Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ganz offen kundgab, weil ihr auf Wissen und Unabhängigkeit ruhender Ein¬
fluß unbequem und dennoch nicht zu Paralysiren war, wurde ihr Beruf der¬
maßen verleidet, daß sie (wie z. B.Herr v. Lerchenfeld) ihren Austritt erklär¬
ten. Wenn man aber möglicherweise von gouvernementaler Seite eine
solche Wendung nicht ungern sah, so täuschte man sich wenigstens in der Er¬
wartung, nunmehr mit den Ausschüssen leichteres Spiel zu haben. Namentlich
harrte I)r. Weiß, unbeirrt durch persönliche Anfechtungen, auf seinem Posten
tapfer aus. Bereits der Sommer. 1857 sollte das Moment bringen, welches
eine weitere Nachgiebigkeit der Ausschüsse gegen die Regierung gradezu unmög¬
lich machte.

Letztere wollte nämlich die Strafbestimmungen über die Presse in das
Strafgesetzbuch aufnehmen. Nach dem Preßstrafgesetz vom 17. März 1850
besteht aber sür Preßprocesse' das System mildernder Umstünde. Von der
allgemeinen Aufnahme dieses Systems in das Strafgesetzbuch, davon ins¬
besondere, daß die Frage, ob solche Verhältnisse vorhanden, welche außer ge¬
minderter Zurechnungsfähigkeit ein Verbrechen oder Vergehen im geminderten
Grade strafbar erscheinen lassen, von den Geschwornen nebst der Schuldfrage
zu beantworten seien -- davon machte der Ausschuß die Verschmelzung des
Preßgesetzes mit dem Strafgesetz abhängig. Die logische Argumentation lautete:
da im Preßgesetz das System mildernder Umstände besteht und die Negierung
die Preßsachcn dem allgemeinen Strafgesetz unterwerfen will, da ferner nöthig,
daß in einem so wesentlichen Punkt für Prcßsachen keine andern Grundsätze
als für andere Strafsachen gelten, da endlich dem Ausschusse einer Landesver¬
tretung nicht zugemuthet werden kann, daß er die den Geschworenen einge¬
räumte Kompetenz in Preßsachen Preis gebe, so bleibt nichts übrig, als das
sür Preßsachcn giltige System der mildernden Umstände generalisircnd aus alle
Strafsachen auszudehnen. Auf dieser Erklärung zu beharren, erschien aber
dem Ausschusse praktisch noch um so mehr geboten, als bereits bekannt war,
daß die Negierung dem nächsten Landtag ein neues Preßgcsetz mit allen jenen
Verschärfungen vorzulegen beabsichtige, welche frühere Sessionen glücklich ab¬
gewehrt hatten, sür welche aber das Bundespreßgesetz von 1853 allerdings
jeder Negierung die bequemsten Anhalte bietet. Daß nach dem neuen Pre߬
gesetz auch die Competenz der Geschworenen beschränkt werden soll, war eben¬
falls bereits bekannt.

Umsonst erwartete nun der Gesetzgebungsausschuß der zweiten Kammer
eine Antwort aus seine Erklärung. Anstatt dessen erfolgte ein königliches Decret
(et- Bad Brückenau. 30, Juli), wodurch die Gesetzgebungsausschüsse auf fünf
Monate, also bis zum Jahresschlusse vertagt wurden. Ehe aber dieser Termin
abgelaufen, wurde die Prorogation sogar bis 1. Mürz 1858 ausgedehnt.
Jetzt empfing sie die Negierung mit acht Punkten oder Fragen höchster prin-


ganz offen kundgab, weil ihr auf Wissen und Unabhängigkeit ruhender Ein¬
fluß unbequem und dennoch nicht zu Paralysiren war, wurde ihr Beruf der¬
maßen verleidet, daß sie (wie z. B.Herr v. Lerchenfeld) ihren Austritt erklär¬
ten. Wenn man aber möglicherweise von gouvernementaler Seite eine
solche Wendung nicht ungern sah, so täuschte man sich wenigstens in der Er¬
wartung, nunmehr mit den Ausschüssen leichteres Spiel zu haben. Namentlich
harrte I)r. Weiß, unbeirrt durch persönliche Anfechtungen, auf seinem Posten
tapfer aus. Bereits der Sommer. 1857 sollte das Moment bringen, welches
eine weitere Nachgiebigkeit der Ausschüsse gegen die Regierung gradezu unmög¬
lich machte.

Letztere wollte nämlich die Strafbestimmungen über die Presse in das
Strafgesetzbuch aufnehmen. Nach dem Preßstrafgesetz vom 17. März 1850
besteht aber sür Preßprocesse' das System mildernder Umstünde. Von der
allgemeinen Aufnahme dieses Systems in das Strafgesetzbuch, davon ins¬
besondere, daß die Frage, ob solche Verhältnisse vorhanden, welche außer ge¬
minderter Zurechnungsfähigkeit ein Verbrechen oder Vergehen im geminderten
Grade strafbar erscheinen lassen, von den Geschwornen nebst der Schuldfrage
zu beantworten seien — davon machte der Ausschuß die Verschmelzung des
Preßgesetzes mit dem Strafgesetz abhängig. Die logische Argumentation lautete:
da im Preßgesetz das System mildernder Umstände besteht und die Negierung
die Preßsachcn dem allgemeinen Strafgesetz unterwerfen will, da ferner nöthig,
daß in einem so wesentlichen Punkt für Prcßsachen keine andern Grundsätze
als für andere Strafsachen gelten, da endlich dem Ausschusse einer Landesver¬
tretung nicht zugemuthet werden kann, daß er die den Geschworenen einge¬
räumte Kompetenz in Preßsachen Preis gebe, so bleibt nichts übrig, als das
sür Preßsachcn giltige System der mildernden Umstände generalisircnd aus alle
Strafsachen auszudehnen. Auf dieser Erklärung zu beharren, erschien aber
dem Ausschusse praktisch noch um so mehr geboten, als bereits bekannt war,
daß die Negierung dem nächsten Landtag ein neues Preßgcsetz mit allen jenen
Verschärfungen vorzulegen beabsichtige, welche frühere Sessionen glücklich ab¬
gewehrt hatten, sür welche aber das Bundespreßgesetz von 1853 allerdings
jeder Negierung die bequemsten Anhalte bietet. Daß nach dem neuen Pre߬
gesetz auch die Competenz der Geschworenen beschränkt werden soll, war eben¬
falls bereits bekannt.

Umsonst erwartete nun der Gesetzgebungsausschuß der zweiten Kammer
eine Antwort aus seine Erklärung. Anstatt dessen erfolgte ein königliches Decret
(et- Bad Brückenau. 30, Juli), wodurch die Gesetzgebungsausschüsse auf fünf
Monate, also bis zum Jahresschlusse vertagt wurden. Ehe aber dieser Termin
abgelaufen, wurde die Prorogation sogar bis 1. Mürz 1858 ausgedehnt.
Jetzt empfing sie die Negierung mit acht Punkten oder Fragen höchster prin-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0194" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266003"/>
            <p xml:id="ID_478" prev="#ID_477"> ganz offen kundgab, weil ihr auf Wissen und Unabhängigkeit ruhender Ein¬<lb/>
fluß unbequem und dennoch nicht zu Paralysiren war, wurde ihr Beruf der¬<lb/>
maßen verleidet, daß sie (wie z. B.Herr v. Lerchenfeld) ihren Austritt erklär¬<lb/>
ten. Wenn man aber möglicherweise von gouvernementaler Seite eine<lb/>
solche Wendung nicht ungern sah, so täuschte man sich wenigstens in der Er¬<lb/>
wartung, nunmehr mit den Ausschüssen leichteres Spiel zu haben. Namentlich<lb/>
harrte I)r. Weiß, unbeirrt durch persönliche Anfechtungen, auf seinem Posten<lb/>
tapfer aus. Bereits der Sommer. 1857 sollte das Moment bringen, welches<lb/>
eine weitere Nachgiebigkeit der Ausschüsse gegen die Regierung gradezu unmög¬<lb/>
lich machte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_479"> Letztere wollte nämlich die Strafbestimmungen über die Presse in das<lb/>
Strafgesetzbuch aufnehmen. Nach dem Preßstrafgesetz vom 17. März 1850<lb/>
besteht aber sür Preßprocesse' das System mildernder Umstünde. Von der<lb/>
allgemeinen Aufnahme dieses Systems in das Strafgesetzbuch, davon ins¬<lb/>
besondere, daß die Frage, ob solche Verhältnisse vorhanden, welche außer ge¬<lb/>
minderter Zurechnungsfähigkeit ein Verbrechen oder Vergehen im geminderten<lb/>
Grade strafbar erscheinen lassen, von den Geschwornen nebst der Schuldfrage<lb/>
zu beantworten seien &#x2014; davon machte der Ausschuß die Verschmelzung des<lb/>
Preßgesetzes mit dem Strafgesetz abhängig. Die logische Argumentation lautete:<lb/>
da im Preßgesetz das System mildernder Umstände besteht und die Negierung<lb/>
die Preßsachcn dem allgemeinen Strafgesetz unterwerfen will, da ferner nöthig,<lb/>
daß in einem so wesentlichen Punkt für Prcßsachen keine andern Grundsätze<lb/>
als für andere Strafsachen gelten, da endlich dem Ausschusse einer Landesver¬<lb/>
tretung nicht zugemuthet werden kann, daß er die den Geschworenen einge¬<lb/>
räumte Kompetenz in Preßsachen Preis gebe, so bleibt nichts übrig, als das<lb/>
sür Preßsachcn giltige System der mildernden Umstände generalisircnd aus alle<lb/>
Strafsachen auszudehnen. Auf dieser Erklärung zu beharren, erschien aber<lb/>
dem Ausschusse praktisch noch um so mehr geboten, als bereits bekannt war,<lb/>
daß die Negierung dem nächsten Landtag ein neues Preßgcsetz mit allen jenen<lb/>
Verschärfungen vorzulegen beabsichtige, welche frühere Sessionen glücklich ab¬<lb/>
gewehrt hatten, sür welche aber das Bundespreßgesetz von 1853 allerdings<lb/>
jeder Negierung die bequemsten Anhalte bietet. Daß nach dem neuen Pre߬<lb/>
gesetz auch die Competenz der Geschworenen beschränkt werden soll, war eben¬<lb/>
falls bereits bekannt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_480" next="#ID_481"> Umsonst erwartete nun der Gesetzgebungsausschuß der zweiten Kammer<lb/>
eine Antwort aus seine Erklärung. Anstatt dessen erfolgte ein königliches Decret<lb/>
(et- Bad Brückenau. 30, Juli), wodurch die Gesetzgebungsausschüsse auf fünf<lb/>
Monate, also bis zum Jahresschlusse vertagt wurden. Ehe aber dieser Termin<lb/>
abgelaufen, wurde die Prorogation sogar bis 1. Mürz 1858 ausgedehnt.<lb/>
Jetzt empfing sie die Negierung mit acht Punkten oder Fragen höchster prin-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0194] ganz offen kundgab, weil ihr auf Wissen und Unabhängigkeit ruhender Ein¬ fluß unbequem und dennoch nicht zu Paralysiren war, wurde ihr Beruf der¬ maßen verleidet, daß sie (wie z. B.Herr v. Lerchenfeld) ihren Austritt erklär¬ ten. Wenn man aber möglicherweise von gouvernementaler Seite eine solche Wendung nicht ungern sah, so täuschte man sich wenigstens in der Er¬ wartung, nunmehr mit den Ausschüssen leichteres Spiel zu haben. Namentlich harrte I)r. Weiß, unbeirrt durch persönliche Anfechtungen, auf seinem Posten tapfer aus. Bereits der Sommer. 1857 sollte das Moment bringen, welches eine weitere Nachgiebigkeit der Ausschüsse gegen die Regierung gradezu unmög¬ lich machte. Letztere wollte nämlich die Strafbestimmungen über die Presse in das Strafgesetzbuch aufnehmen. Nach dem Preßstrafgesetz vom 17. März 1850 besteht aber sür Preßprocesse' das System mildernder Umstünde. Von der allgemeinen Aufnahme dieses Systems in das Strafgesetzbuch, davon ins¬ besondere, daß die Frage, ob solche Verhältnisse vorhanden, welche außer ge¬ minderter Zurechnungsfähigkeit ein Verbrechen oder Vergehen im geminderten Grade strafbar erscheinen lassen, von den Geschwornen nebst der Schuldfrage zu beantworten seien — davon machte der Ausschuß die Verschmelzung des Preßgesetzes mit dem Strafgesetz abhängig. Die logische Argumentation lautete: da im Preßgesetz das System mildernder Umstände besteht und die Negierung die Preßsachcn dem allgemeinen Strafgesetz unterwerfen will, da ferner nöthig, daß in einem so wesentlichen Punkt für Prcßsachen keine andern Grundsätze als für andere Strafsachen gelten, da endlich dem Ausschusse einer Landesver¬ tretung nicht zugemuthet werden kann, daß er die den Geschworenen einge¬ räumte Kompetenz in Preßsachen Preis gebe, so bleibt nichts übrig, als das sür Preßsachcn giltige System der mildernden Umstände generalisircnd aus alle Strafsachen auszudehnen. Auf dieser Erklärung zu beharren, erschien aber dem Ausschusse praktisch noch um so mehr geboten, als bereits bekannt war, daß die Negierung dem nächsten Landtag ein neues Preßgcsetz mit allen jenen Verschärfungen vorzulegen beabsichtige, welche frühere Sessionen glücklich ab¬ gewehrt hatten, sür welche aber das Bundespreßgesetz von 1853 allerdings jeder Negierung die bequemsten Anhalte bietet. Daß nach dem neuen Pre߬ gesetz auch die Competenz der Geschworenen beschränkt werden soll, war eben¬ falls bereits bekannt. Umsonst erwartete nun der Gesetzgebungsausschuß der zweiten Kammer eine Antwort aus seine Erklärung. Anstatt dessen erfolgte ein königliches Decret (et- Bad Brückenau. 30, Juli), wodurch die Gesetzgebungsausschüsse auf fünf Monate, also bis zum Jahresschlusse vertagt wurden. Ehe aber dieser Termin abgelaufen, wurde die Prorogation sogar bis 1. Mürz 1858 ausgedehnt. Jetzt empfing sie die Negierung mit acht Punkten oder Fragen höchster prin-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/194
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/194>, abgerufen am 03.07.2024.