
verzichtet, gibt sie ihre doctrinelle Unbeugsamkeit nicht aus, im Gegentheil,
grade wenn sie vom Staat sich trennt, findet sie im eignen Schoß die von
ihr gewünschte Hilfe, und hat die Hoffnung, durch ihre Jsolirung die eigne
Gerichtsbarkeit zu verstärken. -- Im Gegentheil konnte die Reformation sich
nicht verwirklichen, ohne die Freiheit in ihrem Gefolge. Es gibt keine Kirche
in dem mystischen Sinn des Worts; die Religion ist Sache des Einzelnen.


nischen Freistaaten, deren erster Band 1855 erschien, haben diese Stellung be¬
festigt. Er redigirt seit 1855 eine Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissen¬
schaft. Was in dieser Schrift am meisten Beachtung verdient, ist die Aner¬
kennung, daß der Protestantismus, ganz abgesehn von allen dogmatischen
Unterschieden, seinem Wesen nach die Religionsfreiheit fördert, während die ka¬
tholische Kirche sie ausschließt. Der Charakter der religiösen Wahrheit ist der
katholischen Kirche ein von dem der menschlichen Wahrheiten verschiedener.
Diese sind Wahrheiten, inwieweit wir sie als solche anerkennen. Im gewöhn¬
lichen Leben verlangt man von uns nicht, zu glauben, was unsere Intelligenz
verwirft. Anders ist es mit der Wahrheit, welche die katholische Kirche als
eine ewige und untrügliche darstellt. „Die Bereitwilligkeit, zu glauben, was
die Kirche glaubt," sagt Bossuet, „besteht in der Entsagung auf die eigne
Denkweise, wenn diese den Satzungen der Kirche entgegenläuft. Wer sein
individuelles Urtheil für richtiger als das der Kirche hält, ist ein Hochmüthiger,
ein Verdammungswürdiger, der, indem er die Einheit des Glaubens zerreißt,
sich auflehnt gegen das Gesetz der heiligen Kirchengemeinschaft: es ist ein
öffentlicher Feind, der die Seele verdirbt und gestraft werden muß. Die
Kirche bedient sich gegen die Empörung derselben Waffen wie der Staat; die
Anarchie zulassen, hieße sich selbst ausgeben." Diese Verfassung der Kirche,
diese ihre Art und Weise, die Wahrheit wie ein gebietendes Gesetz aufzu¬
fassen, ist die eigentliche Ursache ihrer Intoleranz, und diese Intoleranz hat
alle Umwälzungen in der Kirche, allen Wechsel der Zeit und der Ansichten
überlebt. Jede Toleranz ist ihr ein Preisgeben ihrer- Herde, und An solches
Opfer von der Kirche zu fordern/ ist man nicht berechtigt; sie brachte es nie
und wird es nie bringen. — Die Art und Weise, wie in neuesten Zeiten die
italienischen Bischöfe das östreichische Concordat verstanden, läßt uns in die
Tiefe ihrer Seele blicken. Vielleicht, will Oestreich durch diesen Act der Kirche
nur die Freiheit geben, allein nimmt man die Freiheit ausschließlich für sich
in Anspruch und gegen andere, so wird sie Tyrannei. Nur die echte Freiheit
löst dieses Problem, d. h. nicht ein Vorrecht, sondern die Rechtsgleichheit
aller. Die Intoleranz der Kirche bezüglich ihrer Glaubenslehre, ihres Cultus,
ihrer Disciplin ist durch ihre Verfassung geboten. Sie würde aufhören, die
katholische Kirche zu sein, stände ihr die unbeschränkte Macht in kirchlichen
Dingen nicht zu. Auch wenn die Kirche auf die Hilfe des weltlichen Arms
verzichtet, gibt sie ihre doctrinelle Unbeugsamkeit nicht aus, im Gegentheil,
grade wenn sie vom Staat sich trennt, findet sie im eignen Schoß die von
ihr gewünschte Hilfe, und hat die Hoffnung, durch ihre Jsolirung die eigne
Gerichtsbarkeit zu verstärken. — Im Gegentheil konnte die Reformation sich
nicht verwirklichen, ohne die Freiheit in ihrem Gefolge. Es gibt keine Kirche
in dem mystischen Sinn des Worts; die Religion ist Sache des Einzelnen.


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[0293] nischen Freistaaten, deren erster Band 1855 erschien, haben diese Stellung be¬ festigt. Er redigirt seit 1855 eine Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissen¬ schaft. Was in dieser Schrift am meisten Beachtung verdient, ist die Aner¬ kennung, daß der Protestantismus, ganz abgesehn von allen dogmatischen Unterschieden, seinem Wesen nach die Religionsfreiheit fördert, während die ka¬ tholische Kirche sie ausschließt. Der Charakter der religiösen Wahrheit ist der katholischen Kirche ein von dem der menschlichen Wahrheiten verschiedener. Diese sind Wahrheiten, inwieweit wir sie als solche anerkennen. Im gewöhn¬ lichen Leben verlangt man von uns nicht, zu glauben, was unsere Intelligenz verwirft. Anders ist es mit der Wahrheit, welche die katholische Kirche als eine ewige und untrügliche darstellt. „Die Bereitwilligkeit, zu glauben, was die Kirche glaubt," sagt Bossuet, „besteht in der Entsagung auf die eigne Denkweise, wenn diese den Satzungen der Kirche entgegenläuft. Wer sein individuelles Urtheil für richtiger als das der Kirche hält, ist ein Hochmüthiger, ein Verdammungswürdiger, der, indem er die Einheit des Glaubens zerreißt, sich auflehnt gegen das Gesetz der heiligen Kirchengemeinschaft: es ist ein öffentlicher Feind, der die Seele verdirbt und gestraft werden muß. Die Kirche bedient sich gegen die Empörung derselben Waffen wie der Staat; die Anarchie zulassen, hieße sich selbst ausgeben." Diese Verfassung der Kirche, diese ihre Art und Weise, die Wahrheit wie ein gebietendes Gesetz aufzu¬ fassen, ist die eigentliche Ursache ihrer Intoleranz, und diese Intoleranz hat alle Umwälzungen in der Kirche, allen Wechsel der Zeit und der Ansichten überlebt. Jede Toleranz ist ihr ein Preisgeben ihrer- Herde, und An solches Opfer von der Kirche zu fordern/ ist man nicht berechtigt; sie brachte es nie und wird es nie bringen. — Die Art und Weise, wie in neuesten Zeiten die italienischen Bischöfe das östreichische Concordat verstanden, läßt uns in die Tiefe ihrer Seele blicken. Vielleicht, will Oestreich durch diesen Act der Kirche nur die Freiheit geben, allein nimmt man die Freiheit ausschließlich für sich in Anspruch und gegen andere, so wird sie Tyrannei. Nur die echte Freiheit löst dieses Problem, d. h. nicht ein Vorrecht, sondern die Rechtsgleichheit aller. Die Intoleranz der Kirche bezüglich ihrer Glaubenslehre, ihres Cultus, ihrer Disciplin ist durch ihre Verfassung geboten. Sie würde aufhören, die katholische Kirche zu sein, stände ihr die unbeschränkte Macht in kirchlichen Dingen nicht zu. Auch wenn die Kirche auf die Hilfe des weltlichen Arms verzichtet, gibt sie ihre doctrinelle Unbeugsamkeit nicht aus, im Gegentheil, grade wenn sie vom Staat sich trennt, findet sie im eignen Schoß die von ihr gewünschte Hilfe, und hat die Hoffnung, durch ihre Jsolirung die eigne Gerichtsbarkeit zu verstärken. — Im Gegentheil konnte die Reformation sich nicht verwirklichen, ohne die Freiheit in ihrem Gefolge. Es gibt keine Kirche in dem mystischen Sinn des Worts; die Religion ist Sache des Einzelnen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/293>, abgerufen am 02.07.2024.