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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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konnte -- also vorsichtig! Man konnte es ja einmal mit zehn Jahren probiren,
nachher ließ sich immer noch ab- und zuthun. Bei dieser Auffassung konnte
also der Bund unmöglich zur Entscheidung unsrer Frage kommen, wie weit
denn wol nach der Natur des geistigen Eigenthums der Rechtsschutz ausgedehnt
werden, ob nicht vielleicht dieses Recht eine ebenso lange Dauer haben müsse,
als das körperliche Eigenthum auch. --

Das Haus, das ich gebaut, geht in den Privatbesitz meiner Erben und
deren Rechtsnachfolger ungehindert über und wird als Gegenstand des Privat¬
rechts anerkannt, so lange es überhaupt existirt. Das Buch, das ich geschrieben,
soll für meine Erben nur fünfzig Jahre lang Gegenstand des Privatrechts sein,
von da ab soll sich sein privatrechtlicher Charakter verflüchtigen, es soll von
da ab Gemeingut aller werden. Wie rechtfertigt sich diese'Verschiedenheit der
rechtlichen Behandlung? Sie rechtfertigt sich überhaupt nicht, hat die Minorität
des brüsseler Kongresses gesagt, es ist Mißhandlung der Rechte des Schrift¬
stellers; denn es gibt keinen Unterschied zwischen körperlichem und intellectuellen
Eigenthum. "Eure Argumente sind die Argumente von Communisten" hat
Jules Simon, der geistreichste Wortführer der Minorität, gerufen, "und ich
sage Euch, diese Argumente werden sich eines Tags gegen Euch selbst kehren.
Wenn Ihr die freie Verbreitung Nossinischcr Melodien mit dem Grunde recht¬
fertigt, die Menschheit muß Melodien haben, so werden Euch die Arbeiter
"nes Tages sagen, wir müssen Brot haben, rend Ihr werdet ihnen nichts
hierauf erwidern können." Und was hat die Majorität hierauf erwidert?
Es gibt nur ein Eigenthum an körperlichen Sachen, ein intellectuelles Eigen¬
thum ist ein wissenschaftliches Unding; die geistigen Erzeugnisse siud'geschöpft
aus dem allgemeinen geistigen Fonds der Menschheit, sie müssen später auch
wieder dahin zurückkehren; ein dauerndes Einzeleigenthum an der geistigen
Schöpfung würde dieselben der Willkür des jeweiligen -Besitzers überantworten
wo wäre die Erfindung der Buchdruckerkunst hin, wäre sie in das Eigen¬
thum eines fanatischen Mönchs gefallen!

Das sind die Argumente der Majorität gewesen. Schützen sie wirtlich
gegen den scharfen Vorwurf Jules Simons, und geben sie eine befriedigende
Lösung der erregten Zweifel? Ein rechtliches Princip - muß sich einem jeden
Unbefangenen fast ebenso streng beweisen lassen wie ein mathematischer Satz,
oder es taugt nichts. Uns dünkt, das große Rcchtspnncip, das die Majori¬
tät des Kongresses der civilisirten Welt verkündet hat, sei mehr mit dem Jn-
stinct als mit dem zwingenden Verstand entschieden worden.'

Man wird nicht weit damit kommen, will man das Princip der Majori¬
tät mit dem Satze der Schule rechtfertigen: Es gibt nur ein Eigenthum an
körperlichen Sachen. Das sind Wortklaubereien, würde man uns entgegen¬
halten; das unumschränkte und ausschließliche Dispositionsrecht über einen


konnte — also vorsichtig! Man konnte es ja einmal mit zehn Jahren probiren,
nachher ließ sich immer noch ab- und zuthun. Bei dieser Auffassung konnte
also der Bund unmöglich zur Entscheidung unsrer Frage kommen, wie weit
denn wol nach der Natur des geistigen Eigenthums der Rechtsschutz ausgedehnt
werden, ob nicht vielleicht dieses Recht eine ebenso lange Dauer haben müsse,
als das körperliche Eigenthum auch. —

Das Haus, das ich gebaut, geht in den Privatbesitz meiner Erben und
deren Rechtsnachfolger ungehindert über und wird als Gegenstand des Privat¬
rechts anerkannt, so lange es überhaupt existirt. Das Buch, das ich geschrieben,
soll für meine Erben nur fünfzig Jahre lang Gegenstand des Privatrechts sein,
von da ab soll sich sein privatrechtlicher Charakter verflüchtigen, es soll von
da ab Gemeingut aller werden. Wie rechtfertigt sich diese'Verschiedenheit der
rechtlichen Behandlung? Sie rechtfertigt sich überhaupt nicht, hat die Minorität
des brüsseler Kongresses gesagt, es ist Mißhandlung der Rechte des Schrift¬
stellers; denn es gibt keinen Unterschied zwischen körperlichem und intellectuellen
Eigenthum. „Eure Argumente sind die Argumente von Communisten" hat
Jules Simon, der geistreichste Wortführer der Minorität, gerufen, „und ich
sage Euch, diese Argumente werden sich eines Tags gegen Euch selbst kehren.
Wenn Ihr die freie Verbreitung Nossinischcr Melodien mit dem Grunde recht¬
fertigt, die Menschheit muß Melodien haben, so werden Euch die Arbeiter
«nes Tages sagen, wir müssen Brot haben, rend Ihr werdet ihnen nichts
hierauf erwidern können." Und was hat die Majorität hierauf erwidert?
Es gibt nur ein Eigenthum an körperlichen Sachen, ein intellectuelles Eigen¬
thum ist ein wissenschaftliches Unding; die geistigen Erzeugnisse siud'geschöpft
aus dem allgemeinen geistigen Fonds der Menschheit, sie müssen später auch
wieder dahin zurückkehren; ein dauerndes Einzeleigenthum an der geistigen
Schöpfung würde dieselben der Willkür des jeweiligen -Besitzers überantworten
wo wäre die Erfindung der Buchdruckerkunst hin, wäre sie in das Eigen¬
thum eines fanatischen Mönchs gefallen!

Das sind die Argumente der Majorität gewesen. Schützen sie wirtlich
gegen den scharfen Vorwurf Jules Simons, und geben sie eine befriedigende
Lösung der erregten Zweifel? Ein rechtliches Princip - muß sich einem jeden
Unbefangenen fast ebenso streng beweisen lassen wie ein mathematischer Satz,
oder es taugt nichts. Uns dünkt, das große Rcchtspnncip, das die Majori¬
tät des Kongresses der civilisirten Welt verkündet hat, sei mehr mit dem Jn-
stinct als mit dem zwingenden Verstand entschieden worden.'

Man wird nicht weit damit kommen, will man das Princip der Majori¬
tät mit dem Satze der Schule rechtfertigen: Es gibt nur ein Eigenthum an
körperlichen Sachen. Das sind Wortklaubereien, würde man uns entgegen¬
halten; das unumschränkte und ausschließliche Dispositionsrecht über einen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/215>, abgerufen am 26.07.2024.