Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

eingetreten', und erst nach zwölfjährigem Dienst 1754 erhielt er eine Lieutenant¬
stelle. Dann stieg er zwar schneller, aber seine eigentliche Bildungszeit ver¬
floß doch in der nächsten Berührung mit dem gemeinen Mann. Schon im
siebenjährigen Krieg zeigte er seine gerade Soldatennatur. Friedrich der Große
verdankt viel aber nicht alles seinem Genie, seine Erfolge wurden durch die
Unfähigkeit und Eifersucht seiner Gegner beschleunigt. Jedem der verbündeten
Völker kam es darauf an, so wenig als möglich zu leisten, den andern so
viel als möglich zu überlassen. Von dieser kleinlichen Art hatte Suworow
keinen Begriff, er behielt immer klar und fest das Ziel des eigentlichen Kam¬
pfes vor Augen und ging auf dem geradesten Wege darauf los. alle klein¬
lichen Nebenrücksichten bei Seite setzend. In einer Zeit, wo man sich viel
mit der Kricgswisscnschaft zu thun machte, pflegte man über Suworow ebenso
die Achsel zu zucken wie später über Blücher: er sei kein Taktiker, sondern
nur ein tapfrer Haudegen, ein Naturalist. Suworow pflegte darauf zu ant¬
worten, er kenne allerdings den Krieg nicht, aber der Krieg kenne ihn. Die
berühmten Taktiker verfallen gewöhnlich in den Fehler, mit ihren künstlichen
Schachzügen alles ausmachen zu wollen, während diese doch nur die Vorberei¬
tung sein können, da die eigentliche Entscheidung nur durch Muth und Ent¬
schlossenheit herbeigeführt wird. Wenn man denjenigen einen großen General
nennen kann, der sein Heer so in Ordnung zu halten und moralisch so zu
durchgeistigen versteht, daß er ihm die härtesten Opfer, die unglaublichsten
Anstrengungen zumuthen" und es mit seiner starken Willenskraft, wie einen
Theil seines eignen Körpers betrachten kann, denjenigen, der im Augenblick
den entscheidenden Punkt herauscrkennt und in demselben Augenblick mit Con-
centration aller Kräfte darauf losgeht, so verdient Suworow aus beiden
Gründen diese Bezeichnung. Als Vorbild kann man ihn freilich nicht ohne
weiteres aufstellen: die verschwenderische Art. mit der er mit Menschenleben
umging, würde Wellington in seinem spanischen Feldzug vcmichtet haben;
dagegen wäre er im siebenjährigen Krieg ein viel gefährlicherer Gegner Fried-
.richs gewesen, als Daun, der berühmte Taktiker.

Auf den siebenjährigen Krieg folgte der polnische Conföderationskrieg
1768--1772; gegen das Ende desselben wurde Suworow, ganz seiner Natur
zuwider, zu Unterhandlungen benutzt; wie unbequem sie ihm waren, zeigt ein
drolliger Brief an Bibikofs: "Geben Sie mir irgend einen ruhigen Platz, wo
niemand mich beneidet; hier, seit vier Jahren, habe ich oft davonlaufen
mögen. Gott vergebe es ihnen; ich bin grob geworden, und man ist ergrimmt
auf mich, zankt mit mir., Ich bin ein gutmüthiger Mensch, verstehe nicht,
es ihnen wiederzugeben. Auch fürchte ich hier die Nachbarn Jesuiten. Ver¬
zeihen Sie, es ist Zeit, daß ich ausrufe: ich. ein ordentlicher Mensch, habe
schon seit langer Zeit nicht einmal die Strümpfe ausziehn können. Denken


33 *

eingetreten', und erst nach zwölfjährigem Dienst 1754 erhielt er eine Lieutenant¬
stelle. Dann stieg er zwar schneller, aber seine eigentliche Bildungszeit ver¬
floß doch in der nächsten Berührung mit dem gemeinen Mann. Schon im
siebenjährigen Krieg zeigte er seine gerade Soldatennatur. Friedrich der Große
verdankt viel aber nicht alles seinem Genie, seine Erfolge wurden durch die
Unfähigkeit und Eifersucht seiner Gegner beschleunigt. Jedem der verbündeten
Völker kam es darauf an, so wenig als möglich zu leisten, den andern so
viel als möglich zu überlassen. Von dieser kleinlichen Art hatte Suworow
keinen Begriff, er behielt immer klar und fest das Ziel des eigentlichen Kam¬
pfes vor Augen und ging auf dem geradesten Wege darauf los. alle klein¬
lichen Nebenrücksichten bei Seite setzend. In einer Zeit, wo man sich viel
mit der Kricgswisscnschaft zu thun machte, pflegte man über Suworow ebenso
die Achsel zu zucken wie später über Blücher: er sei kein Taktiker, sondern
nur ein tapfrer Haudegen, ein Naturalist. Suworow pflegte darauf zu ant¬
worten, er kenne allerdings den Krieg nicht, aber der Krieg kenne ihn. Die
berühmten Taktiker verfallen gewöhnlich in den Fehler, mit ihren künstlichen
Schachzügen alles ausmachen zu wollen, während diese doch nur die Vorberei¬
tung sein können, da die eigentliche Entscheidung nur durch Muth und Ent¬
schlossenheit herbeigeführt wird. Wenn man denjenigen einen großen General
nennen kann, der sein Heer so in Ordnung zu halten und moralisch so zu
durchgeistigen versteht, daß er ihm die härtesten Opfer, die unglaublichsten
Anstrengungen zumuthen» und es mit seiner starken Willenskraft, wie einen
Theil seines eignen Körpers betrachten kann, denjenigen, der im Augenblick
den entscheidenden Punkt herauscrkennt und in demselben Augenblick mit Con-
centration aller Kräfte darauf losgeht, so verdient Suworow aus beiden
Gründen diese Bezeichnung. Als Vorbild kann man ihn freilich nicht ohne
weiteres aufstellen: die verschwenderische Art. mit der er mit Menschenleben
umging, würde Wellington in seinem spanischen Feldzug vcmichtet haben;
dagegen wäre er im siebenjährigen Krieg ein viel gefährlicherer Gegner Fried-
.richs gewesen, als Daun, der berühmte Taktiker.

Auf den siebenjährigen Krieg folgte der polnische Conföderationskrieg
1768—1772; gegen das Ende desselben wurde Suworow, ganz seiner Natur
zuwider, zu Unterhandlungen benutzt; wie unbequem sie ihm waren, zeigt ein
drolliger Brief an Bibikofs: „Geben Sie mir irgend einen ruhigen Platz, wo
niemand mich beneidet; hier, seit vier Jahren, habe ich oft davonlaufen
mögen. Gott vergebe es ihnen; ich bin grob geworden, und man ist ergrimmt
auf mich, zankt mit mir., Ich bin ein gutmüthiger Mensch, verstehe nicht,
es ihnen wiederzugeben. Auch fürchte ich hier die Nachbarn Jesuiten. Ver¬
zeihen Sie, es ist Zeit, daß ich ausrufe: ich. ein ordentlicher Mensch, habe
schon seit langer Zeit nicht einmal die Strümpfe ausziehn können. Denken


33 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0267" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266076"/>
          <p xml:id="ID_697" prev="#ID_696"> eingetreten', und erst nach zwölfjährigem Dienst 1754 erhielt er eine Lieutenant¬<lb/>
stelle. Dann stieg er zwar schneller, aber seine eigentliche Bildungszeit ver¬<lb/>
floß doch in der nächsten Berührung mit dem gemeinen Mann. Schon im<lb/>
siebenjährigen Krieg zeigte er seine gerade Soldatennatur. Friedrich der Große<lb/>
verdankt viel aber nicht alles seinem Genie, seine Erfolge wurden durch die<lb/>
Unfähigkeit und Eifersucht seiner Gegner beschleunigt. Jedem der verbündeten<lb/>
Völker kam es darauf an, so wenig als möglich zu leisten, den andern so<lb/>
viel als möglich zu überlassen. Von dieser kleinlichen Art hatte Suworow<lb/>
keinen Begriff, er behielt immer klar und fest das Ziel des eigentlichen Kam¬<lb/>
pfes vor Augen und ging auf dem geradesten Wege darauf los. alle klein¬<lb/>
lichen Nebenrücksichten bei Seite setzend. In einer Zeit, wo man sich viel<lb/>
mit der Kricgswisscnschaft zu thun machte, pflegte man über Suworow ebenso<lb/>
die Achsel zu zucken wie später über Blücher: er sei kein Taktiker, sondern<lb/>
nur ein tapfrer Haudegen, ein Naturalist. Suworow pflegte darauf zu ant¬<lb/>
worten, er kenne allerdings den Krieg nicht, aber der Krieg kenne ihn. Die<lb/>
berühmten Taktiker verfallen gewöhnlich in den Fehler, mit ihren künstlichen<lb/>
Schachzügen alles ausmachen zu wollen, während diese doch nur die Vorberei¬<lb/>
tung sein können, da die eigentliche Entscheidung nur durch Muth und Ent¬<lb/>
schlossenheit herbeigeführt wird. Wenn man denjenigen einen großen General<lb/>
nennen kann, der sein Heer so in Ordnung zu halten und moralisch so zu<lb/>
durchgeistigen versteht, daß er ihm die härtesten Opfer, die unglaublichsten<lb/>
Anstrengungen zumuthen» und es mit seiner starken Willenskraft, wie einen<lb/>
Theil seines eignen Körpers betrachten kann, denjenigen, der im Augenblick<lb/>
den entscheidenden Punkt herauscrkennt und in demselben Augenblick mit Con-<lb/>
centration aller Kräfte darauf losgeht, so verdient Suworow aus beiden<lb/>
Gründen diese Bezeichnung. Als Vorbild kann man ihn freilich nicht ohne<lb/>
weiteres aufstellen: die verschwenderische Art. mit der er mit Menschenleben<lb/>
umging, würde Wellington in seinem spanischen Feldzug vcmichtet haben;<lb/>
dagegen wäre er im siebenjährigen Krieg ein viel gefährlicherer Gegner Fried-<lb/>
.richs gewesen, als Daun, der berühmte Taktiker.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_698" next="#ID_699"> Auf den siebenjährigen Krieg folgte der polnische Conföderationskrieg<lb/>
1768&#x2014;1772; gegen das Ende desselben wurde Suworow, ganz seiner Natur<lb/>
zuwider, zu Unterhandlungen benutzt; wie unbequem sie ihm waren, zeigt ein<lb/>
drolliger Brief an Bibikofs: &#x201E;Geben Sie mir irgend einen ruhigen Platz, wo<lb/>
niemand mich beneidet; hier, seit vier Jahren, habe ich oft davonlaufen<lb/>
mögen. Gott vergebe es ihnen; ich bin grob geworden, und man ist ergrimmt<lb/>
auf mich, zankt mit mir., Ich bin ein gutmüthiger Mensch, verstehe nicht,<lb/>
es ihnen wiederzugeben. Auch fürchte ich hier die Nachbarn Jesuiten. Ver¬<lb/>
zeihen Sie, es ist Zeit, daß ich ausrufe: ich. ein ordentlicher Mensch, habe<lb/>
schon seit langer Zeit nicht einmal die Strümpfe ausziehn können. Denken</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 33 *</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0267] eingetreten', und erst nach zwölfjährigem Dienst 1754 erhielt er eine Lieutenant¬ stelle. Dann stieg er zwar schneller, aber seine eigentliche Bildungszeit ver¬ floß doch in der nächsten Berührung mit dem gemeinen Mann. Schon im siebenjährigen Krieg zeigte er seine gerade Soldatennatur. Friedrich der Große verdankt viel aber nicht alles seinem Genie, seine Erfolge wurden durch die Unfähigkeit und Eifersucht seiner Gegner beschleunigt. Jedem der verbündeten Völker kam es darauf an, so wenig als möglich zu leisten, den andern so viel als möglich zu überlassen. Von dieser kleinlichen Art hatte Suworow keinen Begriff, er behielt immer klar und fest das Ziel des eigentlichen Kam¬ pfes vor Augen und ging auf dem geradesten Wege darauf los. alle klein¬ lichen Nebenrücksichten bei Seite setzend. In einer Zeit, wo man sich viel mit der Kricgswisscnschaft zu thun machte, pflegte man über Suworow ebenso die Achsel zu zucken wie später über Blücher: er sei kein Taktiker, sondern nur ein tapfrer Haudegen, ein Naturalist. Suworow pflegte darauf zu ant¬ worten, er kenne allerdings den Krieg nicht, aber der Krieg kenne ihn. Die berühmten Taktiker verfallen gewöhnlich in den Fehler, mit ihren künstlichen Schachzügen alles ausmachen zu wollen, während diese doch nur die Vorberei¬ tung sein können, da die eigentliche Entscheidung nur durch Muth und Ent¬ schlossenheit herbeigeführt wird. Wenn man denjenigen einen großen General nennen kann, der sein Heer so in Ordnung zu halten und moralisch so zu durchgeistigen versteht, daß er ihm die härtesten Opfer, die unglaublichsten Anstrengungen zumuthen» und es mit seiner starken Willenskraft, wie einen Theil seines eignen Körpers betrachten kann, denjenigen, der im Augenblick den entscheidenden Punkt herauscrkennt und in demselben Augenblick mit Con- centration aller Kräfte darauf losgeht, so verdient Suworow aus beiden Gründen diese Bezeichnung. Als Vorbild kann man ihn freilich nicht ohne weiteres aufstellen: die verschwenderische Art. mit der er mit Menschenleben umging, würde Wellington in seinem spanischen Feldzug vcmichtet haben; dagegen wäre er im siebenjährigen Krieg ein viel gefährlicherer Gegner Fried- .richs gewesen, als Daun, der berühmte Taktiker. Auf den siebenjährigen Krieg folgte der polnische Conföderationskrieg 1768—1772; gegen das Ende desselben wurde Suworow, ganz seiner Natur zuwider, zu Unterhandlungen benutzt; wie unbequem sie ihm waren, zeigt ein drolliger Brief an Bibikofs: „Geben Sie mir irgend einen ruhigen Platz, wo niemand mich beneidet; hier, seit vier Jahren, habe ich oft davonlaufen mögen. Gott vergebe es ihnen; ich bin grob geworden, und man ist ergrimmt auf mich, zankt mit mir., Ich bin ein gutmüthiger Mensch, verstehe nicht, es ihnen wiederzugeben. Auch fürchte ich hier die Nachbarn Jesuiten. Ver¬ zeihen Sie, es ist Zeit, daß ich ausrufe: ich. ein ordentlicher Mensch, habe schon seit langer Zeit nicht einmal die Strümpfe ausziehn können. Denken 33 *

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/267
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/267>, abgerufen am 03.07.2024.