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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Daher lagen die Hindernisse zum Gelingen großer Entwürfe einzig nur in
ihm. Er legte die umfassendsten Pläne an, berechnete mit Scharfsinn alle
Mittel der Ausführung, und wenn es nun zum Handeln kam, so scheiterten
sie an der Trägheit seines Charakters. Die kleinste Zerstreuung zog ihn ab,
er überließ die Ausführung untergeordneten Beamten, hielt oft ohne Ursache
wochenlang eine Entscheidung zurück, und der günstige Augenblick ging un¬
widerruflich vorüber. Die Ungleichheit seiner Laune gab auch seinen Wünschen
und Absichten, seinem ganzen Leben die größte Ungleichheit. Bald wollte'er Her¬
zog von Kurland werden, dann König von Polen, und dann wieder Bischof
oder gar Mönch. Er sing einen Palast zu bauen an und verkaufte ihn. ehe
er vollendet war; heute träumte er von Kampf und Krieg und umgab sich
mit geschickten Kriegern; morgen dachte er nur an Politik, und wollte das
türkische Reich theilen; dann vergaß er alles über dem Hof, und dachte nur
an Feste. Glanz und Pracht. Nie war er der Gleiche. Die widerstreitendsten
Eigenschaften vereinigten/ sich in ihm: er war geizig und verschwenderisch,
herrisch und leutselig, hart und gütig, stolz und vertraulich, furchtsam und
verwegen, je nach der Stimmung des Augenblicks; und dieselbe Stunde sah
ihn oft in der entgegengesetzten Laune, bald heiter lächelnd, bald ernst nach¬
denkend; muthwillig scherzend und verdrießlich gähnend; rasch Befehle gebend,
um sie gleich darauf zurückzunehmen. In Gesellschaft schien er verlegen und
machte er verlegen: verdrießlich gegen die, welche ihn,fürchteten, war er
freundlich mit denen, welche dreist und unbefangen mit ihm umgingen. Da¬
her mußte man, um seine Freundschaft zu gewinnen, ihn nicht zu fürchten
scheinen, ihn vertraulich anreden, und Zwang und Verlegenheit ihm ersparen,
indem man selbst zwanglos und unbefangen war. Er zeigte sich öffentlich
zwar stolz, hochfahrend, fast unnahbar, aber es geschah nur, weil er sich un¬
behaglich fühlte und dies hinter einem kalten, stolzen Wesen verbergen wollte;
in der Vertraulichkeit war er freundlich und liebkosend. Seine Seele bedürfte
zu ihrer Nahrung großer Schwierigkeiten, großer Hindernisse, um in der
Spannkraft zu bleiben, sonst versank sie in Gleichgiltigkeit und Trägheit.
Dann erlag er unter der Last des Glücks, unter der Menge der Würden,
Ehrenstellen, Reichthümer, Genüsse. Dann wurde ihm das Dasein eine
Bürde. Ueberdrüssig dessen, was er besaß, begierig nach dem. was ihm ver¬
sagt war, nach allem verlangend und aller Dinge satt, erschien er wie ein
Verzogenes Kind des Glücks, das eben durch das Uebermaß des Glücks höchst
unglücklich ist. Sein^Egoismus war bisweilen empörend; um zu seinen Zwe¬
cken zu gelangen, schien ihm jedes Mittel gut, und diese Zwecke waren nur
zu oft ganz selbstisch. Das Recht war ihm nichts; nur das U)in Nützliche
war ihm immer auch das Rechte. Alles was Verdienst zeigte, oder ihm im
Wege stand, suchte er zu entfernen oder niederzudrücken; je größer und beten-


Daher lagen die Hindernisse zum Gelingen großer Entwürfe einzig nur in
ihm. Er legte die umfassendsten Pläne an, berechnete mit Scharfsinn alle
Mittel der Ausführung, und wenn es nun zum Handeln kam, so scheiterten
sie an der Trägheit seines Charakters. Die kleinste Zerstreuung zog ihn ab,
er überließ die Ausführung untergeordneten Beamten, hielt oft ohne Ursache
wochenlang eine Entscheidung zurück, und der günstige Augenblick ging un¬
widerruflich vorüber. Die Ungleichheit seiner Laune gab auch seinen Wünschen
und Absichten, seinem ganzen Leben die größte Ungleichheit. Bald wollte'er Her¬
zog von Kurland werden, dann König von Polen, und dann wieder Bischof
oder gar Mönch. Er sing einen Palast zu bauen an und verkaufte ihn. ehe
er vollendet war; heute träumte er von Kampf und Krieg und umgab sich
mit geschickten Kriegern; morgen dachte er nur an Politik, und wollte das
türkische Reich theilen; dann vergaß er alles über dem Hof, und dachte nur
an Feste. Glanz und Pracht. Nie war er der Gleiche. Die widerstreitendsten
Eigenschaften vereinigten/ sich in ihm: er war geizig und verschwenderisch,
herrisch und leutselig, hart und gütig, stolz und vertraulich, furchtsam und
verwegen, je nach der Stimmung des Augenblicks; und dieselbe Stunde sah
ihn oft in der entgegengesetzten Laune, bald heiter lächelnd, bald ernst nach¬
denkend; muthwillig scherzend und verdrießlich gähnend; rasch Befehle gebend,
um sie gleich darauf zurückzunehmen. In Gesellschaft schien er verlegen und
machte er verlegen: verdrießlich gegen die, welche ihn,fürchteten, war er
freundlich mit denen, welche dreist und unbefangen mit ihm umgingen. Da¬
her mußte man, um seine Freundschaft zu gewinnen, ihn nicht zu fürchten
scheinen, ihn vertraulich anreden, und Zwang und Verlegenheit ihm ersparen,
indem man selbst zwanglos und unbefangen war. Er zeigte sich öffentlich
zwar stolz, hochfahrend, fast unnahbar, aber es geschah nur, weil er sich un¬
behaglich fühlte und dies hinter einem kalten, stolzen Wesen verbergen wollte;
in der Vertraulichkeit war er freundlich und liebkosend. Seine Seele bedürfte
zu ihrer Nahrung großer Schwierigkeiten, großer Hindernisse, um in der
Spannkraft zu bleiben, sonst versank sie in Gleichgiltigkeit und Trägheit.
Dann erlag er unter der Last des Glücks, unter der Menge der Würden,
Ehrenstellen, Reichthümer, Genüsse. Dann wurde ihm das Dasein eine
Bürde. Ueberdrüssig dessen, was er besaß, begierig nach dem. was ihm ver¬
sagt war, nach allem verlangend und aller Dinge satt, erschien er wie ein
Verzogenes Kind des Glücks, das eben durch das Uebermaß des Glücks höchst
unglücklich ist. Sein^Egoismus war bisweilen empörend; um zu seinen Zwe¬
cken zu gelangen, schien ihm jedes Mittel gut, und diese Zwecke waren nur
zu oft ganz selbstisch. Das Recht war ihm nichts; nur das U)in Nützliche
war ihm immer auch das Rechte. Alles was Verdienst zeigte, oder ihm im
Wege stand, suchte er zu entfernen oder niederzudrücken; je größer und beten-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/269>, abgerufen am 22.07.2024.