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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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mit der anstoßenden Balkenlage zusammengefügt , bilden die vier Wände.
Das überragende Dach besteht aus Holzschindeln, von Holz ist der Schorn¬
stein, wo ja einer ist, und von Holz sind alle übrigen Theile des Hauses;
kaum daß ein Eisennagel an das Thürschloß verschwendet wird. In nicht
zu großer Ferne gibts eiskaltes Quellwasser. Auch ein paar klare Lachen von
geringer Tiefe spiegeln den blauen Frühlingshimmel ab, willkommene
schwemmen für das Almvieh, wenn erst die Sonne mehr in Scheitelhöhe
steht. Zwischen Eichbäumen, denen eben junge Blätter wachsen, steht eine
Kapelle von Holz. Verdorrte Alpenrosen vom vorigen Jahr, Edelweiß und
gelbe Alpenprimeln trauern in Scherben vor einem verwitterten Marienbilde.
Das welke Einstand tanzt unter dem Gebetbänken umher, und wenn der
Wind zwischen die verblaßten Bänder und unter die von der Wand sich
lösenden Notivbilder fährt, raschelts gar eigen.

Zwei Fichtenstämme, seitwärts von der Kapelle, der weitesten Aussicht
grade gegenüber, hat der Wintersturm vor so manchem Jahre auf den Boden
hingestreckt. So weit die Axt der Schwägerinnen den Aesten und Zweigen
beikommen konnte, haben diese zur Heizung des Milch- und Käsekessels her¬
halten müssen; die Stämme selbst sind in so hoher Region werthlos, genug
gibts immer des leicht erreichbaren dürren Zwergholzes. .Man wird sich
ihrer als willkommner Ruhebänke bedienen und manche Abendstunde darauf
verplaudern, bis das Gewürm die Sitze morsch und morscher macht und
die letzten Trümmer nun doch -- aber Jahrzehnte kanns noch dauern -- den
Weg alles Holzes gehen werden. Graswuchs bedeckt den ganzen Almboden.
Es ist noch kurz und die recht schmackhaften Futterkräuter, nach denen die
Schwägerinnen mit Sichel und Steigeisen stundenweit umherklettern, beginnen
kaum erst zu sprießen; aber wie alles frischer und aromatischer hier oben ist,
so auch die kurze Grasdecke selbst; der kleinste Halm hat seinen Duft. Das
ist die Alm im'Frühling, wenn sich die Gemse noch zuweilen aus der Höhe
ihrer kahlen Bergheimath bis auf die futterreichen Almhänge hinabgetraut,
wenn sich die summenden Insekten noch im Thal wohler fühlen, und der
kreisende Keier unter der Augenlinie des hinabblickenden Bergsteigers nach
den Krähennestern in den Tannenwipseln des niedrigen Gebirgs späht, kaum
hörbar sein lauter Ruf, kaum erkennbar sein schillerndes graubraunes Ge¬
fieder.

Aber die Tage werden länger. Nun wird unten im Dorf oder Markt¬
flecken zum "Auftrieb" gerüstet. Das milcharme Vieh wird verkauft oder
abgestochen. Die Henne, welche sparsam im Eierlegen ist, kommt in den Koch¬
topf, der alte Hahn erhält einen beschränkteren Wirkungskreis und sein kreide¬
weißer Sohn, dem eben erst die stolzen Schweiffedern und die Sporen gewachsen
sind, wird den Almhennen zugetheilt. Eines Morgens früh gehts mit mächtigem


mit der anstoßenden Balkenlage zusammengefügt , bilden die vier Wände.
Das überragende Dach besteht aus Holzschindeln, von Holz ist der Schorn¬
stein, wo ja einer ist, und von Holz sind alle übrigen Theile des Hauses;
kaum daß ein Eisennagel an das Thürschloß verschwendet wird. In nicht
zu großer Ferne gibts eiskaltes Quellwasser. Auch ein paar klare Lachen von
geringer Tiefe spiegeln den blauen Frühlingshimmel ab, willkommene
schwemmen für das Almvieh, wenn erst die Sonne mehr in Scheitelhöhe
steht. Zwischen Eichbäumen, denen eben junge Blätter wachsen, steht eine
Kapelle von Holz. Verdorrte Alpenrosen vom vorigen Jahr, Edelweiß und
gelbe Alpenprimeln trauern in Scherben vor einem verwitterten Marienbilde.
Das welke Einstand tanzt unter dem Gebetbänken umher, und wenn der
Wind zwischen die verblaßten Bänder und unter die von der Wand sich
lösenden Notivbilder fährt, raschelts gar eigen.

Zwei Fichtenstämme, seitwärts von der Kapelle, der weitesten Aussicht
grade gegenüber, hat der Wintersturm vor so manchem Jahre auf den Boden
hingestreckt. So weit die Axt der Schwägerinnen den Aesten und Zweigen
beikommen konnte, haben diese zur Heizung des Milch- und Käsekessels her¬
halten müssen; die Stämme selbst sind in so hoher Region werthlos, genug
gibts immer des leicht erreichbaren dürren Zwergholzes. .Man wird sich
ihrer als willkommner Ruhebänke bedienen und manche Abendstunde darauf
verplaudern, bis das Gewürm die Sitze morsch und morscher macht und
die letzten Trümmer nun doch — aber Jahrzehnte kanns noch dauern — den
Weg alles Holzes gehen werden. Graswuchs bedeckt den ganzen Almboden.
Es ist noch kurz und die recht schmackhaften Futterkräuter, nach denen die
Schwägerinnen mit Sichel und Steigeisen stundenweit umherklettern, beginnen
kaum erst zu sprießen; aber wie alles frischer und aromatischer hier oben ist,
so auch die kurze Grasdecke selbst; der kleinste Halm hat seinen Duft. Das
ist die Alm im'Frühling, wenn sich die Gemse noch zuweilen aus der Höhe
ihrer kahlen Bergheimath bis auf die futterreichen Almhänge hinabgetraut,
wenn sich die summenden Insekten noch im Thal wohler fühlen, und der
kreisende Keier unter der Augenlinie des hinabblickenden Bergsteigers nach
den Krähennestern in den Tannenwipseln des niedrigen Gebirgs späht, kaum
hörbar sein lauter Ruf, kaum erkennbar sein schillerndes graubraunes Ge¬
fieder.

Aber die Tage werden länger. Nun wird unten im Dorf oder Markt¬
flecken zum „Auftrieb" gerüstet. Das milcharme Vieh wird verkauft oder
abgestochen. Die Henne, welche sparsam im Eierlegen ist, kommt in den Koch¬
topf, der alte Hahn erhält einen beschränkteren Wirkungskreis und sein kreide¬
weißer Sohn, dem eben erst die stolzen Schweiffedern und die Sporen gewachsen
sind, wird den Almhennen zugetheilt. Eines Morgens früh gehts mit mächtigem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/28>, abgerufen am 05.07.2024.