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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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her, sangen griechische Hymnen unter einer wilden Musik von Flöten, Hör¬
nern und Pauken und sammelten Geld ein. Verrufen und verachtet, fänden
diese Eunuchen nur bei Abergläubischen Zutritt, die sie hier und da durch
drohende Prophezeiungen zu einem Geschenk bewogen. Doch in der Zeit
der zunehmenden Superstition stieg das Ansehn auch dieses Cultus, er breitete
sich im Westen aus. und die Monumente bezeugen die Betheiligung sehr vor¬
nehmer Personen, sowol Männer als Frauen. In der spätern Kaiserzeit fin¬
den wir das Fest der großen Göttin, das in dem Festkalender Ovids noch
als ein sehr geringes erscheint, als ein sehr glänzendes, das fünf Tage dau¬
erte. Es siel in die Zeit der Frühlingsnachtgleiche, und seine Ceremonien be¬
zogen sich auf den Mythus des Atys (seiner Entmannung, seines Todes und seiner
Auferstehung), in dem man eine Pcrsonificirung der Sonne, wie in der großen
Mutter die der Erde fand. Am 22. März wurde die heilige Pinie, unter
der sich Atys entmannt haben sollte, mit Wolle umwickelt und mit Veilchen¬
kränzen behängt, von einer Brüderschaften Procession in den Tempel der Göt¬
tin getragen. Der 24. März war der sogenannte Tag des Blutes, an dem
die Eunuchcnpriester ihre Arme ritzten und mit wildem Geheul,und rasenden
Geberden unter dem Schall der Instrumente den Atys beklagten; die Andäch¬
tigen fasteten an diesem Tage. Am folgenden Tage verwandelte sich die aus¬
gelassene Trauer in eine ebenso ausgelassene Freude, das Fest hieß die Hila-
rien. Am 27. wurde der schwarze Stein, der das Symbol der Göttin war,
mit einem silbernen weiblichen Kopf bedeckt, auf einem Wagen an das Flüß-
chen AImo gefahren und dort gebadet, worauf die Feier mit abermaligen Freu¬
denfesten und einer Art von Karneval schloß.

Nicht minder orgiastisch war der Dienst einer andern asiatischen Göttin,
die aus Canara in Kappadozien in den mithridatischen Kriegen nach Rom
verpflanzt und von den Römern Bellona genannt wurde. Ihre kappadozischen
Priester hielten ebenfalls wilde Aufzüge in schwarzen Kleidern, wobei sie unter
lärmender Musik sich mit asiatischen Doppelbeilen Arme und Schenkel ver¬
wundeten, da ihre Verzückung sie angeblich gegen jeden Schmerz unempfind¬
lich machte und sich überhaupt einer völligen Raserei überließen. Doch scheint
dieser Cult auch in der spätern Zeit kein Ansehn gewonnen zu haben, seine
Priester und Priesterinnen bestanden aus Gesindel; ausgediente Gladiatoren
ließen sich z. B. unter sie aufnehmen. Dasselbe gilt wol von der Verehrung
der syrischen Göttin, die niemals wie die der Bellona und der großen Mutter
eine Aufnahme unter die vom Staat geduldeten Culte gefunden hat. Nicht
blos der Spötter Lucian, sondern auch der fromme Apulejus schildert die auf
dem Lande herumziehenden Priesterlicinden der syrischen Göttin als den Aus¬
wurf der Menschheit, die unter dem Deckmantel ihres Cultus die größten
Schandthaten begingen. Die Gebräuche desselben glichen den vorher gesehn-


her, sangen griechische Hymnen unter einer wilden Musik von Flöten, Hör¬
nern und Pauken und sammelten Geld ein. Verrufen und verachtet, fänden
diese Eunuchen nur bei Abergläubischen Zutritt, die sie hier und da durch
drohende Prophezeiungen zu einem Geschenk bewogen. Doch in der Zeit
der zunehmenden Superstition stieg das Ansehn auch dieses Cultus, er breitete
sich im Westen aus. und die Monumente bezeugen die Betheiligung sehr vor¬
nehmer Personen, sowol Männer als Frauen. In der spätern Kaiserzeit fin¬
den wir das Fest der großen Göttin, das in dem Festkalender Ovids noch
als ein sehr geringes erscheint, als ein sehr glänzendes, das fünf Tage dau¬
erte. Es siel in die Zeit der Frühlingsnachtgleiche, und seine Ceremonien be¬
zogen sich auf den Mythus des Atys (seiner Entmannung, seines Todes und seiner
Auferstehung), in dem man eine Pcrsonificirung der Sonne, wie in der großen
Mutter die der Erde fand. Am 22. März wurde die heilige Pinie, unter
der sich Atys entmannt haben sollte, mit Wolle umwickelt und mit Veilchen¬
kränzen behängt, von einer Brüderschaften Procession in den Tempel der Göt¬
tin getragen. Der 24. März war der sogenannte Tag des Blutes, an dem
die Eunuchcnpriester ihre Arme ritzten und mit wildem Geheul,und rasenden
Geberden unter dem Schall der Instrumente den Atys beklagten; die Andäch¬
tigen fasteten an diesem Tage. Am folgenden Tage verwandelte sich die aus¬
gelassene Trauer in eine ebenso ausgelassene Freude, das Fest hieß die Hila-
rien. Am 27. wurde der schwarze Stein, der das Symbol der Göttin war,
mit einem silbernen weiblichen Kopf bedeckt, auf einem Wagen an das Flüß-
chen AImo gefahren und dort gebadet, worauf die Feier mit abermaligen Freu¬
denfesten und einer Art von Karneval schloß.

Nicht minder orgiastisch war der Dienst einer andern asiatischen Göttin,
die aus Canara in Kappadozien in den mithridatischen Kriegen nach Rom
verpflanzt und von den Römern Bellona genannt wurde. Ihre kappadozischen
Priester hielten ebenfalls wilde Aufzüge in schwarzen Kleidern, wobei sie unter
lärmender Musik sich mit asiatischen Doppelbeilen Arme und Schenkel ver¬
wundeten, da ihre Verzückung sie angeblich gegen jeden Schmerz unempfind¬
lich machte und sich überhaupt einer völligen Raserei überließen. Doch scheint
dieser Cult auch in der spätern Zeit kein Ansehn gewonnen zu haben, seine
Priester und Priesterinnen bestanden aus Gesindel; ausgediente Gladiatoren
ließen sich z. B. unter sie aufnehmen. Dasselbe gilt wol von der Verehrung
der syrischen Göttin, die niemals wie die der Bellona und der großen Mutter
eine Aufnahme unter die vom Staat geduldeten Culte gefunden hat. Nicht
blos der Spötter Lucian, sondern auch der fromme Apulejus schildert die auf
dem Lande herumziehenden Priesterlicinden der syrischen Göttin als den Aus¬
wurf der Menschheit, die unter dem Deckmantel ihres Cultus die größten
Schandthaten begingen. Die Gebräuche desselben glichen den vorher gesehn-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/176>, abgerufen am 26.07.2024.