Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

derem: weibischer bunter Aufputz, wilde Musik, rasende Tänze, Geißelungen
und Verstümmlungen, und zum Schluß Einsammeln von Geld oder Eßwaaren;
gelegentlich verübten sie Diebstähle und andere Verbrechen. Nichtsdestoweniger
hatte auch diese Göttin im römischen Reich zahlreiche Verehrer, die Spuren
ihres Dienstes sind bis Britannien hin verstreut, und Nero, der alle übrigen
Götter aufs äußerste verachtete, hing lange Zeit an dieser einen, bis sie bei
ihm durch einen andern Aberglauben verdrängt wurde. In diesen Kreis der
vorderasiatischen Culten gehört auch der der "Himmelsgöttin" von Karthago,
der aus Phönicien stammte. Von Afrika aus, wo er sich bis in die Zeit der
Vandalen erhielt, verbreitete er sich in alle Provinzen, Elogabal brachte sie
nach Rom, um sie mit dem Sonnengotts von Emesa zu vermählen.

Wie diese Culte, welche unter wechselnden Namen und Formen sich theils
auf dieselbe orientalische Naturgottheit, die syrische Astarte oder Asteroth des
alten Testaments, theils auf verwandte Gestalten beziehen, fand auch nach
und nach die Verehrung des semitischen Baal, des Sonnengottes, im Westen
Eingang. Die Römer identificirten ihn mit ihrem Jupiter. Die syrischen
Kaufleute, die in Puteoli, dem Haupthafen für den morgenländischen Handel
ansässig waren, setzten dort ihren einheinüschen Gottesdienst fort, von da kam
der "Jupiter von Heliopolis" nach Rom und weiter, wie er sich denn z. B.
in Nismes findet. In Heliopolis (Baalbeck) baute Kaiser Antoninus Pius
diesem Gott einen neuen kolossalen Tempel, der als ein Weltwunder gerühmt
wird und noch in seinen Ruinen Staunen erregt. Eine andere Personification
des vorderasiatischen Sonnengottes ist der Jupiter von Dolicha (im nördlichen
Syrien), dessen Verehrung erst im zweiten Jahrhundert in den Westen ein¬
gedrungen zu sein scheint, gegen dessen Ende sie aber bereits eine ungeheure
Ausdehnung gewann und über ganz Europa sich verbreitete. Der schon er¬
wähnte Sonnengott von Emesa, Elogabal (von dessen Verehrung sein kaiser¬
licher Priester den Beinamen erhielt, bei dem er gewöhnlich genannt wird)
wurde unter dem Symbol eines schwarzen Steines angebetet; er erhielt un¬
gefähr 220 n. Chr. einen Tempel zu Rom, in den der Kaiser auch das Palla¬
dium, das Feuer der Vesta und andere Heiligthümer bringen ließ. Einen
neuen Tempel baute dem Sonnengotte Aurelian, der ihm anch ein eignes
Priesterthum stiftete.

Aber ungleich weiter verbreitet und tiefer gewurzelt war in den Zeiten
des sinkenden Reichs die Verehrung des persischen Sonnengottes Mithras,
dessen Cult die Römer in einer sehr getrübten Ueberlieferung durch die cili-
cischen Seeräuber erhielten, welche die Küsten des Mittelmeeres beunruhigten und
plünderten, bis Pompejus ihrem Treiben ein Ende machte. Die Arbeit der
äußerst zahlreichen auf diesen Cultus bezüglichen Monumente, die sich in allen
Provinzen des römischen Reichs finden, gehört fast durchweg der Periode der


Grenzboten IV. 18S3. 22

derem: weibischer bunter Aufputz, wilde Musik, rasende Tänze, Geißelungen
und Verstümmlungen, und zum Schluß Einsammeln von Geld oder Eßwaaren;
gelegentlich verübten sie Diebstähle und andere Verbrechen. Nichtsdestoweniger
hatte auch diese Göttin im römischen Reich zahlreiche Verehrer, die Spuren
ihres Dienstes sind bis Britannien hin verstreut, und Nero, der alle übrigen
Götter aufs äußerste verachtete, hing lange Zeit an dieser einen, bis sie bei
ihm durch einen andern Aberglauben verdrängt wurde. In diesen Kreis der
vorderasiatischen Culten gehört auch der der „Himmelsgöttin" von Karthago,
der aus Phönicien stammte. Von Afrika aus, wo er sich bis in die Zeit der
Vandalen erhielt, verbreitete er sich in alle Provinzen, Elogabal brachte sie
nach Rom, um sie mit dem Sonnengotts von Emesa zu vermählen.

Wie diese Culte, welche unter wechselnden Namen und Formen sich theils
auf dieselbe orientalische Naturgottheit, die syrische Astarte oder Asteroth des
alten Testaments, theils auf verwandte Gestalten beziehen, fand auch nach
und nach die Verehrung des semitischen Baal, des Sonnengottes, im Westen
Eingang. Die Römer identificirten ihn mit ihrem Jupiter. Die syrischen
Kaufleute, die in Puteoli, dem Haupthafen für den morgenländischen Handel
ansässig waren, setzten dort ihren einheinüschen Gottesdienst fort, von da kam
der „Jupiter von Heliopolis" nach Rom und weiter, wie er sich denn z. B.
in Nismes findet. In Heliopolis (Baalbeck) baute Kaiser Antoninus Pius
diesem Gott einen neuen kolossalen Tempel, der als ein Weltwunder gerühmt
wird und noch in seinen Ruinen Staunen erregt. Eine andere Personification
des vorderasiatischen Sonnengottes ist der Jupiter von Dolicha (im nördlichen
Syrien), dessen Verehrung erst im zweiten Jahrhundert in den Westen ein¬
gedrungen zu sein scheint, gegen dessen Ende sie aber bereits eine ungeheure
Ausdehnung gewann und über ganz Europa sich verbreitete. Der schon er¬
wähnte Sonnengott von Emesa, Elogabal (von dessen Verehrung sein kaiser¬
licher Priester den Beinamen erhielt, bei dem er gewöhnlich genannt wird)
wurde unter dem Symbol eines schwarzen Steines angebetet; er erhielt un¬
gefähr 220 n. Chr. einen Tempel zu Rom, in den der Kaiser auch das Palla¬
dium, das Feuer der Vesta und andere Heiligthümer bringen ließ. Einen
neuen Tempel baute dem Sonnengotte Aurelian, der ihm anch ein eignes
Priesterthum stiftete.

Aber ungleich weiter verbreitet und tiefer gewurzelt war in den Zeiten
des sinkenden Reichs die Verehrung des persischen Sonnengottes Mithras,
dessen Cult die Römer in einer sehr getrübten Ueberlieferung durch die cili-
cischen Seeräuber erhielten, welche die Küsten des Mittelmeeres beunruhigten und
plünderten, bis Pompejus ihrem Treiben ein Ende machte. Die Arbeit der
äußerst zahlreichen auf diesen Cultus bezüglichen Monumente, die sich in allen
Provinzen des römischen Reichs finden, gehört fast durchweg der Periode der


Grenzboten IV. 18S3. 22
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0177" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/265986"/>
            <p xml:id="ID_437" prev="#ID_436"> derem: weibischer bunter Aufputz, wilde Musik, rasende Tänze, Geißelungen<lb/>
und Verstümmlungen, und zum Schluß Einsammeln von Geld oder Eßwaaren;<lb/>
gelegentlich verübten sie Diebstähle und andere Verbrechen. Nichtsdestoweniger<lb/>
hatte auch diese Göttin im römischen Reich zahlreiche Verehrer, die Spuren<lb/>
ihres Dienstes sind bis Britannien hin verstreut, und Nero, der alle übrigen<lb/>
Götter aufs äußerste verachtete, hing lange Zeit an dieser einen, bis sie bei<lb/>
ihm durch einen andern Aberglauben verdrängt wurde. In diesen Kreis der<lb/>
vorderasiatischen Culten gehört auch der der &#x201E;Himmelsgöttin" von Karthago,<lb/>
der aus Phönicien stammte. Von Afrika aus, wo er sich bis in die Zeit der<lb/>
Vandalen erhielt, verbreitete er sich in alle Provinzen, Elogabal brachte sie<lb/>
nach Rom, um sie mit dem Sonnengotts von Emesa zu vermählen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_438"> Wie diese Culte, welche unter wechselnden Namen und Formen sich theils<lb/>
auf dieselbe orientalische Naturgottheit, die syrische Astarte oder Asteroth des<lb/>
alten Testaments, theils auf verwandte Gestalten beziehen, fand auch nach<lb/>
und nach die Verehrung des semitischen Baal, des Sonnengottes, im Westen<lb/>
Eingang. Die Römer identificirten ihn mit ihrem Jupiter. Die syrischen<lb/>
Kaufleute, die in Puteoli, dem Haupthafen für den morgenländischen Handel<lb/>
ansässig waren, setzten dort ihren einheinüschen Gottesdienst fort, von da kam<lb/>
der &#x201E;Jupiter von Heliopolis" nach Rom und weiter, wie er sich denn z. B.<lb/>
in Nismes findet. In Heliopolis (Baalbeck) baute Kaiser Antoninus Pius<lb/>
diesem Gott einen neuen kolossalen Tempel, der als ein Weltwunder gerühmt<lb/>
wird und noch in seinen Ruinen Staunen erregt. Eine andere Personification<lb/>
des vorderasiatischen Sonnengottes ist der Jupiter von Dolicha (im nördlichen<lb/>
Syrien), dessen Verehrung erst im zweiten Jahrhundert in den Westen ein¬<lb/>
gedrungen zu sein scheint, gegen dessen Ende sie aber bereits eine ungeheure<lb/>
Ausdehnung gewann und über ganz Europa sich verbreitete. Der schon er¬<lb/>
wähnte Sonnengott von Emesa, Elogabal (von dessen Verehrung sein kaiser¬<lb/>
licher Priester den Beinamen erhielt, bei dem er gewöhnlich genannt wird)<lb/>
wurde unter dem Symbol eines schwarzen Steines angebetet; er erhielt un¬<lb/>
gefähr 220 n. Chr. einen Tempel zu Rom, in den der Kaiser auch das Palla¬<lb/>
dium, das Feuer der Vesta und andere Heiligthümer bringen ließ. Einen<lb/>
neuen Tempel baute dem Sonnengotte Aurelian, der ihm anch ein eignes<lb/>
Priesterthum stiftete.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_439" next="#ID_440"> Aber ungleich weiter verbreitet und tiefer gewurzelt war in den Zeiten<lb/>
des sinkenden Reichs die Verehrung des persischen Sonnengottes Mithras,<lb/>
dessen Cult die Römer in einer sehr getrübten Ueberlieferung durch die cili-<lb/>
cischen Seeräuber erhielten, welche die Küsten des Mittelmeeres beunruhigten und<lb/>
plünderten, bis Pompejus ihrem Treiben ein Ende machte. Die Arbeit der<lb/>
äußerst zahlreichen auf diesen Cultus bezüglichen Monumente, die sich in allen<lb/>
Provinzen des römischen Reichs finden, gehört fast durchweg der Periode der</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 18S3. 22</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0177] derem: weibischer bunter Aufputz, wilde Musik, rasende Tänze, Geißelungen und Verstümmlungen, und zum Schluß Einsammeln von Geld oder Eßwaaren; gelegentlich verübten sie Diebstähle und andere Verbrechen. Nichtsdestoweniger hatte auch diese Göttin im römischen Reich zahlreiche Verehrer, die Spuren ihres Dienstes sind bis Britannien hin verstreut, und Nero, der alle übrigen Götter aufs äußerste verachtete, hing lange Zeit an dieser einen, bis sie bei ihm durch einen andern Aberglauben verdrängt wurde. In diesen Kreis der vorderasiatischen Culten gehört auch der der „Himmelsgöttin" von Karthago, der aus Phönicien stammte. Von Afrika aus, wo er sich bis in die Zeit der Vandalen erhielt, verbreitete er sich in alle Provinzen, Elogabal brachte sie nach Rom, um sie mit dem Sonnengotts von Emesa zu vermählen. Wie diese Culte, welche unter wechselnden Namen und Formen sich theils auf dieselbe orientalische Naturgottheit, die syrische Astarte oder Asteroth des alten Testaments, theils auf verwandte Gestalten beziehen, fand auch nach und nach die Verehrung des semitischen Baal, des Sonnengottes, im Westen Eingang. Die Römer identificirten ihn mit ihrem Jupiter. Die syrischen Kaufleute, die in Puteoli, dem Haupthafen für den morgenländischen Handel ansässig waren, setzten dort ihren einheinüschen Gottesdienst fort, von da kam der „Jupiter von Heliopolis" nach Rom und weiter, wie er sich denn z. B. in Nismes findet. In Heliopolis (Baalbeck) baute Kaiser Antoninus Pius diesem Gott einen neuen kolossalen Tempel, der als ein Weltwunder gerühmt wird und noch in seinen Ruinen Staunen erregt. Eine andere Personification des vorderasiatischen Sonnengottes ist der Jupiter von Dolicha (im nördlichen Syrien), dessen Verehrung erst im zweiten Jahrhundert in den Westen ein¬ gedrungen zu sein scheint, gegen dessen Ende sie aber bereits eine ungeheure Ausdehnung gewann und über ganz Europa sich verbreitete. Der schon er¬ wähnte Sonnengott von Emesa, Elogabal (von dessen Verehrung sein kaiser¬ licher Priester den Beinamen erhielt, bei dem er gewöhnlich genannt wird) wurde unter dem Symbol eines schwarzen Steines angebetet; er erhielt un¬ gefähr 220 n. Chr. einen Tempel zu Rom, in den der Kaiser auch das Palla¬ dium, das Feuer der Vesta und andere Heiligthümer bringen ließ. Einen neuen Tempel baute dem Sonnengotte Aurelian, der ihm anch ein eignes Priesterthum stiftete. Aber ungleich weiter verbreitet und tiefer gewurzelt war in den Zeiten des sinkenden Reichs die Verehrung des persischen Sonnengottes Mithras, dessen Cult die Römer in einer sehr getrübten Ueberlieferung durch die cili- cischen Seeräuber erhielten, welche die Küsten des Mittelmeeres beunruhigten und plünderten, bis Pompejus ihrem Treiben ein Ende machte. Die Arbeit der äußerst zahlreichen auf diesen Cultus bezüglichen Monumente, die sich in allen Provinzen des römischen Reichs finden, gehört fast durchweg der Periode der Grenzboten IV. 18S3. 22

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/177
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/177>, abgerufen am 05.07.2024.