Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Wüste; denn nur in dieser ist Ruhe, und so lange euch die Sonne am Wege
Immer auf den linken Rockärmel scheinen wird, bleibet nicht stehen; wenn
euch aber die Sonne ans Herz scheinen wird, seid ihr an Ort und Stelle,
im gelobten Lande."

Allgemein hieß es nun, Bäbele sei von Gott zur Prophetin ausersehen,
sie thue seinen Kindern nur seinen Willen kund. Die meisten Separatisten
arbeiteten nichts mehr und fingen wieder an, alles zu verschenken, hielten aber
aus langer Weile auch dreimal des Tages und einmal des Nachts Versamm-
lungs- und Betstunden.

Die vierte Offenbarung lautete: "Wer von euch nach dem tausendjähri¬
gen Reiche ein Buch mitzunehmen gedenkt, der gehe zu mir und ich werde zu
Gott gehen, ihn zu fragen, ob es erlaubt sei."

Die fünfte Offenbarung hieß: "Gott hat mir geoffenbaret. wir sollen
noch vor Ostern nach Jerusalem und blos am Stock; nicht einen Kopeken
Geld, noch Brot dürft ihr in dje Tasche stecken; auch sollt ihr nur grobe,
baumwollene Kleider anziehen, die Frauen und Jungfrauen müssen alle blau,
die Männer weiß erscheinen."

Von nun an kleideten sie sich auch so. Die Männer kleideten sich in
grobes weißes Tuch, ließen sich weiße Tuchnüchen mit einem entsetzlich großen
Lederschirm und sehr starke Schuhe machen.

Weiter wurde geoffenbart: "Und von allen diesen Kleidern wird keins
veralten, noch zerreißen, bis ihr im tausendjährigen Reich das Brautkleid an¬
ziehen werdet."

Natürlicherweise mußte die Negierung ihr wachsames Auge auf die
Verirrten haben, da sie sonst ins Verderben gerannt wären; denn schon lau¬
erten die Kurden und sandten ihre Kundschafter aus, um sie als Sklaven ge¬
fangen zu nehmen. Die Frau Spohn wurde nach Tiflis zum Oberbefehls¬
haber citirt und erschien; die Bibel mußte auf den Tisch gelegt werden und
es wurden ihr und den sie begleitenden Häuptern die schvncndsten. gütigsten
Vorstellungen gemacht. Auf die Vorstellung: "Gute Leute, ihr werdet ja in
dem dürren Lande, in das ihr ziehen wollt, verhungern und verdursten,"
antworteten sie: "Der Herr versorgt seine Kinder. Wenn wir am Stock
gehen, dann muß uns Gott erhalten; er hat auch das Volk Israel in das
Land Kanaan ohne Geld gebracht. Wir werden auch Manna bekommen;
denn das Volk Israel war nur ein Vorbild von uns; wir sind erst das wahre
Israel! So lange wir aus dem Wege sind, wird es nicht regnen; auch wird
uns die Sonne nicht stechen, noch wird es kalt sein. Die Alten und Schwa¬
chen werden wieder laufen können, wie die Jünglinge. Es wurde ihnen
weiter eingewendet: "Wenn ihr an ein großes Wasser kommt, wo keine Brücke
ist. wie wollt ihr hinüber?" Da antworteten sie: "Das Volk Israel kam über


Wüste; denn nur in dieser ist Ruhe, und so lange euch die Sonne am Wege
Immer auf den linken Rockärmel scheinen wird, bleibet nicht stehen; wenn
euch aber die Sonne ans Herz scheinen wird, seid ihr an Ort und Stelle,
im gelobten Lande."

Allgemein hieß es nun, Bäbele sei von Gott zur Prophetin ausersehen,
sie thue seinen Kindern nur seinen Willen kund. Die meisten Separatisten
arbeiteten nichts mehr und fingen wieder an, alles zu verschenken, hielten aber
aus langer Weile auch dreimal des Tages und einmal des Nachts Versamm-
lungs- und Betstunden.

Die vierte Offenbarung lautete: „Wer von euch nach dem tausendjähri¬
gen Reiche ein Buch mitzunehmen gedenkt, der gehe zu mir und ich werde zu
Gott gehen, ihn zu fragen, ob es erlaubt sei."

Die fünfte Offenbarung hieß: „Gott hat mir geoffenbaret. wir sollen
noch vor Ostern nach Jerusalem und blos am Stock; nicht einen Kopeken
Geld, noch Brot dürft ihr in dje Tasche stecken; auch sollt ihr nur grobe,
baumwollene Kleider anziehen, die Frauen und Jungfrauen müssen alle blau,
die Männer weiß erscheinen."

Von nun an kleideten sie sich auch so. Die Männer kleideten sich in
grobes weißes Tuch, ließen sich weiße Tuchnüchen mit einem entsetzlich großen
Lederschirm und sehr starke Schuhe machen.

Weiter wurde geoffenbart: „Und von allen diesen Kleidern wird keins
veralten, noch zerreißen, bis ihr im tausendjährigen Reich das Brautkleid an¬
ziehen werdet."

Natürlicherweise mußte die Negierung ihr wachsames Auge auf die
Verirrten haben, da sie sonst ins Verderben gerannt wären; denn schon lau¬
erten die Kurden und sandten ihre Kundschafter aus, um sie als Sklaven ge¬
fangen zu nehmen. Die Frau Spohn wurde nach Tiflis zum Oberbefehls¬
haber citirt und erschien; die Bibel mußte auf den Tisch gelegt werden und
es wurden ihr und den sie begleitenden Häuptern die schvncndsten. gütigsten
Vorstellungen gemacht. Auf die Vorstellung: „Gute Leute, ihr werdet ja in
dem dürren Lande, in das ihr ziehen wollt, verhungern und verdursten,"
antworteten sie: „Der Herr versorgt seine Kinder. Wenn wir am Stock
gehen, dann muß uns Gott erhalten; er hat auch das Volk Israel in das
Land Kanaan ohne Geld gebracht. Wir werden auch Manna bekommen;
denn das Volk Israel war nur ein Vorbild von uns; wir sind erst das wahre
Israel! So lange wir aus dem Wege sind, wird es nicht regnen; auch wird
uns die Sonne nicht stechen, noch wird es kalt sein. Die Alten und Schwa¬
chen werden wieder laufen können, wie die Jünglinge. Es wurde ihnen
weiter eingewendet: „Wenn ihr an ein großes Wasser kommt, wo keine Brücke
ist. wie wollt ihr hinüber?" Da antworteten sie: „Das Volk Israel kam über


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0278" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266087"/>
          <p xml:id="ID_727" prev="#ID_726"> Wüste; denn nur in dieser ist Ruhe, und so lange euch die Sonne am Wege<lb/>
Immer auf den linken Rockärmel scheinen wird, bleibet nicht stehen; wenn<lb/>
euch aber die Sonne ans Herz scheinen wird, seid ihr an Ort und Stelle,<lb/>
im gelobten Lande."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_728"> Allgemein hieß es nun, Bäbele sei von Gott zur Prophetin ausersehen,<lb/>
sie thue seinen Kindern nur seinen Willen kund. Die meisten Separatisten<lb/>
arbeiteten nichts mehr und fingen wieder an, alles zu verschenken, hielten aber<lb/>
aus langer Weile auch dreimal des Tages und einmal des Nachts Versamm-<lb/>
lungs- und Betstunden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_729"> Die vierte Offenbarung lautete: &#x201E;Wer von euch nach dem tausendjähri¬<lb/>
gen Reiche ein Buch mitzunehmen gedenkt, der gehe zu mir und ich werde zu<lb/>
Gott gehen, ihn zu fragen, ob es erlaubt sei."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_730"> Die fünfte Offenbarung hieß: &#x201E;Gott hat mir geoffenbaret. wir sollen<lb/>
noch vor Ostern nach Jerusalem und blos am Stock; nicht einen Kopeken<lb/>
Geld, noch Brot dürft ihr in dje Tasche stecken; auch sollt ihr nur grobe,<lb/>
baumwollene Kleider anziehen, die Frauen und Jungfrauen müssen alle blau,<lb/>
die Männer weiß erscheinen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_731"> Von nun an kleideten sie sich auch so. Die Männer kleideten sich in<lb/>
grobes weißes Tuch, ließen sich weiße Tuchnüchen mit einem entsetzlich großen<lb/>
Lederschirm und sehr starke Schuhe machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_732"> Weiter wurde geoffenbart: &#x201E;Und von allen diesen Kleidern wird keins<lb/>
veralten, noch zerreißen, bis ihr im tausendjährigen Reich das Brautkleid an¬<lb/>
ziehen werdet."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_733" next="#ID_734"> Natürlicherweise mußte die Negierung ihr wachsames Auge auf die<lb/>
Verirrten haben, da sie sonst ins Verderben gerannt wären; denn schon lau¬<lb/>
erten die Kurden und sandten ihre Kundschafter aus, um sie als Sklaven ge¬<lb/>
fangen zu nehmen. Die Frau Spohn wurde nach Tiflis zum Oberbefehls¬<lb/>
haber citirt und erschien; die Bibel mußte auf den Tisch gelegt werden und<lb/>
es wurden ihr und den sie begleitenden Häuptern die schvncndsten. gütigsten<lb/>
Vorstellungen gemacht. Auf die Vorstellung: &#x201E;Gute Leute, ihr werdet ja in<lb/>
dem dürren Lande, in das ihr ziehen wollt, verhungern und verdursten,"<lb/>
antworteten sie: &#x201E;Der Herr versorgt seine Kinder. Wenn wir am Stock<lb/>
gehen, dann muß uns Gott erhalten; er hat auch das Volk Israel in das<lb/>
Land Kanaan ohne Geld gebracht. Wir werden auch Manna bekommen;<lb/>
denn das Volk Israel war nur ein Vorbild von uns; wir sind erst das wahre<lb/>
Israel! So lange wir aus dem Wege sind, wird es nicht regnen; auch wird<lb/>
uns die Sonne nicht stechen, noch wird es kalt sein. Die Alten und Schwa¬<lb/>
chen werden wieder laufen können, wie die Jünglinge. Es wurde ihnen<lb/>
weiter eingewendet: &#x201E;Wenn ihr an ein großes Wasser kommt, wo keine Brücke<lb/>
ist. wie wollt ihr hinüber?" Da antworteten sie: &#x201E;Das Volk Israel kam über</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0278] Wüste; denn nur in dieser ist Ruhe, und so lange euch die Sonne am Wege Immer auf den linken Rockärmel scheinen wird, bleibet nicht stehen; wenn euch aber die Sonne ans Herz scheinen wird, seid ihr an Ort und Stelle, im gelobten Lande." Allgemein hieß es nun, Bäbele sei von Gott zur Prophetin ausersehen, sie thue seinen Kindern nur seinen Willen kund. Die meisten Separatisten arbeiteten nichts mehr und fingen wieder an, alles zu verschenken, hielten aber aus langer Weile auch dreimal des Tages und einmal des Nachts Versamm- lungs- und Betstunden. Die vierte Offenbarung lautete: „Wer von euch nach dem tausendjähri¬ gen Reiche ein Buch mitzunehmen gedenkt, der gehe zu mir und ich werde zu Gott gehen, ihn zu fragen, ob es erlaubt sei." Die fünfte Offenbarung hieß: „Gott hat mir geoffenbaret. wir sollen noch vor Ostern nach Jerusalem und blos am Stock; nicht einen Kopeken Geld, noch Brot dürft ihr in dje Tasche stecken; auch sollt ihr nur grobe, baumwollene Kleider anziehen, die Frauen und Jungfrauen müssen alle blau, die Männer weiß erscheinen." Von nun an kleideten sie sich auch so. Die Männer kleideten sich in grobes weißes Tuch, ließen sich weiße Tuchnüchen mit einem entsetzlich großen Lederschirm und sehr starke Schuhe machen. Weiter wurde geoffenbart: „Und von allen diesen Kleidern wird keins veralten, noch zerreißen, bis ihr im tausendjährigen Reich das Brautkleid an¬ ziehen werdet." Natürlicherweise mußte die Negierung ihr wachsames Auge auf die Verirrten haben, da sie sonst ins Verderben gerannt wären; denn schon lau¬ erten die Kurden und sandten ihre Kundschafter aus, um sie als Sklaven ge¬ fangen zu nehmen. Die Frau Spohn wurde nach Tiflis zum Oberbefehls¬ haber citirt und erschien; die Bibel mußte auf den Tisch gelegt werden und es wurden ihr und den sie begleitenden Häuptern die schvncndsten. gütigsten Vorstellungen gemacht. Auf die Vorstellung: „Gute Leute, ihr werdet ja in dem dürren Lande, in das ihr ziehen wollt, verhungern und verdursten," antworteten sie: „Der Herr versorgt seine Kinder. Wenn wir am Stock gehen, dann muß uns Gott erhalten; er hat auch das Volk Israel in das Land Kanaan ohne Geld gebracht. Wir werden auch Manna bekommen; denn das Volk Israel war nur ein Vorbild von uns; wir sind erst das wahre Israel! So lange wir aus dem Wege sind, wird es nicht regnen; auch wird uns die Sonne nicht stechen, noch wird es kalt sein. Die Alten und Schwa¬ chen werden wieder laufen können, wie die Jünglinge. Es wurde ihnen weiter eingewendet: „Wenn ihr an ein großes Wasser kommt, wo keine Brücke ist. wie wollt ihr hinüber?" Da antworteten sie: „Das Volk Israel kam über

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/278
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/278>, abgerufen am 26.07.2024.