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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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ßerr Adels, der seine Ausgaben nicht nach dem verminderten Einkommen ein¬
richten will oder kann, täglich mehr der Verarmung entgegen. Der verarmte
Adelige, der kein Handwerk, kein Geschäft und keine Kunst gelernt, ist mei'
seems darauf angewiesen, seine verblichenen Ueberreste von juridischen Kennt"
rissen, die früher dem ungarischen Edelmann nur selten fehlten, aus der
Rumpelkammer der Vergessenheit hervorzusuchen, diese aufzufrischen und mit
einigen Studien im östreichischen Rechtsverfahren zu ergänzen, und dann um
eine Anstellung bei der Regierung anzusuchen. Die Regierung sieht es gern,
daß der bisher widerhaarige Adel nun gedemüthigt zum Kreuze kriecht, und stellt
gewöhnlich solche Supplicanten auch an. Mit diesen halbgebildeter, oft sehr
heruntergekommenen Individuen werden die alten Willkürlichkeiten und kava¬
liermäßigen Ungezogenheiten in die Aemter wieder eingeführt, und oft bekun¬
den diese Neubekehrten eine so totale Unkenntnis; des neuen Geschäftsganges,
und einen so übel angewendeten Loyalitätseifer, daß sie auf jedem Schritt
Anstoß geben, die Jntentioncy der Regierung in Mißcredit bringen, und be¬
sonders die untern Volksclassen sehr häufig zum Aeußersten treiben.

Wir hören oft von Bauern die Aeußerung aussprechen, daß sie es vor¬
ziehen möchten, ihrem frühern Herrn zwei Tage Robot zu leisten als einmal
auf ein kaiserliches Amt zu gehen. Dieser scheinbar übertriebene Widerwille
gegen alles, was den Amtsadel trägt, ist bei näherer Betrachtung leicht er¬
klärlich. Früher wurden alle Comitats- und Bezirksämter durch Wahlen be¬
setzt, die nach einer gewissen Anzahl von Jahren erneut wurden. Die Be¬
amten, welche bei der nächsten Wahl in ihr jetziges oder in ein höheres Amt
gewählt zu werden wünschten, waren bestrebt, sich in ihrer Gegend wenigstens
einigermaßen den Ruf der Respectabilität und selbst der Popularität zu ver¬
schaffen. Denn obwol ihre Wiedererwählung blos von dem Adel abhing,
so stand doch dieser, besonders in seinen niedern Schichten in so naher Ver¬
bindung mit den Bauern, daß ein allgemeines Verdammungsurtheil der letz¬
tern auch auf den erstern nicht ohne Einfluß blieb. Außerdem hatte der Bauer
stets eine Zuflucht, eine Art letzte Instanz, an seinem eignen Grundherrn.
Wie wir oben bereits erwähnt haben, war der Grundherr der natürliche Vor¬
mund und Nothhelfer seines Unterthanen, und der Edelmann setzte einen ge¬
wissen Stolz darein, seinen Bauern oder Juden gegen Bcamtenwillkür zu
schützen, und seine adeligen Vorrechte gaben ihm auch die Mittel dazu in die
Hand. Nun aber steht der gemeine Mann der Beamtentyrannei gegenüber
rath- und schutzlos da; die Wege der Appellation sind ihm theils unbekannt,
theils unerreichbar, und entschließt sich ja Einer unter Tausenden zu dem
schweren Schritt, so findet der betreffende Beamte leicht die Mittel, ihn als
Rebell und Aufwiegler darzustellen, und er bringt meistens einen Bescheid "ach
Hause, der andern die Lust zu einem ähnlichen Vorgehen sürimmer benehmen muß.


ßerr Adels, der seine Ausgaben nicht nach dem verminderten Einkommen ein¬
richten will oder kann, täglich mehr der Verarmung entgegen. Der verarmte
Adelige, der kein Handwerk, kein Geschäft und keine Kunst gelernt, ist mei'
seems darauf angewiesen, seine verblichenen Ueberreste von juridischen Kennt«
rissen, die früher dem ungarischen Edelmann nur selten fehlten, aus der
Rumpelkammer der Vergessenheit hervorzusuchen, diese aufzufrischen und mit
einigen Studien im östreichischen Rechtsverfahren zu ergänzen, und dann um
eine Anstellung bei der Regierung anzusuchen. Die Regierung sieht es gern,
daß der bisher widerhaarige Adel nun gedemüthigt zum Kreuze kriecht, und stellt
gewöhnlich solche Supplicanten auch an. Mit diesen halbgebildeter, oft sehr
heruntergekommenen Individuen werden die alten Willkürlichkeiten und kava¬
liermäßigen Ungezogenheiten in die Aemter wieder eingeführt, und oft bekun¬
den diese Neubekehrten eine so totale Unkenntnis; des neuen Geschäftsganges,
und einen so übel angewendeten Loyalitätseifer, daß sie auf jedem Schritt
Anstoß geben, die Jntentioncy der Regierung in Mißcredit bringen, und be¬
sonders die untern Volksclassen sehr häufig zum Aeußersten treiben.

Wir hören oft von Bauern die Aeußerung aussprechen, daß sie es vor¬
ziehen möchten, ihrem frühern Herrn zwei Tage Robot zu leisten als einmal
auf ein kaiserliches Amt zu gehen. Dieser scheinbar übertriebene Widerwille
gegen alles, was den Amtsadel trägt, ist bei näherer Betrachtung leicht er¬
klärlich. Früher wurden alle Comitats- und Bezirksämter durch Wahlen be¬
setzt, die nach einer gewissen Anzahl von Jahren erneut wurden. Die Be¬
amten, welche bei der nächsten Wahl in ihr jetziges oder in ein höheres Amt
gewählt zu werden wünschten, waren bestrebt, sich in ihrer Gegend wenigstens
einigermaßen den Ruf der Respectabilität und selbst der Popularität zu ver¬
schaffen. Denn obwol ihre Wiedererwählung blos von dem Adel abhing,
so stand doch dieser, besonders in seinen niedern Schichten in so naher Ver¬
bindung mit den Bauern, daß ein allgemeines Verdammungsurtheil der letz¬
tern auch auf den erstern nicht ohne Einfluß blieb. Außerdem hatte der Bauer
stets eine Zuflucht, eine Art letzte Instanz, an seinem eignen Grundherrn.
Wie wir oben bereits erwähnt haben, war der Grundherr der natürliche Vor¬
mund und Nothhelfer seines Unterthanen, und der Edelmann setzte einen ge¬
wissen Stolz darein, seinen Bauern oder Juden gegen Bcamtenwillkür zu
schützen, und seine adeligen Vorrechte gaben ihm auch die Mittel dazu in die
Hand. Nun aber steht der gemeine Mann der Beamtentyrannei gegenüber
rath- und schutzlos da; die Wege der Appellation sind ihm theils unbekannt,
theils unerreichbar, und entschließt sich ja Einer unter Tausenden zu dem
schweren Schritt, so findet der betreffende Beamte leicht die Mittel, ihn als
Rebell und Aufwiegler darzustellen, und er bringt meistens einen Bescheid »ach
Hause, der andern die Lust zu einem ähnlichen Vorgehen sürimmer benehmen muß.


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[0258] ßerr Adels, der seine Ausgaben nicht nach dem verminderten Einkommen ein¬ richten will oder kann, täglich mehr der Verarmung entgegen. Der verarmte Adelige, der kein Handwerk, kein Geschäft und keine Kunst gelernt, ist mei' seems darauf angewiesen, seine verblichenen Ueberreste von juridischen Kennt« rissen, die früher dem ungarischen Edelmann nur selten fehlten, aus der Rumpelkammer der Vergessenheit hervorzusuchen, diese aufzufrischen und mit einigen Studien im östreichischen Rechtsverfahren zu ergänzen, und dann um eine Anstellung bei der Regierung anzusuchen. Die Regierung sieht es gern, daß der bisher widerhaarige Adel nun gedemüthigt zum Kreuze kriecht, und stellt gewöhnlich solche Supplicanten auch an. Mit diesen halbgebildeter, oft sehr heruntergekommenen Individuen werden die alten Willkürlichkeiten und kava¬ liermäßigen Ungezogenheiten in die Aemter wieder eingeführt, und oft bekun¬ den diese Neubekehrten eine so totale Unkenntnis; des neuen Geschäftsganges, und einen so übel angewendeten Loyalitätseifer, daß sie auf jedem Schritt Anstoß geben, die Jntentioncy der Regierung in Mißcredit bringen, und be¬ sonders die untern Volksclassen sehr häufig zum Aeußersten treiben. Wir hören oft von Bauern die Aeußerung aussprechen, daß sie es vor¬ ziehen möchten, ihrem frühern Herrn zwei Tage Robot zu leisten als einmal auf ein kaiserliches Amt zu gehen. Dieser scheinbar übertriebene Widerwille gegen alles, was den Amtsadel trägt, ist bei näherer Betrachtung leicht er¬ klärlich. Früher wurden alle Comitats- und Bezirksämter durch Wahlen be¬ setzt, die nach einer gewissen Anzahl von Jahren erneut wurden. Die Be¬ amten, welche bei der nächsten Wahl in ihr jetziges oder in ein höheres Amt gewählt zu werden wünschten, waren bestrebt, sich in ihrer Gegend wenigstens einigermaßen den Ruf der Respectabilität und selbst der Popularität zu ver¬ schaffen. Denn obwol ihre Wiedererwählung blos von dem Adel abhing, so stand doch dieser, besonders in seinen niedern Schichten in so naher Ver¬ bindung mit den Bauern, daß ein allgemeines Verdammungsurtheil der letz¬ tern auch auf den erstern nicht ohne Einfluß blieb. Außerdem hatte der Bauer stets eine Zuflucht, eine Art letzte Instanz, an seinem eignen Grundherrn. Wie wir oben bereits erwähnt haben, war der Grundherr der natürliche Vor¬ mund und Nothhelfer seines Unterthanen, und der Edelmann setzte einen ge¬ wissen Stolz darein, seinen Bauern oder Juden gegen Bcamtenwillkür zu schützen, und seine adeligen Vorrechte gaben ihm auch die Mittel dazu in die Hand. Nun aber steht der gemeine Mann der Beamtentyrannei gegenüber rath- und schutzlos da; die Wege der Appellation sind ihm theils unbekannt, theils unerreichbar, und entschließt sich ja Einer unter Tausenden zu dem schweren Schritt, so findet der betreffende Beamte leicht die Mittel, ihn als Rebell und Aufwiegler darzustellen, und er bringt meistens einen Bescheid »ach Hause, der andern die Lust zu einem ähnlichen Vorgehen sürimmer benehmen muß.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/258>, abgerufen am 03.07.2024.