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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Von nun an sind wir der Ansicht, daß sie planmäßig vorging und nicht
an alles glaubte, was sie als Offenbarung vorgab, da mir bekannt war, daß
sie selbst gar nichts verkaufte oder verschleuderte, auch nichts wegschenkte und
von allen Räumen die Schlüssel bei sich hatte, ja sich auch zuweilen im Keller
an bessern Eßwaaren oder etwas Wein labte; denn sie war und ist jetzt noch
gut genährt. Auch ihre nachherigen Offenbarungen deuteten aus Berechnung
und endlich auf Unsicherheit.

Die achte Offenbarung lautete nämlich: "Gott hat mir geoffenbaret, daß
jeder Bekehrte mir seine Sünden beichten soll. Ihr dürfet auch einen Esel
mitnehmen und das für eure Sachen gelöste Geld. Dies erlaubt Gott, weil
ihr ihm so gehorsam seid. Auch ein Felleisen soll ein jeder Mann auf dem
Rücken mitnehmen, mit Proviant und Kleidern versehen. Ein" Woche vor
Pfingsten sollt ihr euch aus allen Kolonien bei meinem Hause in Katharinen-
seld versammeln und die ganze Nacht beten. Am Pfingstdienstage werden wir
abziehen."

Schon am Sonnabende vor den Pfingsten kamen an 300 Separa¬
tisten aus Alexandersdorf, Neutiflis, Marienfeld und Elisabeththal nach Ka-
tharinenfeld, aber auch Collegienrath v. Kotzebue, einige Fremde und 200 Mann
Linienkosaken, welche vor dem Dorfe Katharinenfeld lagerten. Collegien¬
rath v. Kotzebue ließ ankündigen, daß sich die Separatisten nicht aus den
Häusern begeben sollten. Die Betstunden wurden in mehren Häusern gehal¬
ten und die Separatisten erwarteten, daß Gott den heiligen Geist über sie
ausgießen, die Bäbele das Zeichen zum Aufbruch geben und derselbe dennoch
ungehindert vor sich gehen werde. Fest in ihrem Glauben, prahlten sie noch :
"So ist noch nie keine Gschicht vorgfalla. so lang Katherinenfeld flohe. als
wie de unsrige. Was? so lang de Walt flohe. O wie glücklich sind miar,
uns hat Gott allein auersehen von elle vier Winden, ja von der ganzen Erde,
daß wir sollen des tausendjährige Reich gründen, wir sollen sei des Funda¬
ment, wir sollen die Grundpfeiler sei im tausendjährige Reich."

Als die Versammlung und Begrüßung ein Ende hatte, wollten alle die
kommende Nacht noch zum heiligen Abendmahle gehen. Beim Anbruch der
Nacht gingen zuerst die Männer, später die Weiber, dann die Kinder. Ein
stämmiger Separatist, Namens Kreuzinger aus Elisabeththal, sprach: "Und ich
sage euch meine Meinung, ich ginge lieber mit den Lämmern als mit den
alten Schafen, und ehe Pharao nicht Ja sagt, wird aus unserm Abzüge
nichts." Da erscholl der allgemeine Ruf: "Stoßt ihn hinaus, den Un¬
gläubigen."

Als der Psingstdienstag kam, sagte Bäbele Spohn, der Ruf sei von
Gott gekommen, sie sollen erst um 11 Uhr aufbrechen. Da ließ ihnen aber
der Collegienrath v. Kotzebue den Gegenruf bringen, sie sollen nicht aufbrechen.


Von nun an sind wir der Ansicht, daß sie planmäßig vorging und nicht
an alles glaubte, was sie als Offenbarung vorgab, da mir bekannt war, daß
sie selbst gar nichts verkaufte oder verschleuderte, auch nichts wegschenkte und
von allen Räumen die Schlüssel bei sich hatte, ja sich auch zuweilen im Keller
an bessern Eßwaaren oder etwas Wein labte; denn sie war und ist jetzt noch
gut genährt. Auch ihre nachherigen Offenbarungen deuteten aus Berechnung
und endlich auf Unsicherheit.

Die achte Offenbarung lautete nämlich: „Gott hat mir geoffenbaret, daß
jeder Bekehrte mir seine Sünden beichten soll. Ihr dürfet auch einen Esel
mitnehmen und das für eure Sachen gelöste Geld. Dies erlaubt Gott, weil
ihr ihm so gehorsam seid. Auch ein Felleisen soll ein jeder Mann auf dem
Rücken mitnehmen, mit Proviant und Kleidern versehen. Ein« Woche vor
Pfingsten sollt ihr euch aus allen Kolonien bei meinem Hause in Katharinen-
seld versammeln und die ganze Nacht beten. Am Pfingstdienstage werden wir
abziehen."

Schon am Sonnabende vor den Pfingsten kamen an 300 Separa¬
tisten aus Alexandersdorf, Neutiflis, Marienfeld und Elisabeththal nach Ka-
tharinenfeld, aber auch Collegienrath v. Kotzebue, einige Fremde und 200 Mann
Linienkosaken, welche vor dem Dorfe Katharinenfeld lagerten. Collegien¬
rath v. Kotzebue ließ ankündigen, daß sich die Separatisten nicht aus den
Häusern begeben sollten. Die Betstunden wurden in mehren Häusern gehal¬
ten und die Separatisten erwarteten, daß Gott den heiligen Geist über sie
ausgießen, die Bäbele das Zeichen zum Aufbruch geben und derselbe dennoch
ungehindert vor sich gehen werde. Fest in ihrem Glauben, prahlten sie noch :
„So ist noch nie keine Gschicht vorgfalla. so lang Katherinenfeld flohe. als
wie de unsrige. Was? so lang de Walt flohe. O wie glücklich sind miar,
uns hat Gott allein auersehen von elle vier Winden, ja von der ganzen Erde,
daß wir sollen des tausendjährige Reich gründen, wir sollen sei des Funda¬
ment, wir sollen die Grundpfeiler sei im tausendjährige Reich."

Als die Versammlung und Begrüßung ein Ende hatte, wollten alle die
kommende Nacht noch zum heiligen Abendmahle gehen. Beim Anbruch der
Nacht gingen zuerst die Männer, später die Weiber, dann die Kinder. Ein
stämmiger Separatist, Namens Kreuzinger aus Elisabeththal, sprach: „Und ich
sage euch meine Meinung, ich ginge lieber mit den Lämmern als mit den
alten Schafen, und ehe Pharao nicht Ja sagt, wird aus unserm Abzüge
nichts." Da erscholl der allgemeine Ruf: „Stoßt ihn hinaus, den Un¬
gläubigen."

Als der Psingstdienstag kam, sagte Bäbele Spohn, der Ruf sei von
Gott gekommen, sie sollen erst um 11 Uhr aufbrechen. Da ließ ihnen aber
der Collegienrath v. Kotzebue den Gegenruf bringen, sie sollen nicht aufbrechen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/280>, abgerufen am 26.07.2024.