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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Dunkelheit nach Petersburg, wo er bei einer Nichte Wohnung nahm. Der
Volksjubel über die Rückkehr des Helden ließ sich nicht unterdrücken, aber die
Höherstehenden mieden ihn -- war er doch in Ungnade! Mit Mühe erlangten
die Großfürsten von ihrem Vater Erlaubniß, ihn zu besuchen. Siepers eilte
sogleich zum angekommenen Freund und fehlte keinen Tag, bis er dem Ster¬
benden am 18. Mai die Augen zudrückte.

Dieser größte Held, den Rußland in den letzten Jahrhunderten hervor
gebracht, ist nun der Gegenstand einer ausführlichen Monographie, die, vor-
trefflich bearbeitet und auf das reichhaltigste Material gestützt, uns schon in
den beiden vorliegenden Bänden die wichtigsten Aufschlüsse gibt. Man lernt
aus ihr nicht blos die öffentliche Laufbahn des berühmten Generals, sondern
auch den innern Kern seines Charakters kennen. Sehen wir in Siepers den
kalten verschlagenen Staatsmann, der am meisten auf dem Parket des> Hofes
zu Hause war, und den eisernen Griff, womit er seine Opfer faßte, hinter den
weichsten Handschuhen versteckte, so tritt uns in Suworow der wilde rauhe
Kriegsmann entgegen, der unter Umständen die asiatische Barbarei nicht ver¬
leugnete , aber doch dahinter ein warmes Gemüth verbarg. Der Sohn des
Lagers fühlte sich bei Hof stets unbehaglich, die Intriguen waren ihm fremd,
er mochte nur mit Seinesgleichen verkehren. Die meisten von den russischen
Generalen betrachteten den Krieg nur als Mittel, in der Gunst der Kaiserin
emporzusteigen und sich Reichthümer und Ehrenstellen zu erschwindeln; Suwo¬
row war nur Soldat, fast ohne alle Bedürfnisse und daher persönlich ganz
uneigennützig; er führte den Krieg um des Kriegs willen. Eine solche Natur
hat innerhalb eines Reichs, wo alles aus verwickelte Intriguen und auf die
schwer zu berechnenden Launen^des Monarchen gestellt ist, einen schweren
Stand. Um sich Sichler zu stellen, wandte Suworow ein seltsames Mittel alt-
er trug eine Maste, die ihn als unschädlich erscheinen ließ. Um nicht Gegen¬
stand der Intriguen zu sein, spielte er den Hanswurst; indem die großen
Hosmänncr über ihn lachen konnten, glaubten sie ihn nicht fürchten zu dürfen
und ließen ihn im Ganzen seinen Weg gehn. Freilich kann man sein Leben
hindurch nicht eine Rolle spielen, zu der man nicht in seiner Natur die nö¬
thigen Elemente vorfindet, und so war es auch mit Suworow. Die Neigung
zur Bousfoncrie liegt tief im russischen Charakter. Rußlands größter Kaiser
war zu Zeiten ein arger Possenreißer und bei ihm war es gewiß nicht Maske,
sondern innerste Natur. Die Bouffonerie war das beste Mittel, sich dem
gemeinen Mann verständlich zu machen, und wenn die Soldaten sich im
Lager über die Schwänke des Generals unterhalten konnten, so durfte er, wo
es nothwendig war. streng, ja grausam sein, ohne ihre Liebe zu verscherzen.
Mit ihnen war er aufgewachsen, ihre Sprache und ihr Benehmen war zu
seiner Natur geworden. Dreizehn Jahr alt war Suworow 1742 als Gemeiner


Dunkelheit nach Petersburg, wo er bei einer Nichte Wohnung nahm. Der
Volksjubel über die Rückkehr des Helden ließ sich nicht unterdrücken, aber die
Höherstehenden mieden ihn — war er doch in Ungnade! Mit Mühe erlangten
die Großfürsten von ihrem Vater Erlaubniß, ihn zu besuchen. Siepers eilte
sogleich zum angekommenen Freund und fehlte keinen Tag, bis er dem Ster¬
benden am 18. Mai die Augen zudrückte.

Dieser größte Held, den Rußland in den letzten Jahrhunderten hervor
gebracht, ist nun der Gegenstand einer ausführlichen Monographie, die, vor-
trefflich bearbeitet und auf das reichhaltigste Material gestützt, uns schon in
den beiden vorliegenden Bänden die wichtigsten Aufschlüsse gibt. Man lernt
aus ihr nicht blos die öffentliche Laufbahn des berühmten Generals, sondern
auch den innern Kern seines Charakters kennen. Sehen wir in Siepers den
kalten verschlagenen Staatsmann, der am meisten auf dem Parket des> Hofes
zu Hause war, und den eisernen Griff, womit er seine Opfer faßte, hinter den
weichsten Handschuhen versteckte, so tritt uns in Suworow der wilde rauhe
Kriegsmann entgegen, der unter Umständen die asiatische Barbarei nicht ver¬
leugnete , aber doch dahinter ein warmes Gemüth verbarg. Der Sohn des
Lagers fühlte sich bei Hof stets unbehaglich, die Intriguen waren ihm fremd,
er mochte nur mit Seinesgleichen verkehren. Die meisten von den russischen
Generalen betrachteten den Krieg nur als Mittel, in der Gunst der Kaiserin
emporzusteigen und sich Reichthümer und Ehrenstellen zu erschwindeln; Suwo¬
row war nur Soldat, fast ohne alle Bedürfnisse und daher persönlich ganz
uneigennützig; er führte den Krieg um des Kriegs willen. Eine solche Natur
hat innerhalb eines Reichs, wo alles aus verwickelte Intriguen und auf die
schwer zu berechnenden Launen^des Monarchen gestellt ist, einen schweren
Stand. Um sich Sichler zu stellen, wandte Suworow ein seltsames Mittel alt-
er trug eine Maste, die ihn als unschädlich erscheinen ließ. Um nicht Gegen¬
stand der Intriguen zu sein, spielte er den Hanswurst; indem die großen
Hosmänncr über ihn lachen konnten, glaubten sie ihn nicht fürchten zu dürfen
und ließen ihn im Ganzen seinen Weg gehn. Freilich kann man sein Leben
hindurch nicht eine Rolle spielen, zu der man nicht in seiner Natur die nö¬
thigen Elemente vorfindet, und so war es auch mit Suworow. Die Neigung
zur Bousfoncrie liegt tief im russischen Charakter. Rußlands größter Kaiser
war zu Zeiten ein arger Possenreißer und bei ihm war es gewiß nicht Maske,
sondern innerste Natur. Die Bouffonerie war das beste Mittel, sich dem
gemeinen Mann verständlich zu machen, und wenn die Soldaten sich im
Lager über die Schwänke des Generals unterhalten konnten, so durfte er, wo
es nothwendig war. streng, ja grausam sein, ohne ihre Liebe zu verscherzen.
Mit ihnen war er aufgewachsen, ihre Sprache und ihr Benehmen war zu
seiner Natur geworden. Dreizehn Jahr alt war Suworow 1742 als Gemeiner


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[0266] Dunkelheit nach Petersburg, wo er bei einer Nichte Wohnung nahm. Der Volksjubel über die Rückkehr des Helden ließ sich nicht unterdrücken, aber die Höherstehenden mieden ihn — war er doch in Ungnade! Mit Mühe erlangten die Großfürsten von ihrem Vater Erlaubniß, ihn zu besuchen. Siepers eilte sogleich zum angekommenen Freund und fehlte keinen Tag, bis er dem Ster¬ benden am 18. Mai die Augen zudrückte. Dieser größte Held, den Rußland in den letzten Jahrhunderten hervor gebracht, ist nun der Gegenstand einer ausführlichen Monographie, die, vor- trefflich bearbeitet und auf das reichhaltigste Material gestützt, uns schon in den beiden vorliegenden Bänden die wichtigsten Aufschlüsse gibt. Man lernt aus ihr nicht blos die öffentliche Laufbahn des berühmten Generals, sondern auch den innern Kern seines Charakters kennen. Sehen wir in Siepers den kalten verschlagenen Staatsmann, der am meisten auf dem Parket des> Hofes zu Hause war, und den eisernen Griff, womit er seine Opfer faßte, hinter den weichsten Handschuhen versteckte, so tritt uns in Suworow der wilde rauhe Kriegsmann entgegen, der unter Umständen die asiatische Barbarei nicht ver¬ leugnete , aber doch dahinter ein warmes Gemüth verbarg. Der Sohn des Lagers fühlte sich bei Hof stets unbehaglich, die Intriguen waren ihm fremd, er mochte nur mit Seinesgleichen verkehren. Die meisten von den russischen Generalen betrachteten den Krieg nur als Mittel, in der Gunst der Kaiserin emporzusteigen und sich Reichthümer und Ehrenstellen zu erschwindeln; Suwo¬ row war nur Soldat, fast ohne alle Bedürfnisse und daher persönlich ganz uneigennützig; er führte den Krieg um des Kriegs willen. Eine solche Natur hat innerhalb eines Reichs, wo alles aus verwickelte Intriguen und auf die schwer zu berechnenden Launen^des Monarchen gestellt ist, einen schweren Stand. Um sich Sichler zu stellen, wandte Suworow ein seltsames Mittel alt- er trug eine Maste, die ihn als unschädlich erscheinen ließ. Um nicht Gegen¬ stand der Intriguen zu sein, spielte er den Hanswurst; indem die großen Hosmänncr über ihn lachen konnten, glaubten sie ihn nicht fürchten zu dürfen und ließen ihn im Ganzen seinen Weg gehn. Freilich kann man sein Leben hindurch nicht eine Rolle spielen, zu der man nicht in seiner Natur die nö¬ thigen Elemente vorfindet, und so war es auch mit Suworow. Die Neigung zur Bousfoncrie liegt tief im russischen Charakter. Rußlands größter Kaiser war zu Zeiten ein arger Possenreißer und bei ihm war es gewiß nicht Maske, sondern innerste Natur. Die Bouffonerie war das beste Mittel, sich dem gemeinen Mann verständlich zu machen, und wenn die Soldaten sich im Lager über die Schwänke des Generals unterhalten konnten, so durfte er, wo es nothwendig war. streng, ja grausam sein, ohne ihre Liebe zu verscherzen. Mit ihnen war er aufgewachsen, ihre Sprache und ihr Benehmen war zu seiner Natur geworden. Dreizehn Jahr alt war Suworow 1742 als Gemeiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/266>, abgerufen am 03.07.2024.