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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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cipieller Wichtigkeit und verlangte darüber nicht blos eine sofortige, genaue
und präcise Erklärung, sondern wollte auch von dieser das Zustandekommen
einer Verständigung überhaupt abhängig machen. Der Ausschuß der zweiten
Kammer dagegen, anstatt sich von diesem dictatorischen Verfahren übereilen
zu lassen, erörterte zunächst blos zwei Punkte, erklärte aber eine bestimmte
Beschlußfassung für jetzt als geschäftsordnungswidrig und formulirte auf
Grund seiner Berathung eine Reihe von Directiven für den Referenten für
das Strafgesetzbuch, damit er dieselben bei der Vorbereitungsarbeit für die
zweite Lesung benutze. Die Regierung wiederholte trotzdem ihr Verlangen
nach sofortiger Beschlußfassung über alle vorgelegte Principienfragen; und
nachdem der Ausschuß (unterm 13. März) ein Rechtfertigungsschreiben wegen
seines Verfahrens mit der Erklärung abgegeben hatte, daß er darauf beharren
müsse, erfolgte keine weitere Antwort. Dagegen erschien (20. März) eine königliche
Entschließung, welche die Sitzungen aufhob, "nachdem Wir uns aus der bis¬
her mit dem Gesetzgebungsausschusse der Kammer der Abgeordneten gepfloge-
nen Verhandlungen überzeugt haben, daß ein EinVerständniß über entschei¬
dende Grundlagen der genannten Entwürfe nicht zu erzielen ist."

So war also die Codification des Strafgesetzes und des Polizcistrafgesetzes
wieder auf unbestimmte Zeit vertagt. Professor Dr. Weiß, der Referent des
Ausschusses zweiter Kammer, ward von seiner Professur wegberufen, obgleich
die Stadt und Universität Würzburg um seine Belassung baten. Dagegen
stellte sich mit immer größerer Bestimmtheit heraus, daß die Negierung das
1855 verworfene Wahlgesetz mit Modificationen einzubringen beabsichtige, für
deren Annahme noch geringere Hoffnung, als vor drei Jahren. Die dama¬
lige Kammerauflösung^ hatte sich im gouvernementalen Sinn als ein verun¬
glückter Schritt documentirt. Die einzige Session der neuen Kammer hatte
dem Ministerium mehr materielle Mißtrauenszeugnisse und mehr principielle
Unzufriedenheitserklärnngen gebracht, als die gesammte Mandatsdauer der vor¬
her aufgelösten Kammer. Mit einer vollkommen unerwarteten Energie und
Majorität hatten außerdem die Reichsrathe sich grade bei höchst wichtigen
Fragen in Uebereinstimmung mit der Abgeordnetenkammer gegen das ministe¬
rielle Princip wie gegen die gouvernementale constitutionelle Praxis erklärt.
In der gesammten Landesvertretung hatte also das Ministerium sür seine
Interessen fürderhin keine Unterstützung zu erwarten, wenn es auf seinen bis¬
her theoretisch und praktisch vertretenen Principien beharrte.

Unter solchen Umständen ward nun der Landtag am 20. Sept. einberufen,
^e Nachricht der A. Allg. Ztg., daß das gesammte Ministerium dem König,
'"dem es die Kammerauslösung beantragte, die Alternative gestellt habe, cre-
o:der seine Entlassung oder das Auslösungsdecret zu unterzeichnen, hat sonach
che Wahrscheinlichkeit sür sich. Die Wahl des Dr. Weiß zum zweiten Präsi-


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cipieller Wichtigkeit und verlangte darüber nicht blos eine sofortige, genaue
und präcise Erklärung, sondern wollte auch von dieser das Zustandekommen
einer Verständigung überhaupt abhängig machen. Der Ausschuß der zweiten
Kammer dagegen, anstatt sich von diesem dictatorischen Verfahren übereilen
zu lassen, erörterte zunächst blos zwei Punkte, erklärte aber eine bestimmte
Beschlußfassung für jetzt als geschäftsordnungswidrig und formulirte auf
Grund seiner Berathung eine Reihe von Directiven für den Referenten für
das Strafgesetzbuch, damit er dieselben bei der Vorbereitungsarbeit für die
zweite Lesung benutze. Die Regierung wiederholte trotzdem ihr Verlangen
nach sofortiger Beschlußfassung über alle vorgelegte Principienfragen; und
nachdem der Ausschuß (unterm 13. März) ein Rechtfertigungsschreiben wegen
seines Verfahrens mit der Erklärung abgegeben hatte, daß er darauf beharren
müsse, erfolgte keine weitere Antwort. Dagegen erschien (20. März) eine königliche
Entschließung, welche die Sitzungen aufhob, „nachdem Wir uns aus der bis¬
her mit dem Gesetzgebungsausschusse der Kammer der Abgeordneten gepfloge-
nen Verhandlungen überzeugt haben, daß ein EinVerständniß über entschei¬
dende Grundlagen der genannten Entwürfe nicht zu erzielen ist."

So war also die Codification des Strafgesetzes und des Polizcistrafgesetzes
wieder auf unbestimmte Zeit vertagt. Professor Dr. Weiß, der Referent des
Ausschusses zweiter Kammer, ward von seiner Professur wegberufen, obgleich
die Stadt und Universität Würzburg um seine Belassung baten. Dagegen
stellte sich mit immer größerer Bestimmtheit heraus, daß die Negierung das
1855 verworfene Wahlgesetz mit Modificationen einzubringen beabsichtige, für
deren Annahme noch geringere Hoffnung, als vor drei Jahren. Die dama¬
lige Kammerauflösung^ hatte sich im gouvernementalen Sinn als ein verun¬
glückter Schritt documentirt. Die einzige Session der neuen Kammer hatte
dem Ministerium mehr materielle Mißtrauenszeugnisse und mehr principielle
Unzufriedenheitserklärnngen gebracht, als die gesammte Mandatsdauer der vor¬
her aufgelösten Kammer. Mit einer vollkommen unerwarteten Energie und
Majorität hatten außerdem die Reichsrathe sich grade bei höchst wichtigen
Fragen in Uebereinstimmung mit der Abgeordnetenkammer gegen das ministe¬
rielle Princip wie gegen die gouvernementale constitutionelle Praxis erklärt.
In der gesammten Landesvertretung hatte also das Ministerium sür seine
Interessen fürderhin keine Unterstützung zu erwarten, wenn es auf seinen bis¬
her theoretisch und praktisch vertretenen Principien beharrte.

Unter solchen Umständen ward nun der Landtag am 20. Sept. einberufen,
^e Nachricht der A. Allg. Ztg., daß das gesammte Ministerium dem König,
'"dem es die Kammerauslösung beantragte, die Alternative gestellt habe, cre-
o:der seine Entlassung oder das Auslösungsdecret zu unterzeichnen, hat sonach
che Wahrscheinlichkeit sür sich. Die Wahl des Dr. Weiß zum zweiten Präsi-


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[0195] cipieller Wichtigkeit und verlangte darüber nicht blos eine sofortige, genaue und präcise Erklärung, sondern wollte auch von dieser das Zustandekommen einer Verständigung überhaupt abhängig machen. Der Ausschuß der zweiten Kammer dagegen, anstatt sich von diesem dictatorischen Verfahren übereilen zu lassen, erörterte zunächst blos zwei Punkte, erklärte aber eine bestimmte Beschlußfassung für jetzt als geschäftsordnungswidrig und formulirte auf Grund seiner Berathung eine Reihe von Directiven für den Referenten für das Strafgesetzbuch, damit er dieselben bei der Vorbereitungsarbeit für die zweite Lesung benutze. Die Regierung wiederholte trotzdem ihr Verlangen nach sofortiger Beschlußfassung über alle vorgelegte Principienfragen; und nachdem der Ausschuß (unterm 13. März) ein Rechtfertigungsschreiben wegen seines Verfahrens mit der Erklärung abgegeben hatte, daß er darauf beharren müsse, erfolgte keine weitere Antwort. Dagegen erschien (20. März) eine königliche Entschließung, welche die Sitzungen aufhob, „nachdem Wir uns aus der bis¬ her mit dem Gesetzgebungsausschusse der Kammer der Abgeordneten gepfloge- nen Verhandlungen überzeugt haben, daß ein EinVerständniß über entschei¬ dende Grundlagen der genannten Entwürfe nicht zu erzielen ist." So war also die Codification des Strafgesetzes und des Polizcistrafgesetzes wieder auf unbestimmte Zeit vertagt. Professor Dr. Weiß, der Referent des Ausschusses zweiter Kammer, ward von seiner Professur wegberufen, obgleich die Stadt und Universität Würzburg um seine Belassung baten. Dagegen stellte sich mit immer größerer Bestimmtheit heraus, daß die Negierung das 1855 verworfene Wahlgesetz mit Modificationen einzubringen beabsichtige, für deren Annahme noch geringere Hoffnung, als vor drei Jahren. Die dama¬ lige Kammerauflösung^ hatte sich im gouvernementalen Sinn als ein verun¬ glückter Schritt documentirt. Die einzige Session der neuen Kammer hatte dem Ministerium mehr materielle Mißtrauenszeugnisse und mehr principielle Unzufriedenheitserklärnngen gebracht, als die gesammte Mandatsdauer der vor¬ her aufgelösten Kammer. Mit einer vollkommen unerwarteten Energie und Majorität hatten außerdem die Reichsrathe sich grade bei höchst wichtigen Fragen in Uebereinstimmung mit der Abgeordnetenkammer gegen das ministe¬ rielle Princip wie gegen die gouvernementale constitutionelle Praxis erklärt. In der gesammten Landesvertretung hatte also das Ministerium sür seine Interessen fürderhin keine Unterstützung zu erwarten, wenn es auf seinen bis¬ her theoretisch und praktisch vertretenen Principien beharrte. Unter solchen Umständen ward nun der Landtag am 20. Sept. einberufen, ^e Nachricht der A. Allg. Ztg., daß das gesammte Ministerium dem König, '"dem es die Kammerauslösung beantragte, die Alternative gestellt habe, cre- o:der seine Entlassung oder das Auslösungsdecret zu unterzeichnen, hat sonach che Wahrscheinlichkeit sür sich. Die Wahl des Dr. Weiß zum zweiten Präsi- 24*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/195>, abgerufen am 01.07.2024.