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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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thümer, als durch das Positive, was sie enthalten, für die französische Bil¬
dung charakteristisch sind. Sie zeigen, daß die Idee der Centralisation auch
bei den leidenschaftlichsten Feinden der bestehenden Zustände so in Fleisch und
Blut übergegangen ist, daß sie alle ihre Anschauungen verwirrt.

1) Bereinigung der geistlichen und weltlichen Gewalt in der französischen
Souveränetät. -- Das heißt freilich den Knoten zerhauen, es wäre aber nur
möglich durch einen Despotismus wie zur Zeit des Nationalconvents. In¬
dessen ist der Satz zu allgemein gehalten, um an ihn die Widerlegung zu
knüpfen. Die Folgerungen zeigen sich bei den einzelnen praktischen Vor¬
schlägen.

2) Verpflichtung des Klerus, in allen Lehranstalten die Moral nach der
Doctrin von 1739 vorzutragen. -- In diesem Punkt tritt der Despotismus
des Princips, der die Beamten der Kirche und des Staats zu reinen Ma¬
schinen erniedrigt, schon deutlich hervor. Was Proudhon mit dieser Forde¬
rung bezweckt, wird einerseits durch Concurrenzschulen des Staats und der
Privaten, andererseits durch die den geistlichen Lehrern aufgelegte Verpflich¬
tung, sich denselben Bedingungen zu unterwerfen, denen die andern Lehrer
unterworfen sind, vollständig erreicht. Nicht Lehrzwang, sondern Lehrfreiheit.

3) Verpflichtung der Geistlichen, ihre Functionen bei Geburten, Heirathen,
Sterbefällen u. s. w. ohne Rücksicht aus das Glaubensbekenntniß der Bethei¬
ligten auszuüben. -- Auch dies Ziel wird einfacher dadurch erreicht, daß der
Staat den Geistlichen Concurrenz macht d. h. daß die Civilbehörden verpflich¬
tet werden, auf die Anforderung der Betheiligten diese sonst den Geistlichen
zustehenden Functionen auszuüben.

4) Aufhebung der Klöster. -- Wir dürfen kaum hinzusetzen, daß dieser
Wunsch unsere herzliche Beistimmung hat.

5) Aufhebung der ewigen Gelübde. Jeder Priester soll das Recht haben,
nach sechsjährigem Dienst seinen Stand zu verlassen und sich zu verheirathen.
-- Wir glauben, daß der Staat weiter gehen kann, indem er jede Verfol¬
gung gegen einen Priester, der seinen Stand aufgibt, untersagt. Dieser
Punkt ist bei uns glücklich erreicht.

K) Wiedergabe aller geistlichen Güter an die Gemeinden und Verbot gegen
die Kirche, ein Geschenk anzunehmen. -- Die Forderung ist hart, kaum ohne
Gewaltthat durchzuführen und es ist sehr fraglich, ob sie ihren Zweck erreicht.
So ist z. B. in den katholischen Provinzen Preußens, seit die Bischöfe ihre
Besoldung vom Staat empfangen, die Abhängigkeit derselben vom Staat
keineswegs vermehrt. Daß übrigens, um sehr naheliegenden Mißbräuchen
vorzubeugen, alle Schenkungen an die Kirche einer strengen Controle unter¬
worfen werden müssen, versteht sich von selbst.

7) Dem Priester soll verboten werden, sich an irgend einem finanziellen


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thümer, als durch das Positive, was sie enthalten, für die französische Bil¬
dung charakteristisch sind. Sie zeigen, daß die Idee der Centralisation auch
bei den leidenschaftlichsten Feinden der bestehenden Zustände so in Fleisch und
Blut übergegangen ist, daß sie alle ihre Anschauungen verwirrt.

1) Bereinigung der geistlichen und weltlichen Gewalt in der französischen
Souveränetät. — Das heißt freilich den Knoten zerhauen, es wäre aber nur
möglich durch einen Despotismus wie zur Zeit des Nationalconvents. In¬
dessen ist der Satz zu allgemein gehalten, um an ihn die Widerlegung zu
knüpfen. Die Folgerungen zeigen sich bei den einzelnen praktischen Vor¬
schlägen.

2) Verpflichtung des Klerus, in allen Lehranstalten die Moral nach der
Doctrin von 1739 vorzutragen. — In diesem Punkt tritt der Despotismus
des Princips, der die Beamten der Kirche und des Staats zu reinen Ma¬
schinen erniedrigt, schon deutlich hervor. Was Proudhon mit dieser Forde¬
rung bezweckt, wird einerseits durch Concurrenzschulen des Staats und der
Privaten, andererseits durch die den geistlichen Lehrern aufgelegte Verpflich¬
tung, sich denselben Bedingungen zu unterwerfen, denen die andern Lehrer
unterworfen sind, vollständig erreicht. Nicht Lehrzwang, sondern Lehrfreiheit.

3) Verpflichtung der Geistlichen, ihre Functionen bei Geburten, Heirathen,
Sterbefällen u. s. w. ohne Rücksicht aus das Glaubensbekenntniß der Bethei¬
ligten auszuüben. — Auch dies Ziel wird einfacher dadurch erreicht, daß der
Staat den Geistlichen Concurrenz macht d. h. daß die Civilbehörden verpflich¬
tet werden, auf die Anforderung der Betheiligten diese sonst den Geistlichen
zustehenden Functionen auszuüben.

4) Aufhebung der Klöster. — Wir dürfen kaum hinzusetzen, daß dieser
Wunsch unsere herzliche Beistimmung hat.

5) Aufhebung der ewigen Gelübde. Jeder Priester soll das Recht haben,
nach sechsjährigem Dienst seinen Stand zu verlassen und sich zu verheirathen.
— Wir glauben, daß der Staat weiter gehen kann, indem er jede Verfol¬
gung gegen einen Priester, der seinen Stand aufgibt, untersagt. Dieser
Punkt ist bei uns glücklich erreicht.

K) Wiedergabe aller geistlichen Güter an die Gemeinden und Verbot gegen
die Kirche, ein Geschenk anzunehmen. — Die Forderung ist hart, kaum ohne
Gewaltthat durchzuführen und es ist sehr fraglich, ob sie ihren Zweck erreicht.
So ist z. B. in den katholischen Provinzen Preußens, seit die Bischöfe ihre
Besoldung vom Staat empfangen, die Abhängigkeit derselben vom Staat
keineswegs vermehrt. Daß übrigens, um sehr naheliegenden Mißbräuchen
vorzubeugen, alle Schenkungen an die Kirche einer strengen Controle unter¬
worfen werden müssen, versteht sich von selbst.

7) Dem Priester soll verboten werden, sich an irgend einem finanziellen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/291>, abgerufen am 28.09.2024.