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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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das rothe Meer und Gott kann uns noch besser hinüberführen, als das Volk
Israel; mit unserem Gott wollen wir über das rothe Meer springen." --
"Aber wenn ihr einmal über die russische Grenze seid, dann nehmen euch die
Kurden gefangen und verkaufen euch als Sklaven in die Türkei und nach Per-
sien." Sie erwiederten: "Wir sind schon verkauft. Uns kauft niemand, uns
hat der Heiland gekauft mit seinem theuren Blut. Wer wollte oder könnte
uns kaufen?" -- "Aber ohne Paß konnt ihr ja nicht über die Grenze." --
"Das hält uns nicht auf; wir brauchen gar keinen Paß, wir haben unsern
Paß von Gott. Der Komet, welcher am Himmel zu sehen war, wird, wenn
wir einmal von hier abziehen, erscheinen und vor uns hingehen,'wie bei dem
Volke Israel die Feuersäule; er wird uns den Weg zeigen." -- "Euer Glaube
ist aber religiöser, überspannter Wahn; in der Bibel steht kein Wort von einem
zweiten Israel und ihr betrügt euch selbst." -- Darauf antworteten sie: "Ihr
lästert durch diese Worte Gott. Das ist Sünde wider den heiligen-Geist und
solche werden in die unterste Hölle gestoßen werden, wenn sie nicht durch uns
gerettet werden. Die Bäbele und wir haben dies alles von Gott geoffen,
parce bekommen." Hieraus antwortete der humane Oberbefehlshaber General
v. Neidhardt: "Wenn ihrs von Gott habt, so kann ich nicht wider euch
sein" und entließ sie. -- Collegienrath v. Kotzebue erhielt jedoch den Auf.
trag, ihr Verderben zu verhüten.

Die sechste Offenbarung der Frau Spohn lautete: "Gott hat mir geoffen-
barer, daß sich viele noch bekehren und mit uns ziehen werden; viele werden
sich noch retten lassen durch Ermahnungen. Thuet ihnen den Willen Gottes kund."

Hieraus wurde unverdrossen geworben und sie bekamen selbst von ihren
Widersachern großen Anhang, so z. B. den Schulzen von Katharinenfeld.
Joseph Almendinger, den Kirchcnältesten von Marienseld. Sie verschenkten
alles an die.Kirchlichen, bildeten unter sich eine Armenkasse, über welche einer
aus ihrer Mitte gesetzt wurde, der ohne Unterschied an Kirchliche, Tataren
und Separatisten austheilte, sogar Schulden sür die Kirchlichen bezahlte. So
bekamen sie einen immer größern Anhang, von .einigen allerdings nur auf
kurze Zeit und aus materiellem Interesse. Ja man machte ihnen den Vor¬
wurf, daß sie die Leute durch Geld anwürben. Von da an gaben sie mit
vollen Händen das Geld blos an die Tataren, ohne zu zählen.

Die siebente Offenbarung hieß: "Gott hat mir geoffenbaret, daß noch
viele Seelen unter unseren ungläubigen Mitbrüdern sich retten lassen (sie gab
auch viele namentlich an, wegen deren sie mit Gott gesprochen); doch wer sich
bekehren will, muß eilen, da die Gnadenthür nicht mehr lange offen ist; denn
schließt sie sich einmal, so wird keiner mehr eingelassen. "Bis zum Psingst.
Sonntage", hat Gott zu mir gesagt, "ist nunmehr die höchste Zeit, abzuziehen,
sonst werdet ihr auch noch vertilgt in dem Sodoma."


das rothe Meer und Gott kann uns noch besser hinüberführen, als das Volk
Israel; mit unserem Gott wollen wir über das rothe Meer springen." —
„Aber wenn ihr einmal über die russische Grenze seid, dann nehmen euch die
Kurden gefangen und verkaufen euch als Sklaven in die Türkei und nach Per-
sien." Sie erwiederten: „Wir sind schon verkauft. Uns kauft niemand, uns
hat der Heiland gekauft mit seinem theuren Blut. Wer wollte oder könnte
uns kaufen?" — „Aber ohne Paß konnt ihr ja nicht über die Grenze." —
„Das hält uns nicht auf; wir brauchen gar keinen Paß, wir haben unsern
Paß von Gott. Der Komet, welcher am Himmel zu sehen war, wird, wenn
wir einmal von hier abziehen, erscheinen und vor uns hingehen,'wie bei dem
Volke Israel die Feuersäule; er wird uns den Weg zeigen." — „Euer Glaube
ist aber religiöser, überspannter Wahn; in der Bibel steht kein Wort von einem
zweiten Israel und ihr betrügt euch selbst." — Darauf antworteten sie: „Ihr
lästert durch diese Worte Gott. Das ist Sünde wider den heiligen-Geist und
solche werden in die unterste Hölle gestoßen werden, wenn sie nicht durch uns
gerettet werden. Die Bäbele und wir haben dies alles von Gott geoffen,
parce bekommen." Hieraus antwortete der humane Oberbefehlshaber General
v. Neidhardt: „Wenn ihrs von Gott habt, so kann ich nicht wider euch
sein" und entließ sie. — Collegienrath v. Kotzebue erhielt jedoch den Auf.
trag, ihr Verderben zu verhüten.

Die sechste Offenbarung der Frau Spohn lautete: „Gott hat mir geoffen-
barer, daß sich viele noch bekehren und mit uns ziehen werden; viele werden
sich noch retten lassen durch Ermahnungen. Thuet ihnen den Willen Gottes kund."

Hieraus wurde unverdrossen geworben und sie bekamen selbst von ihren
Widersachern großen Anhang, so z. B. den Schulzen von Katharinenfeld.
Joseph Almendinger, den Kirchcnältesten von Marienseld. Sie verschenkten
alles an die.Kirchlichen, bildeten unter sich eine Armenkasse, über welche einer
aus ihrer Mitte gesetzt wurde, der ohne Unterschied an Kirchliche, Tataren
und Separatisten austheilte, sogar Schulden sür die Kirchlichen bezahlte. So
bekamen sie einen immer größern Anhang, von .einigen allerdings nur auf
kurze Zeit und aus materiellem Interesse. Ja man machte ihnen den Vor¬
wurf, daß sie die Leute durch Geld anwürben. Von da an gaben sie mit
vollen Händen das Geld blos an die Tataren, ohne zu zählen.

Die siebente Offenbarung hieß: „Gott hat mir geoffenbaret, daß noch
viele Seelen unter unseren ungläubigen Mitbrüdern sich retten lassen (sie gab
auch viele namentlich an, wegen deren sie mit Gott gesprochen); doch wer sich
bekehren will, muß eilen, da die Gnadenthür nicht mehr lange offen ist; denn
schließt sie sich einmal, so wird keiner mehr eingelassen. „Bis zum Psingst.
Sonntage", hat Gott zu mir gesagt, „ist nunmehr die höchste Zeit, abzuziehen,
sonst werdet ihr auch noch vertilgt in dem Sodoma."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/279>, abgerufen am 26.07.2024.