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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Unternehmen zu betheiligen. -- Wir erkennen nicht den geringsten Grund, der
den Staat veranlassen könnte, auf diese Weise in die Functionen der Kirche
einzugreifen.

8) Feststellung strengerer Strafen gegen die Geistlichen bei allen Verbre¬
chen, namentlich den Verbrechen gegen die Scham. -- Im Allgemeinen ist
dieser Grundsah wol verwerflich, nur den Fall ausgenommen, wo die Geist¬
lichen ihre Amtsbcsugniß zu einem Verbrechen mißbrauchen.

9) Aufhebung der päpstlichen und bischöflichen Autorität und Aufhebung
der dem Geistlichen verstatteten Exemption vor Gericht. -- Der letzte Punkt
ist der Kern des Ganzen. Das Recht soll ein allgemeines sein für die Geist¬
lichen wie für die Laien; es muß sich also auch aus einer gemeinschaftlichen
Quelle herschreiben. Dieser Punkt kann uns daran erinnern, daß auch in
unserm Concordat noch vieles zu revidiren übrigbleibt.

Wenn schon bei Proudhon in vielen Punkten die Uebereinstimmung mit
dem Protestantismus deutlich hervortritt, so ist diese Uebereinstimmung noch
mehr in dem Buch von Hymans hervorgehoben. Freilich ist es nicht ein
streng historisches Werk und man darf nicht mit den Anforderungen einer hi¬
storischen Monographie daran gehen, aber es ist geistvoll und lebendig ge¬
schrieben und die positiven Angaben, deren sich der Verfasser bedient, um seine
Ansprüche zu unterstützen, beruhen durchweg auf geschichtlich beglaubigten
Thatsachen. Wir machen hauptsächlich auf einen Punkt aufmerksam, den man
ost irrig auffaßt und dessen wahre Bedeutung in den belgischen Händeln am
besten zu Tage tritt. Das Symbol, welches die ultramontane Partei 1830
in Belgien auf ihre Fahne schrieb, war Freiheit der Kirche. "Wenn aus der
vollständigen Trennung dieser Gewalten," entgegnet Hymans, "eine vollständige
Entfernung des Klerus aus den Swapgeschäften hervorgehn könnte, so wären
wir die ersten, dieselbe als ein unfehlbares Mittel des Fortschritts zu be¬
trachten. Aber was wird aus der bürgerlichen Freiheit einer Kirche gegenüber,
die auf alle Functionen des staatlichen und bürgerlichen Lebens einen entschei¬
denden Einfluß beansprucht?" Dies ist der Umstand, aus den alles ankommt.
Die Unabhängigkeit der Kirche vom Staat ist eine gerechtfertigte Forderung,
aber nur unter der Bedingung, daß zugleich die Unabhängigkeit des, Staats
und der bürgerlichen Gesellschaft von der Kirche garantirt wird. Der Ver¬
fasser hat sich ein großes Verdienst erworben, indem er von diesem Gesichts¬
punkt aus die Entwicklung Belgiens beleuchtet hat.

Die Aufsätze von Eduard Laboulaye sind aus dem ssouin^l ach
V6bg.t,8 von 1856. Bereits durch seine erste gekrönte Preisschrift: Die Ge¬
schichte des Eigenthums im Abendland, hat er sich eine ausgezeichnete Stellung
auf dem Gebiet der Rechtsgeschichte erworben; seine Ausgabe von Loiscts
"Institutes eoutuiMrss" und seine Verfassungsgeschichte der Nordamerika-


Unternehmen zu betheiligen. — Wir erkennen nicht den geringsten Grund, der
den Staat veranlassen könnte, auf diese Weise in die Functionen der Kirche
einzugreifen.

8) Feststellung strengerer Strafen gegen die Geistlichen bei allen Verbre¬
chen, namentlich den Verbrechen gegen die Scham. — Im Allgemeinen ist
dieser Grundsah wol verwerflich, nur den Fall ausgenommen, wo die Geist¬
lichen ihre Amtsbcsugniß zu einem Verbrechen mißbrauchen.

9) Aufhebung der päpstlichen und bischöflichen Autorität und Aufhebung
der dem Geistlichen verstatteten Exemption vor Gericht. — Der letzte Punkt
ist der Kern des Ganzen. Das Recht soll ein allgemeines sein für die Geist¬
lichen wie für die Laien; es muß sich also auch aus einer gemeinschaftlichen
Quelle herschreiben. Dieser Punkt kann uns daran erinnern, daß auch in
unserm Concordat noch vieles zu revidiren übrigbleibt.

Wenn schon bei Proudhon in vielen Punkten die Uebereinstimmung mit
dem Protestantismus deutlich hervortritt, so ist diese Uebereinstimmung noch
mehr in dem Buch von Hymans hervorgehoben. Freilich ist es nicht ein
streng historisches Werk und man darf nicht mit den Anforderungen einer hi¬
storischen Monographie daran gehen, aber es ist geistvoll und lebendig ge¬
schrieben und die positiven Angaben, deren sich der Verfasser bedient, um seine
Ansprüche zu unterstützen, beruhen durchweg auf geschichtlich beglaubigten
Thatsachen. Wir machen hauptsächlich auf einen Punkt aufmerksam, den man
ost irrig auffaßt und dessen wahre Bedeutung in den belgischen Händeln am
besten zu Tage tritt. Das Symbol, welches die ultramontane Partei 1830
in Belgien auf ihre Fahne schrieb, war Freiheit der Kirche. „Wenn aus der
vollständigen Trennung dieser Gewalten," entgegnet Hymans, „eine vollständige
Entfernung des Klerus aus den Swapgeschäften hervorgehn könnte, so wären
wir die ersten, dieselbe als ein unfehlbares Mittel des Fortschritts zu be¬
trachten. Aber was wird aus der bürgerlichen Freiheit einer Kirche gegenüber,
die auf alle Functionen des staatlichen und bürgerlichen Lebens einen entschei¬
denden Einfluß beansprucht?" Dies ist der Umstand, aus den alles ankommt.
Die Unabhängigkeit der Kirche vom Staat ist eine gerechtfertigte Forderung,
aber nur unter der Bedingung, daß zugleich die Unabhängigkeit des, Staats
und der bürgerlichen Gesellschaft von der Kirche garantirt wird. Der Ver¬
fasser hat sich ein großes Verdienst erworben, indem er von diesem Gesichts¬
punkt aus die Entwicklung Belgiens beleuchtet hat.

Die Aufsätze von Eduard Laboulaye sind aus dem ssouin^l ach
V6bg.t,8 von 1856. Bereits durch seine erste gekrönte Preisschrift: Die Ge¬
schichte des Eigenthums im Abendland, hat er sich eine ausgezeichnete Stellung
auf dem Gebiet der Rechtsgeschichte erworben; seine Ausgabe von Loiscts
„Institutes eoutuiMrss" und seine Verfassungsgeschichte der Nordamerika-


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[0292] Unternehmen zu betheiligen. — Wir erkennen nicht den geringsten Grund, der den Staat veranlassen könnte, auf diese Weise in die Functionen der Kirche einzugreifen. 8) Feststellung strengerer Strafen gegen die Geistlichen bei allen Verbre¬ chen, namentlich den Verbrechen gegen die Scham. — Im Allgemeinen ist dieser Grundsah wol verwerflich, nur den Fall ausgenommen, wo die Geist¬ lichen ihre Amtsbcsugniß zu einem Verbrechen mißbrauchen. 9) Aufhebung der päpstlichen und bischöflichen Autorität und Aufhebung der dem Geistlichen verstatteten Exemption vor Gericht. — Der letzte Punkt ist der Kern des Ganzen. Das Recht soll ein allgemeines sein für die Geist¬ lichen wie für die Laien; es muß sich also auch aus einer gemeinschaftlichen Quelle herschreiben. Dieser Punkt kann uns daran erinnern, daß auch in unserm Concordat noch vieles zu revidiren übrigbleibt. Wenn schon bei Proudhon in vielen Punkten die Uebereinstimmung mit dem Protestantismus deutlich hervortritt, so ist diese Uebereinstimmung noch mehr in dem Buch von Hymans hervorgehoben. Freilich ist es nicht ein streng historisches Werk und man darf nicht mit den Anforderungen einer hi¬ storischen Monographie daran gehen, aber es ist geistvoll und lebendig ge¬ schrieben und die positiven Angaben, deren sich der Verfasser bedient, um seine Ansprüche zu unterstützen, beruhen durchweg auf geschichtlich beglaubigten Thatsachen. Wir machen hauptsächlich auf einen Punkt aufmerksam, den man ost irrig auffaßt und dessen wahre Bedeutung in den belgischen Händeln am besten zu Tage tritt. Das Symbol, welches die ultramontane Partei 1830 in Belgien auf ihre Fahne schrieb, war Freiheit der Kirche. „Wenn aus der vollständigen Trennung dieser Gewalten," entgegnet Hymans, „eine vollständige Entfernung des Klerus aus den Swapgeschäften hervorgehn könnte, so wären wir die ersten, dieselbe als ein unfehlbares Mittel des Fortschritts zu be¬ trachten. Aber was wird aus der bürgerlichen Freiheit einer Kirche gegenüber, die auf alle Functionen des staatlichen und bürgerlichen Lebens einen entschei¬ denden Einfluß beansprucht?" Dies ist der Umstand, aus den alles ankommt. Die Unabhängigkeit der Kirche vom Staat ist eine gerechtfertigte Forderung, aber nur unter der Bedingung, daß zugleich die Unabhängigkeit des, Staats und der bürgerlichen Gesellschaft von der Kirche garantirt wird. Der Ver¬ fasser hat sich ein großes Verdienst erworben, indem er von diesem Gesichts¬ punkt aus die Entwicklung Belgiens beleuchtet hat. Die Aufsätze von Eduard Laboulaye sind aus dem ssouin^l ach V6bg.t,8 von 1856. Bereits durch seine erste gekrönte Preisschrift: Die Ge¬ schichte des Eigenthums im Abendland, hat er sich eine ausgezeichnete Stellung auf dem Gebiet der Rechtsgeschichte erworben; seine Ausgabe von Loiscts „Institutes eoutuiMrss" und seine Verfassungsgeschichte der Nordamerika-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/292>, abgerufen am 02.07.2024.