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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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tige, welche man für so außerordentlich empfänglich für materielle und posi¬
tive Gegenstände hielt, ihre Thätigkeit sofort mit der Discussion von Princip-
fragen. Jedermann erinnert sich wol noch, mit welcher Freude ganz Deutsch¬
land den tapfern nationalen Sinn begrüßte, welchen sie in ihrer Adreßdebatte
sundgab. indem sie eine, ausschließlich vom Ministerpräsidenten mit zwei Pfar¬
rers "erfochtene, ganz farblose Erwähnung der Bundesverhältnisse abwies
und gegen blos zwei Stimmen den Satz beschloß: "Deutschlands Eintracht
und Stärke, die gedeihliche Entwicklung des Bundes kann nur dadurch für
alle Zukunft gesichert werden, daß die schon so lange sehnlichst erwartete und
feierlich verheißene Ausbildung der Bundesverfassung den Völkern Deutsch¬
lands die unschätzbare Wohlthat eines gesicherten Rechtszustandes gewährleiste,
ihrer Stimme auch am Bunde, wo ihre wichtigsten Angelegenheiten verhan¬
delt werden. Gehör verschaffe und Beachtung.sichere." Darüber vergaß sie
jedoch keineswegs, auch daran zu erinnern, wie manche Bereiche des baie-
rischen Staatswesens dessen bedürftig seien, daß darin "Ordnung und Rechts¬
sicherheit geschaffen und gewahrt werde." Was sich aber in den Sätzen
der Adresse blos in andeutenden Formeln kundgab, das nannte die Debatte,
ganz aus den Erörterungen der vorigen Session fortdauert, den Ministern
nicht blos klar und deutlich, sondern auch derb.

Unmittelbar nachher begannen die Wahlprüfungen. Indem man das
ganze Wahlverfahren mit den gouvernementalen Einwirkungen aus den ver¬
schiedensten konstitutionellen Standpunkten einer Kritik unterwarf, welche kaum
beschämender erdacht werden konnte, ging man doch bei der Wahlprüfung
selbst, wie es das Commissionsgutachten vorschlug, blos auf die formellen.
Unregelmäßigkeiten der angezweifelten Wahlacte ein. So wenig vermochte
aber die Regierung den Beweisen sür ungesetzliche Einwirkungen der Beamten
entgegenzustellen, daß sie nicht eine einzige der angegriffenen Wahlen aufrecht
erhalten konnte, das Versprechen zur Einleitung strengster Untersuchung be¬
schwichtigend abgab und endlich selber ein< Revision sämmtlicher pfälzischer
Wahlen beantragte. Die bereits zurückgewiesenen Abgeordneten waren sämmt-
lich Negicrungsccmdidaten. Noch suchten einige Übriggebliebenen derselben
Farbe aus der Pfalz gewissermaßen einschüchternd dadurch auf die Kammer
zu wirken, daß sie freiwillig ihren Austritt erklärten. Aber die Kammer
^lug das Gesuch ab. untersuchte auch ihre Wahlen und befand auch diese
"ugiltig. Die jetzt vollzogenen Neuwahlen, deren Ergebnisse noch vor dem
Jahresschluß (14. Dec.) als vollkommen regelmäßig anerkannt wurden, sielen
fast ausnahmslos auf frühere Deputirte. Von der verheißenen Untersuchung
gegen die bei den annullirten Wahlen betheiligten Beamten verlautete länger
als ein Jahr keine Silbe. Erst 1857 hieß es einmal beiläufig, daß die an-
gestellte Untersuchung kein ungesetzliches Verfahren nachgewiesen habe. Da-


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tige, welche man für so außerordentlich empfänglich für materielle und posi¬
tive Gegenstände hielt, ihre Thätigkeit sofort mit der Discussion von Princip-
fragen. Jedermann erinnert sich wol noch, mit welcher Freude ganz Deutsch¬
land den tapfern nationalen Sinn begrüßte, welchen sie in ihrer Adreßdebatte
sundgab. indem sie eine, ausschließlich vom Ministerpräsidenten mit zwei Pfar¬
rers »erfochtene, ganz farblose Erwähnung der Bundesverhältnisse abwies
und gegen blos zwei Stimmen den Satz beschloß: „Deutschlands Eintracht
und Stärke, die gedeihliche Entwicklung des Bundes kann nur dadurch für
alle Zukunft gesichert werden, daß die schon so lange sehnlichst erwartete und
feierlich verheißene Ausbildung der Bundesverfassung den Völkern Deutsch¬
lands die unschätzbare Wohlthat eines gesicherten Rechtszustandes gewährleiste,
ihrer Stimme auch am Bunde, wo ihre wichtigsten Angelegenheiten verhan¬
delt werden. Gehör verschaffe und Beachtung.sichere." Darüber vergaß sie
jedoch keineswegs, auch daran zu erinnern, wie manche Bereiche des baie-
rischen Staatswesens dessen bedürftig seien, daß darin „Ordnung und Rechts¬
sicherheit geschaffen und gewahrt werde." Was sich aber in den Sätzen
der Adresse blos in andeutenden Formeln kundgab, das nannte die Debatte,
ganz aus den Erörterungen der vorigen Session fortdauert, den Ministern
nicht blos klar und deutlich, sondern auch derb.

Unmittelbar nachher begannen die Wahlprüfungen. Indem man das
ganze Wahlverfahren mit den gouvernementalen Einwirkungen aus den ver¬
schiedensten konstitutionellen Standpunkten einer Kritik unterwarf, welche kaum
beschämender erdacht werden konnte, ging man doch bei der Wahlprüfung
selbst, wie es das Commissionsgutachten vorschlug, blos auf die formellen.
Unregelmäßigkeiten der angezweifelten Wahlacte ein. So wenig vermochte
aber die Regierung den Beweisen sür ungesetzliche Einwirkungen der Beamten
entgegenzustellen, daß sie nicht eine einzige der angegriffenen Wahlen aufrecht
erhalten konnte, das Versprechen zur Einleitung strengster Untersuchung be¬
schwichtigend abgab und endlich selber ein< Revision sämmtlicher pfälzischer
Wahlen beantragte. Die bereits zurückgewiesenen Abgeordneten waren sämmt-
lich Negicrungsccmdidaten. Noch suchten einige Übriggebliebenen derselben
Farbe aus der Pfalz gewissermaßen einschüchternd dadurch auf die Kammer
zu wirken, daß sie freiwillig ihren Austritt erklärten. Aber die Kammer
^lug das Gesuch ab. untersuchte auch ihre Wahlen und befand auch diese
"ugiltig. Die jetzt vollzogenen Neuwahlen, deren Ergebnisse noch vor dem
Jahresschluß (14. Dec.) als vollkommen regelmäßig anerkannt wurden, sielen
fast ausnahmslos auf frühere Deputirte. Von der verheißenen Untersuchung
gegen die bei den annullirten Wahlen betheiligten Beamten verlautete länger
als ein Jahr keine Silbe. Erst 1857 hieß es einmal beiläufig, daß die an-
gestellte Untersuchung kein ungesetzliches Verfahren nachgewiesen habe. Da-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/187>, abgerufen am 05.07.2024.