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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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gewicht nicht zu verlieren. Jetzt aber, wo er diese Stütze verloren hat, ist er
mehr auf seine eigne Kraft angewiesen; er muß sich in seinem Verhältniß zum
Steueramte, zur Finanzwache, zur Polizei -- ein bis jetzt ihm gänzlich un¬
bekannter Factor in der gesellschaftlichen Maschine -- in Proceß-, Erbschafts-
und Nekrutirungsangclcgenheiten mit seinem eignen Verstand durchhelfen:
er sucht sich daher auf alle mögliche Weise zu unterrichten, und wenn dies
bei ihm nicht ganz zum Zweck führt, die Erziehung seines Sohnes so ein¬
zurichten, daß er in seinem Alter nicht in die Lage kommen möge, über täglich
vorkommende Dinge rathlos dazustehn.
'

Es ist factisch,daß seit 1848 die Zahl der Zeitungsleser und Bücherkäufer
unter dem Landvolk in Ungarn in einer viel größern Proportion zugenommen
hat, als sonst in einem Lande Europas. Nicht minder ist es gewiß, daß der
Lauer in Ungarn jetzt den landwirtschaftlichen Reformen nach wissenschaft¬
lichen Ergebnissen viel zugänglicher geworden, und daß die große Anzahl von
landwirtschaftlichen Maschinenfabriken, welche in den letzten Jahren in
Ungarn errichtet wurden, einen großen Theil ihres Fabrikats an nichtadelige
Grundbesitzer, an Bauern und Juden absetzen.

Hiermit haben wir auch alle Vortheile, aufgezählt, welche Ungarn aus
seiner neuen Stellung zu Oestreich erwachsen sind, und diesen gegenüber haben
wir manche Zustände zu beklagen, die sich ebenfalls aus dieser neuen Stellung
ergeben, und die für den Fortschritt des schönen Landes auf dem Wege der
Civilisation, ja selbst für ein engeres Anschließen desselben an die Gesammt-
monarchie sehr bedenkliche Folgen haben müssen.

In erste Reihe müssen wir hier die unverhältnißmäßige Besteuerung des
Landes überhaupt, und besonders des Adels stellen. Ungarn war stets, und
ist noch jetzt, trotz der Reichthümer seines Bodens, ein geldarmes Land; die
vormärzliche Besteuerung war, trotzdem eine ganze und zwar die reichste
Classe der Bevölkerung von aller Besteuerung ausgeschlossen blieb, eine sehr
geringe; eine plötzliche und hohe Belastung aller Erwerbsquellen -- manche,
von ihnen ist doppelt und dreifach belastet -- muß also sehr drückend sein.
Wir haben die Besteuerung des Adels besonders hervorgehoben, nicht als
wollten wir etwa der alten Steuerfreiheit dieses Standes das Wort reden,
sondern weil diese Besteuerung evident eine zu den Einkünften und Nutznie¬
ßungen der Gutsbesitzer durchaus unverhältnißmäßige ist, und weil daraus
ein Uebel erwächst, welches tief in das Staatsleben, ja selbst in das gesell¬
schaftliche und Familienleben des Landes eingreift. Dadurch nämlich, daß
der Adel so unverhältnißmäßig besteuert ist -- bei manchem erreicht die
Steuer 30--40 Procent seines ganzen Einkommens --und ihm zur Vermeh¬
rung seiner Hilfsquellen die früheren Frohndienste und die Unterstützung eines
geregelten Creditwesens fehlen, geht der kleine und auch ein Theil des grö-


Grciizbotcn IV. 13os. 32

gewicht nicht zu verlieren. Jetzt aber, wo er diese Stütze verloren hat, ist er
mehr auf seine eigne Kraft angewiesen; er muß sich in seinem Verhältniß zum
Steueramte, zur Finanzwache, zur Polizei — ein bis jetzt ihm gänzlich un¬
bekannter Factor in der gesellschaftlichen Maschine — in Proceß-, Erbschafts-
und Nekrutirungsangclcgenheiten mit seinem eignen Verstand durchhelfen:
er sucht sich daher auf alle mögliche Weise zu unterrichten, und wenn dies
bei ihm nicht ganz zum Zweck führt, die Erziehung seines Sohnes so ein¬
zurichten, daß er in seinem Alter nicht in die Lage kommen möge, über täglich
vorkommende Dinge rathlos dazustehn.
'

Es ist factisch,daß seit 1848 die Zahl der Zeitungsleser und Bücherkäufer
unter dem Landvolk in Ungarn in einer viel größern Proportion zugenommen
hat, als sonst in einem Lande Europas. Nicht minder ist es gewiß, daß der
Lauer in Ungarn jetzt den landwirtschaftlichen Reformen nach wissenschaft¬
lichen Ergebnissen viel zugänglicher geworden, und daß die große Anzahl von
landwirtschaftlichen Maschinenfabriken, welche in den letzten Jahren in
Ungarn errichtet wurden, einen großen Theil ihres Fabrikats an nichtadelige
Grundbesitzer, an Bauern und Juden absetzen.

Hiermit haben wir auch alle Vortheile, aufgezählt, welche Ungarn aus
seiner neuen Stellung zu Oestreich erwachsen sind, und diesen gegenüber haben
wir manche Zustände zu beklagen, die sich ebenfalls aus dieser neuen Stellung
ergeben, und die für den Fortschritt des schönen Landes auf dem Wege der
Civilisation, ja selbst für ein engeres Anschließen desselben an die Gesammt-
monarchie sehr bedenkliche Folgen haben müssen.

In erste Reihe müssen wir hier die unverhältnißmäßige Besteuerung des
Landes überhaupt, und besonders des Adels stellen. Ungarn war stets, und
ist noch jetzt, trotz der Reichthümer seines Bodens, ein geldarmes Land; die
vormärzliche Besteuerung war, trotzdem eine ganze und zwar die reichste
Classe der Bevölkerung von aller Besteuerung ausgeschlossen blieb, eine sehr
geringe; eine plötzliche und hohe Belastung aller Erwerbsquellen — manche,
von ihnen ist doppelt und dreifach belastet — muß also sehr drückend sein.
Wir haben die Besteuerung des Adels besonders hervorgehoben, nicht als
wollten wir etwa der alten Steuerfreiheit dieses Standes das Wort reden,
sondern weil diese Besteuerung evident eine zu den Einkünften und Nutznie¬
ßungen der Gutsbesitzer durchaus unverhältnißmäßige ist, und weil daraus
ein Uebel erwächst, welches tief in das Staatsleben, ja selbst in das gesell¬
schaftliche und Familienleben des Landes eingreift. Dadurch nämlich, daß
der Adel so unverhältnißmäßig besteuert ist — bei manchem erreicht die
Steuer 30—40 Procent seines ganzen Einkommens —und ihm zur Vermeh¬
rung seiner Hilfsquellen die früheren Frohndienste und die Unterstützung eines
geregelten Creditwesens fehlen, geht der kleine und auch ein Theil des grö-


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[0257] gewicht nicht zu verlieren. Jetzt aber, wo er diese Stütze verloren hat, ist er mehr auf seine eigne Kraft angewiesen; er muß sich in seinem Verhältniß zum Steueramte, zur Finanzwache, zur Polizei — ein bis jetzt ihm gänzlich un¬ bekannter Factor in der gesellschaftlichen Maschine — in Proceß-, Erbschafts- und Nekrutirungsangclcgenheiten mit seinem eignen Verstand durchhelfen: er sucht sich daher auf alle mögliche Weise zu unterrichten, und wenn dies bei ihm nicht ganz zum Zweck führt, die Erziehung seines Sohnes so ein¬ zurichten, daß er in seinem Alter nicht in die Lage kommen möge, über täglich vorkommende Dinge rathlos dazustehn. ' Es ist factisch,daß seit 1848 die Zahl der Zeitungsleser und Bücherkäufer unter dem Landvolk in Ungarn in einer viel größern Proportion zugenommen hat, als sonst in einem Lande Europas. Nicht minder ist es gewiß, daß der Lauer in Ungarn jetzt den landwirtschaftlichen Reformen nach wissenschaft¬ lichen Ergebnissen viel zugänglicher geworden, und daß die große Anzahl von landwirtschaftlichen Maschinenfabriken, welche in den letzten Jahren in Ungarn errichtet wurden, einen großen Theil ihres Fabrikats an nichtadelige Grundbesitzer, an Bauern und Juden absetzen. Hiermit haben wir auch alle Vortheile, aufgezählt, welche Ungarn aus seiner neuen Stellung zu Oestreich erwachsen sind, und diesen gegenüber haben wir manche Zustände zu beklagen, die sich ebenfalls aus dieser neuen Stellung ergeben, und die für den Fortschritt des schönen Landes auf dem Wege der Civilisation, ja selbst für ein engeres Anschließen desselben an die Gesammt- monarchie sehr bedenkliche Folgen haben müssen. In erste Reihe müssen wir hier die unverhältnißmäßige Besteuerung des Landes überhaupt, und besonders des Adels stellen. Ungarn war stets, und ist noch jetzt, trotz der Reichthümer seines Bodens, ein geldarmes Land; die vormärzliche Besteuerung war, trotzdem eine ganze und zwar die reichste Classe der Bevölkerung von aller Besteuerung ausgeschlossen blieb, eine sehr geringe; eine plötzliche und hohe Belastung aller Erwerbsquellen — manche, von ihnen ist doppelt und dreifach belastet — muß also sehr drückend sein. Wir haben die Besteuerung des Adels besonders hervorgehoben, nicht als wollten wir etwa der alten Steuerfreiheit dieses Standes das Wort reden, sondern weil diese Besteuerung evident eine zu den Einkünften und Nutznie¬ ßungen der Gutsbesitzer durchaus unverhältnißmäßige ist, und weil daraus ein Uebel erwächst, welches tief in das Staatsleben, ja selbst in das gesell¬ schaftliche und Familienleben des Landes eingreift. Dadurch nämlich, daß der Adel so unverhältnißmäßig besteuert ist — bei manchem erreicht die Steuer 30—40 Procent seines ganzen Einkommens —und ihm zur Vermeh¬ rung seiner Hilfsquellen die früheren Frohndienste und die Unterstützung eines geregelten Creditwesens fehlen, geht der kleine und auch ein Theil des grö- Grciizbotcn IV. 13os. 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/257>, abgerufen am 03.07.2024.