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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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N, Münchner Zeitung sich ausdrückte. Als wünschenswerte Ziele dieser Reor¬
ganisation bezeichnete sie! Förderung der Gründung von Fideicommissen und
Majoraten, Vermehrung des Grundbesitzes der genossenschaftlichen Familien,
Stiftungen für die Ausbildung der adeligen Söhne und für standesgemäße
Versorgung der unverehelichten Fräuleins, Theilnahme an den allgemeinen
Landesinteressen, wie an den Bezirks- und Gemeindeangelegenheiten, "im Sinn
eines echten Conservatismus." Außer etwelchen Konferenzen adeliger Grund¬
besitzer erfuhr man seitdem freilich nichts über den segensreichen Fortgang
dieser officiell protegirten Adclskette. Jedenfalls entfaltete sie ihre Wirksam¬
keit auch nicht vollkommen auf parlamentarischem Felde. Denn der damals
gewählte Landtag, in dessen zweiter Kammer 13 adelige Gutsbesitzer Platz
nahmen, ist eben der am 30. Sept. 1853 aufgelöste. Und selbst die Reichs¬
rathskammer, welche so viele grundbesitzende hochadelige Elemente zählt, ist
seit 1849 dem Ministerium Pfordten niemals so schroff begegnet, als grade
in der Session von 1855--56.

Am 1. Sept. 1855 trat der neue Landtag zusammen, erst am 15. er¬
öffnete ihn die Thronrede des Königs. Die Constitnirungsarbeiten zeugten
bereits dafür, daß man doch wol zu früh über die wohlgelungene Komposition
der neuen Landesvertretung gejubelt hatte. Das Bureau des unveränder¬
lichen Neichsraths blieb natürlich genan das frühere. Doch weniger wohl¬
gefällig erschien der Conservatismus der zweiten Kammer, welche den frühern
ersten Präsidenten, Graf Hegncnberg-Dux, einen der schärfsten finanziellen und
Kriegsverwaltungskritiker, neben ihm seinen Kampfgenossen, Dr. Paur aus
Augsburg, aus den Präsidentensessel berief. Et-was versöhnend wirkte die Sc-
cretariatswahl, welche sich wiederum den wohlbeliebten Herren nar und Maier
zuwendete. Dagegen die Ausschüsse-- lauter unabhängige, constitutionelle
Männer, darunter die Führer der Opposition in der aufgelösten Kammer, kein
einziger der höheren Verwaltungsbeamten als Gegengewicht, auch die kleri¬
kalen Elemente meistens übergangen! Und von den pfälzischen Abgeordneten?
Kein einziger war gewühlt, weil man bereits die stärksten Bedenken gegen die
Gesetzmäßigkeit ihrer Wahl hegte.

Die Thronrede berührte die vorausgegangene Kainmerauslösung nicht ein¬
mal andeutungsweise, betonte dagegen namentlich die Tractanden materiellen
Charakters, nannte andere Aufgaben kaum vorübergehend. Mit der gewohn¬
ten Paraphrase der königlichen Worte antworteten die Reichsrathe; anders die
zweite Kammer. Lauter Mitglieder der früheren Opposition ernannte sie in
die Adressccommission, diese Herrn v. Lerchenfeld zu ihrem Referenten. Hatte
die ausgelöste Kammer, deren Principienreiterei vom Ministertisch mit so
ernsten Verweisen beehrt worden war, ihre eigentlichen Oppositionskämpfe
ganz speciell mit Thatsachen und Zahlen gefochten, so begann die gegenwär-


N, Münchner Zeitung sich ausdrückte. Als wünschenswerte Ziele dieser Reor¬
ganisation bezeichnete sie! Förderung der Gründung von Fideicommissen und
Majoraten, Vermehrung des Grundbesitzes der genossenschaftlichen Familien,
Stiftungen für die Ausbildung der adeligen Söhne und für standesgemäße
Versorgung der unverehelichten Fräuleins, Theilnahme an den allgemeinen
Landesinteressen, wie an den Bezirks- und Gemeindeangelegenheiten, „im Sinn
eines echten Conservatismus." Außer etwelchen Konferenzen adeliger Grund¬
besitzer erfuhr man seitdem freilich nichts über den segensreichen Fortgang
dieser officiell protegirten Adclskette. Jedenfalls entfaltete sie ihre Wirksam¬
keit auch nicht vollkommen auf parlamentarischem Felde. Denn der damals
gewählte Landtag, in dessen zweiter Kammer 13 adelige Gutsbesitzer Platz
nahmen, ist eben der am 30. Sept. 1853 aufgelöste. Und selbst die Reichs¬
rathskammer, welche so viele grundbesitzende hochadelige Elemente zählt, ist
seit 1849 dem Ministerium Pfordten niemals so schroff begegnet, als grade
in der Session von 1855—56.

Am 1. Sept. 1855 trat der neue Landtag zusammen, erst am 15. er¬
öffnete ihn die Thronrede des Königs. Die Constitnirungsarbeiten zeugten
bereits dafür, daß man doch wol zu früh über die wohlgelungene Komposition
der neuen Landesvertretung gejubelt hatte. Das Bureau des unveränder¬
lichen Neichsraths blieb natürlich genan das frühere. Doch weniger wohl¬
gefällig erschien der Conservatismus der zweiten Kammer, welche den frühern
ersten Präsidenten, Graf Hegncnberg-Dux, einen der schärfsten finanziellen und
Kriegsverwaltungskritiker, neben ihm seinen Kampfgenossen, Dr. Paur aus
Augsburg, aus den Präsidentensessel berief. Et-was versöhnend wirkte die Sc-
cretariatswahl, welche sich wiederum den wohlbeliebten Herren nar und Maier
zuwendete. Dagegen die Ausschüsse— lauter unabhängige, constitutionelle
Männer, darunter die Führer der Opposition in der aufgelösten Kammer, kein
einziger der höheren Verwaltungsbeamten als Gegengewicht, auch die kleri¬
kalen Elemente meistens übergangen! Und von den pfälzischen Abgeordneten?
Kein einziger war gewühlt, weil man bereits die stärksten Bedenken gegen die
Gesetzmäßigkeit ihrer Wahl hegte.

Die Thronrede berührte die vorausgegangene Kainmerauslösung nicht ein¬
mal andeutungsweise, betonte dagegen namentlich die Tractanden materiellen
Charakters, nannte andere Aufgaben kaum vorübergehend. Mit der gewohn¬
ten Paraphrase der königlichen Worte antworteten die Reichsrathe; anders die
zweite Kammer. Lauter Mitglieder der früheren Opposition ernannte sie in
die Adressccommission, diese Herrn v. Lerchenfeld zu ihrem Referenten. Hatte
die ausgelöste Kammer, deren Principienreiterei vom Ministertisch mit so
ernsten Verweisen beehrt worden war, ihre eigentlichen Oppositionskämpfe
ganz speciell mit Thatsachen und Zahlen gefochten, so begann die gegenwär-


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[0186] N, Münchner Zeitung sich ausdrückte. Als wünschenswerte Ziele dieser Reor¬ ganisation bezeichnete sie! Förderung der Gründung von Fideicommissen und Majoraten, Vermehrung des Grundbesitzes der genossenschaftlichen Familien, Stiftungen für die Ausbildung der adeligen Söhne und für standesgemäße Versorgung der unverehelichten Fräuleins, Theilnahme an den allgemeinen Landesinteressen, wie an den Bezirks- und Gemeindeangelegenheiten, „im Sinn eines echten Conservatismus." Außer etwelchen Konferenzen adeliger Grund¬ besitzer erfuhr man seitdem freilich nichts über den segensreichen Fortgang dieser officiell protegirten Adclskette. Jedenfalls entfaltete sie ihre Wirksam¬ keit auch nicht vollkommen auf parlamentarischem Felde. Denn der damals gewählte Landtag, in dessen zweiter Kammer 13 adelige Gutsbesitzer Platz nahmen, ist eben der am 30. Sept. 1853 aufgelöste. Und selbst die Reichs¬ rathskammer, welche so viele grundbesitzende hochadelige Elemente zählt, ist seit 1849 dem Ministerium Pfordten niemals so schroff begegnet, als grade in der Session von 1855—56. Am 1. Sept. 1855 trat der neue Landtag zusammen, erst am 15. er¬ öffnete ihn die Thronrede des Königs. Die Constitnirungsarbeiten zeugten bereits dafür, daß man doch wol zu früh über die wohlgelungene Komposition der neuen Landesvertretung gejubelt hatte. Das Bureau des unveränder¬ lichen Neichsraths blieb natürlich genan das frühere. Doch weniger wohl¬ gefällig erschien der Conservatismus der zweiten Kammer, welche den frühern ersten Präsidenten, Graf Hegncnberg-Dux, einen der schärfsten finanziellen und Kriegsverwaltungskritiker, neben ihm seinen Kampfgenossen, Dr. Paur aus Augsburg, aus den Präsidentensessel berief. Et-was versöhnend wirkte die Sc- cretariatswahl, welche sich wiederum den wohlbeliebten Herren nar und Maier zuwendete. Dagegen die Ausschüsse— lauter unabhängige, constitutionelle Männer, darunter die Führer der Opposition in der aufgelösten Kammer, kein einziger der höheren Verwaltungsbeamten als Gegengewicht, auch die kleri¬ kalen Elemente meistens übergangen! Und von den pfälzischen Abgeordneten? Kein einziger war gewühlt, weil man bereits die stärksten Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit ihrer Wahl hegte. Die Thronrede berührte die vorausgegangene Kainmerauslösung nicht ein¬ mal andeutungsweise, betonte dagegen namentlich die Tractanden materiellen Charakters, nannte andere Aufgaben kaum vorübergehend. Mit der gewohn¬ ten Paraphrase der königlichen Worte antworteten die Reichsrathe; anders die zweite Kammer. Lauter Mitglieder der früheren Opposition ernannte sie in die Adressccommission, diese Herrn v. Lerchenfeld zu ihrem Referenten. Hatte die ausgelöste Kammer, deren Principienreiterei vom Ministertisch mit so ernsten Verweisen beehrt worden war, ihre eigentlichen Oppositionskämpfe ganz speciell mit Thatsachen und Zahlen gefochten, so begann die gegenwär-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/186>, abgerufen am 26.07.2024.