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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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körperlichen Gegenstand heißt körperliches Eigenthum, das unumschränkte und
ausschließliche Dispositionsrecht über ein geistiges Erzeugniß heißt geistiges
Eigenthum. Das erste hat der Erbauer eines Hauses, das zweite hat der
Schöpfer eines geistigen Werks. ' Kannten die Römer und die altgermanischen
Völker ein solches geistiges Eigenthum nicht, so lag das an ihrer geringeren
Culturentwicklung. Die heutige civilisirte Welt kennt es aber .und deshalb
stellen wir das geistige Eigenthum dem körperlichen gleich.

Heißt das aber nicht auch mit dem Wort gefochten? Ist dieser Schluß
nicht etwa blos deshalb möglich, weil man das Recht des Autors auf sein
Erzeugniß "Eigenthum" zu nennen beliebt hat? -- So ist es allerdings. In
Rechtsfragen argumentire aber blos der Dilettant mit Worten und Schulsätzen,
der tüchtige Richter entscheidet immer nur aus der Natur der Sache. Gehen
deshalb auch wir einmal von den Worten ab und auf die Natur der Sache.
Müssen wir uns bei genauer Betrachtung der Eigenthümlichkeit beider Rcchts-
objecte gestehen, daß wirklich ein wesentlicher Unterschied zwischen körperlichen
Sachen und den Schöpfungen unsers Geistes existirt, dann -- aber auch'nur
dann -- wird auch das Recht einen Unterschied statuiren dürfen.

Wir argumentiren indeß bei diesem letzten Schluß mit einem Satz, dessen
Richtigkeit wir zwar nicht wissenschaftlich streng beweisen wollen, dessen Be¬
deutung und Eigenthümlichkeit wir jedoch erst noch etwas näher glauben ent¬
wickeln zu müssen. Die unendliche Verschiedenheit der Rechtsverhältnisse und
Rechte hat ihren Grund nicht etwa in der unendlichen Verschiedenheit der
Menschen und deren Charakteren und Situationen. Die Menschen sind viel¬
mehr im Recht -- dies ist wenigstens die Regel -- alle gleich, sie kommen
alle nur von der einen Seite in-Betracht, ob sie einen Willen haben oder
nicht, ihre übrigen Verschiedenheiten, wie z. B. Geschlecht, Alter, Amt sind
im Recht völlig gleichgiltig. In unserm obigen Beispiel kann also das frei
vererbliche Recht des Hauserbaucrs an seinem Hause und das beschränkt ver-
erbliche Recht des Schriftstellers an seinem Werke nicht darin seinen Grund
haben, weil der erste etwa ein Zimmermann und der zweite ein Dichter ist.
Was unser Recht so verschiedenartig gestaltet, das sind -- jedoch auch wieder
nur im Großen und Ganzen -- die Objecte unsrer Rechte und deren unend¬
lich verschiedene Eigenschaften. Diese Verschiedenheit der Eigenschaften der
Rechtsobjecte bedingt nämlich im einzelnen Fall naturgemäß und nothwendig
auch ein ganz verschiedenes Verhalten des Menschen gegen dieselben, d. h.
also ganz verschiedene Rechtsverhältnisse, ganz verschiedene Rechte. Die Ver¬
pflichtung eines dritten, irgend etwas sür mich zu thun, ist z. B. ein Nechts-
object für mich; das Landgut, dessen Eigenthümer ich bin, ist gleichfalls ein
Nechtsobject sür mich. Zwischen beiden besteht aber offenbar ein ganz un¬
geheurer Unterschied und folglich auch zwischen meinem Recht am einen und


körperlichen Gegenstand heißt körperliches Eigenthum, das unumschränkte und
ausschließliche Dispositionsrecht über ein geistiges Erzeugniß heißt geistiges
Eigenthum. Das erste hat der Erbauer eines Hauses, das zweite hat der
Schöpfer eines geistigen Werks. ' Kannten die Römer und die altgermanischen
Völker ein solches geistiges Eigenthum nicht, so lag das an ihrer geringeren
Culturentwicklung. Die heutige civilisirte Welt kennt es aber .und deshalb
stellen wir das geistige Eigenthum dem körperlichen gleich.

Heißt das aber nicht auch mit dem Wort gefochten? Ist dieser Schluß
nicht etwa blos deshalb möglich, weil man das Recht des Autors auf sein
Erzeugniß „Eigenthum" zu nennen beliebt hat? — So ist es allerdings. In
Rechtsfragen argumentire aber blos der Dilettant mit Worten und Schulsätzen,
der tüchtige Richter entscheidet immer nur aus der Natur der Sache. Gehen
deshalb auch wir einmal von den Worten ab und auf die Natur der Sache.
Müssen wir uns bei genauer Betrachtung der Eigenthümlichkeit beider Rcchts-
objecte gestehen, daß wirklich ein wesentlicher Unterschied zwischen körperlichen
Sachen und den Schöpfungen unsers Geistes existirt, dann — aber auch'nur
dann — wird auch das Recht einen Unterschied statuiren dürfen.

Wir argumentiren indeß bei diesem letzten Schluß mit einem Satz, dessen
Richtigkeit wir zwar nicht wissenschaftlich streng beweisen wollen, dessen Be¬
deutung und Eigenthümlichkeit wir jedoch erst noch etwas näher glauben ent¬
wickeln zu müssen. Die unendliche Verschiedenheit der Rechtsverhältnisse und
Rechte hat ihren Grund nicht etwa in der unendlichen Verschiedenheit der
Menschen und deren Charakteren und Situationen. Die Menschen sind viel¬
mehr im Recht — dies ist wenigstens die Regel — alle gleich, sie kommen
alle nur von der einen Seite in-Betracht, ob sie einen Willen haben oder
nicht, ihre übrigen Verschiedenheiten, wie z. B. Geschlecht, Alter, Amt sind
im Recht völlig gleichgiltig. In unserm obigen Beispiel kann also das frei
vererbliche Recht des Hauserbaucrs an seinem Hause und das beschränkt ver-
erbliche Recht des Schriftstellers an seinem Werke nicht darin seinen Grund
haben, weil der erste etwa ein Zimmermann und der zweite ein Dichter ist.
Was unser Recht so verschiedenartig gestaltet, das sind — jedoch auch wieder
nur im Großen und Ganzen — die Objecte unsrer Rechte und deren unend¬
lich verschiedene Eigenschaften. Diese Verschiedenheit der Eigenschaften der
Rechtsobjecte bedingt nämlich im einzelnen Fall naturgemäß und nothwendig
auch ein ganz verschiedenes Verhalten des Menschen gegen dieselben, d. h.
also ganz verschiedene Rechtsverhältnisse, ganz verschiedene Rechte. Die Ver¬
pflichtung eines dritten, irgend etwas sür mich zu thun, ist z. B. ein Nechts-
object für mich; das Landgut, dessen Eigenthümer ich bin, ist gleichfalls ein
Nechtsobject sür mich. Zwischen beiden besteht aber offenbar ein ganz un¬
geheurer Unterschied und folglich auch zwischen meinem Recht am einen und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/216>, abgerufen am 24.08.2024.