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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Mumien, die hier ein weites, stilles Todtenreich bildeten. Ihnen folgte eine
lebende Generation von christlichen Einsiedlern, welche die Ueberbleibsel heid¬
nischer Vorzeit in den Wandsculpturen mit Gyps überdeckten und auf den¬
selben Heiligenbilder malten. In neuester Zeit wohnen hier bisweilen Familien
von Arabern mit ihren Herden. Die Grabeskammern dienen ihnen als Ställe,
die Mumicnsärge und Todtengebeine zur Feuerung, um ihre Speisen zu be¬
reiten. --.

Aber ein noch größeres Interesse, als die ägyptischen, gewähren die
Felsenarbeiten Indiens. Nicht die Trauer, sondern wie es scheint religiöse
Mystik drang hier tief in den Schoß der Berge ein, um nicht Gräber, son¬
dern Tempel, Priesterwohnungen, ja eine ganze heilige Priestcrstadt zu schaffen.
Es gibt Menschen, die an dem leicht Auszuführenden kein Genügen finden,
sondern von einer ungemessenen Willenskraft beseelt, nur von dem Schwierigsten,
scheinbar Unmöglichen angelockt, in seiner Bewältigung allein sich gefallen.
Der Art waren die Unternehmer dieser Werke. Sie befriedigte die cyklopische
Arbeit nicht, den Berg abzutragen und aus seinen Felsen Mauern aufzuschichten.
In einem theilweise so harten Gestein, daß es nur mit dem härtesten Stahl
zu bearbeiten war, grub man sich erst einen Gang ins Innere, um von hier
aus den vollen Berg bei Ellora einen Halbkreis, dessen Durchmesser eine halbe
Meile beträgt -- gleichsam zu entkernen und aus ihm selber herauszuschaffen.
Nur seine Rinde und seinen obersten Theil ließ man als Ringmauer und als
Decke an ihrem Platze und im Innern so viel, als man zu den verschiedenen
Mauern und Säulen brauchte. Die Säule nun wurde hier nicht auf¬
gerichtet, um die ihr entsprechend eingerichtete Last der Decke zu em¬
pfangen, sie blieb, zusammenhängend und aus einem Stück mit dem
Grunde und dem oben lastenden Berggipfel, um dessen weit gesprengte Wöl¬
bung vor dem Einsturz zu schützen. Auch die Zwischenmauern der verschie¬
denen Tempel und Anlagen dienten demselben Zweck. Außerdem ließ man
das Gestein an seinem Orte, wo nach dem Plane Obelisken, Kolosse, Treppen,
Brücken hinkommen sollten, wie auch ganze Kapellen, deren Felsstück also im
Innern wieder zur Höhlung umzuarbeiten war. Man nahm auch überall
Rücksicht auf die anzubringenden Sculpturen. Allmählig gewann alles Ge¬
stalt und Charakter, es entstanden nebeneinander, oder in verschiedenen, theil¬
weise zusammenhängenden Stockwerken übereinander, große Tempel, in deren
Innern sich wieder kleinere Tempel oder Kapellen erhoben, mit Vorhöfen,
Säulengängen, Teichen, Obelisken, es entstanden unzählige kleine Grotten, als
Wohnungen für Priester, oder auch für Pilger. Die Säulen erhielten Capi¬
tale, welche Elephanten, die Lotusblume, oder anderes darstellten. Die
Wände der Tempel, etwa von den Dimensionen einer großen gothischen Kirche,
sind durchweg mit Reliefs geschmückt, deren Gestalten zum Theil ganz von


Mumien, die hier ein weites, stilles Todtenreich bildeten. Ihnen folgte eine
lebende Generation von christlichen Einsiedlern, welche die Ueberbleibsel heid¬
nischer Vorzeit in den Wandsculpturen mit Gyps überdeckten und auf den¬
selben Heiligenbilder malten. In neuester Zeit wohnen hier bisweilen Familien
von Arabern mit ihren Herden. Die Grabeskammern dienen ihnen als Ställe,
die Mumicnsärge und Todtengebeine zur Feuerung, um ihre Speisen zu be¬
reiten. —.

Aber ein noch größeres Interesse, als die ägyptischen, gewähren die
Felsenarbeiten Indiens. Nicht die Trauer, sondern wie es scheint religiöse
Mystik drang hier tief in den Schoß der Berge ein, um nicht Gräber, son¬
dern Tempel, Priesterwohnungen, ja eine ganze heilige Priestcrstadt zu schaffen.
Es gibt Menschen, die an dem leicht Auszuführenden kein Genügen finden,
sondern von einer ungemessenen Willenskraft beseelt, nur von dem Schwierigsten,
scheinbar Unmöglichen angelockt, in seiner Bewältigung allein sich gefallen.
Der Art waren die Unternehmer dieser Werke. Sie befriedigte die cyklopische
Arbeit nicht, den Berg abzutragen und aus seinen Felsen Mauern aufzuschichten.
In einem theilweise so harten Gestein, daß es nur mit dem härtesten Stahl
zu bearbeiten war, grub man sich erst einen Gang ins Innere, um von hier
aus den vollen Berg bei Ellora einen Halbkreis, dessen Durchmesser eine halbe
Meile beträgt — gleichsam zu entkernen und aus ihm selber herauszuschaffen.
Nur seine Rinde und seinen obersten Theil ließ man als Ringmauer und als
Decke an ihrem Platze und im Innern so viel, als man zu den verschiedenen
Mauern und Säulen brauchte. Die Säule nun wurde hier nicht auf¬
gerichtet, um die ihr entsprechend eingerichtete Last der Decke zu em¬
pfangen, sie blieb, zusammenhängend und aus einem Stück mit dem
Grunde und dem oben lastenden Berggipfel, um dessen weit gesprengte Wöl¬
bung vor dem Einsturz zu schützen. Auch die Zwischenmauern der verschie¬
denen Tempel und Anlagen dienten demselben Zweck. Außerdem ließ man
das Gestein an seinem Orte, wo nach dem Plane Obelisken, Kolosse, Treppen,
Brücken hinkommen sollten, wie auch ganze Kapellen, deren Felsstück also im
Innern wieder zur Höhlung umzuarbeiten war. Man nahm auch überall
Rücksicht auf die anzubringenden Sculpturen. Allmählig gewann alles Ge¬
stalt und Charakter, es entstanden nebeneinander, oder in verschiedenen, theil¬
weise zusammenhängenden Stockwerken übereinander, große Tempel, in deren
Innern sich wieder kleinere Tempel oder Kapellen erhoben, mit Vorhöfen,
Säulengängen, Teichen, Obelisken, es entstanden unzählige kleine Grotten, als
Wohnungen für Priester, oder auch für Pilger. Die Säulen erhielten Capi¬
tale, welche Elephanten, die Lotusblume, oder anderes darstellten. Die
Wände der Tempel, etwa von den Dimensionen einer großen gothischen Kirche,
sind durchweg mit Reliefs geschmückt, deren Gestalten zum Theil ganz von


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[0230] Mumien, die hier ein weites, stilles Todtenreich bildeten. Ihnen folgte eine lebende Generation von christlichen Einsiedlern, welche die Ueberbleibsel heid¬ nischer Vorzeit in den Wandsculpturen mit Gyps überdeckten und auf den¬ selben Heiligenbilder malten. In neuester Zeit wohnen hier bisweilen Familien von Arabern mit ihren Herden. Die Grabeskammern dienen ihnen als Ställe, die Mumicnsärge und Todtengebeine zur Feuerung, um ihre Speisen zu be¬ reiten. —. Aber ein noch größeres Interesse, als die ägyptischen, gewähren die Felsenarbeiten Indiens. Nicht die Trauer, sondern wie es scheint religiöse Mystik drang hier tief in den Schoß der Berge ein, um nicht Gräber, son¬ dern Tempel, Priesterwohnungen, ja eine ganze heilige Priestcrstadt zu schaffen. Es gibt Menschen, die an dem leicht Auszuführenden kein Genügen finden, sondern von einer ungemessenen Willenskraft beseelt, nur von dem Schwierigsten, scheinbar Unmöglichen angelockt, in seiner Bewältigung allein sich gefallen. Der Art waren die Unternehmer dieser Werke. Sie befriedigte die cyklopische Arbeit nicht, den Berg abzutragen und aus seinen Felsen Mauern aufzuschichten. In einem theilweise so harten Gestein, daß es nur mit dem härtesten Stahl zu bearbeiten war, grub man sich erst einen Gang ins Innere, um von hier aus den vollen Berg bei Ellora einen Halbkreis, dessen Durchmesser eine halbe Meile beträgt — gleichsam zu entkernen und aus ihm selber herauszuschaffen. Nur seine Rinde und seinen obersten Theil ließ man als Ringmauer und als Decke an ihrem Platze und im Innern so viel, als man zu den verschiedenen Mauern und Säulen brauchte. Die Säule nun wurde hier nicht auf¬ gerichtet, um die ihr entsprechend eingerichtete Last der Decke zu em¬ pfangen, sie blieb, zusammenhängend und aus einem Stück mit dem Grunde und dem oben lastenden Berggipfel, um dessen weit gesprengte Wöl¬ bung vor dem Einsturz zu schützen. Auch die Zwischenmauern der verschie¬ denen Tempel und Anlagen dienten demselben Zweck. Außerdem ließ man das Gestein an seinem Orte, wo nach dem Plane Obelisken, Kolosse, Treppen, Brücken hinkommen sollten, wie auch ganze Kapellen, deren Felsstück also im Innern wieder zur Höhlung umzuarbeiten war. Man nahm auch überall Rücksicht auf die anzubringenden Sculpturen. Allmählig gewann alles Ge¬ stalt und Charakter, es entstanden nebeneinander, oder in verschiedenen, theil¬ weise zusammenhängenden Stockwerken übereinander, große Tempel, in deren Innern sich wieder kleinere Tempel oder Kapellen erhoben, mit Vorhöfen, Säulengängen, Teichen, Obelisken, es entstanden unzählige kleine Grotten, als Wohnungen für Priester, oder auch für Pilger. Die Säulen erhielten Capi¬ tale, welche Elephanten, die Lotusblume, oder anderes darstellten. Die Wände der Tempel, etwa von den Dimensionen einer großen gothischen Kirche, sind durchweg mit Reliefs geschmückt, deren Gestalten zum Theil ganz von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/230>, abgerufen am 22.07.2024.