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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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in der Kunstkennerschaft erreicht hatte, für den waren die Werke der Hellenisten
nicht vorhanden. Die Neurömer appellirten an die Armen im Geiste, ihre
Formlosigkeit, ihre Derbheiten grade ließen die Kunst wieder in weiteren Krei¬
sen wirken und machten sie volksthümlich. Wenn aber auch Carstens und
Wächters u. a. Nachfolger so weit im Recht waren, daß sie mit dem Helle¬
nismus brachen, so folgt daraus noch keineswegs, daß sie alsdann den rech¬
ten Weg einschlugen. Im Gegentheil scheint seitdem die Unruhe und Unbe-
friedigtheit, das Rathen und ^ Suchen und Uebertreiben die oberste Gewalt
in der deutschen Kunst erlangt zu haben. Wunderbar wäre es keineswegs,
da wir nicht ein starkes und trotziges Geschlecht sind, wenn wir, um der Un¬
ruhe loszuwerden, für einige Augenblicke wieder in den Hafen des Hellenis¬
mus flüchteten. Daß die dramatische Poesie der jüngsten Tage'mit Sack und
Pack in das Lager der Antike überging, ist ein Zeichen der Zeit, welches
wahrscheinlich unsere bildenden Künstler zu dem gleichen Vorgang anfeuern wird.

Aehnlich wie mit Schick und Wächter dürfte es vielen Besuchern mit
Koch und Reinhardt ergehen, und sie erst durch die Vermittlung der Aus¬
stellung eine anschauliche Erkenntniß vom Wesen dieser Meister empfangen.
Reinhardt zwar kann aus den drei Oelgemälden und der einen Zeichnung,
die von ihm hier vorhanden sind, nicht füglich beurtheilt werden, dagegen ist
Koch durch 23 Werke verhältnißmüßig glänzend vertreten. Koch war eine
klobige Natur und konnte bei Gelegenheit den Namen eines groben Gesellen
sich erwerben, er besaß aber nicht nur eine respectable Bildung, sondern auch
eine tüchtige Natur, eine felsenfeste Ueberzeugung von der geistigen Mission
des Künstlers-, über deren geringe Beachtung seitens der jüngern Künstler-
welt er recht herbe Klage führen konnte. Von dieser selbstständigen Kraft,
diesem Künstlertrotze legen seine Werke in ihren Mängeln und Vorzügen ein
deutliches Zeugniß ab. Koch lehnte sich bereits an jenen Künstlerkreis an,-
den man früher mit dem Namen der Nazarener zu bezeichnen pflegte. Wir
wollen, um Mißdeutungen zu begegnen, die Männer, die theilweise auf' der
Flucht aus deutschen Akademien, von enthusiastischen Ideen über das Mittel¬
alter erfüllt, in Rom zusammentrafen, lieber als Ncurömer bezeichnen. Mit
ihnen theilt er die Liebe für Dante Und die romantischen Dichter, die Ge¬
ringschätzung des rein Formellen in der Malerei, die bis zu Einseitigkeit aus¬
geprägte Abneigung gegen alles, was nicht mit dem Gedanken und der Em¬
pfindung in unmittelbarer Beziehung steht. Augenfreude war das letzte Ziel,
welches er der Malerei steckte. Auf der andern Seite steht er aber auch noch
mit den Hellenisten im Zusammenhange und weiß den Wohllaut der
Linien, die Schönheit reiner Formen wohl zu schätzen. Für beide Richtungen
weist die Ausstellung charakteristische Beispiele auf. Ein gar seltsames Bild
ist der tiroler Landsturm vom Jahr 1809. In der Mitte einer bewegten


Grenzboten IV.'18ö6. 2

in der Kunstkennerschaft erreicht hatte, für den waren die Werke der Hellenisten
nicht vorhanden. Die Neurömer appellirten an die Armen im Geiste, ihre
Formlosigkeit, ihre Derbheiten grade ließen die Kunst wieder in weiteren Krei¬
sen wirken und machten sie volksthümlich. Wenn aber auch Carstens und
Wächters u. a. Nachfolger so weit im Recht waren, daß sie mit dem Helle¬
nismus brachen, so folgt daraus noch keineswegs, daß sie alsdann den rech¬
ten Weg einschlugen. Im Gegentheil scheint seitdem die Unruhe und Unbe-
friedigtheit, das Rathen und ^ Suchen und Uebertreiben die oberste Gewalt
in der deutschen Kunst erlangt zu haben. Wunderbar wäre es keineswegs,
da wir nicht ein starkes und trotziges Geschlecht sind, wenn wir, um der Un¬
ruhe loszuwerden, für einige Augenblicke wieder in den Hafen des Hellenis¬
mus flüchteten. Daß die dramatische Poesie der jüngsten Tage'mit Sack und
Pack in das Lager der Antike überging, ist ein Zeichen der Zeit, welches
wahrscheinlich unsere bildenden Künstler zu dem gleichen Vorgang anfeuern wird.

Aehnlich wie mit Schick und Wächter dürfte es vielen Besuchern mit
Koch und Reinhardt ergehen, und sie erst durch die Vermittlung der Aus¬
stellung eine anschauliche Erkenntniß vom Wesen dieser Meister empfangen.
Reinhardt zwar kann aus den drei Oelgemälden und der einen Zeichnung,
die von ihm hier vorhanden sind, nicht füglich beurtheilt werden, dagegen ist
Koch durch 23 Werke verhältnißmüßig glänzend vertreten. Koch war eine
klobige Natur und konnte bei Gelegenheit den Namen eines groben Gesellen
sich erwerben, er besaß aber nicht nur eine respectable Bildung, sondern auch
eine tüchtige Natur, eine felsenfeste Ueberzeugung von der geistigen Mission
des Künstlers-, über deren geringe Beachtung seitens der jüngern Künstler-
welt er recht herbe Klage führen konnte. Von dieser selbstständigen Kraft,
diesem Künstlertrotze legen seine Werke in ihren Mängeln und Vorzügen ein
deutliches Zeugniß ab. Koch lehnte sich bereits an jenen Künstlerkreis an,-
den man früher mit dem Namen der Nazarener zu bezeichnen pflegte. Wir
wollen, um Mißdeutungen zu begegnen, die Männer, die theilweise auf' der
Flucht aus deutschen Akademien, von enthusiastischen Ideen über das Mittel¬
alter erfüllt, in Rom zusammentrafen, lieber als Ncurömer bezeichnen. Mit
ihnen theilt er die Liebe für Dante Und die romantischen Dichter, die Ge¬
ringschätzung des rein Formellen in der Malerei, die bis zu Einseitigkeit aus¬
geprägte Abneigung gegen alles, was nicht mit dem Gedanken und der Em¬
pfindung in unmittelbarer Beziehung steht. Augenfreude war das letzte Ziel,
welches er der Malerei steckte. Auf der andern Seite steht er aber auch noch
mit den Hellenisten im Zusammenhange und weiß den Wohllaut der
Linien, die Schönheit reiner Formen wohl zu schätzen. Für beide Richtungen
weist die Ausstellung charakteristische Beispiele auf. Ein gar seltsames Bild
ist der tiroler Landsturm vom Jahr 1809. In der Mitte einer bewegten


Grenzboten IV.'18ö6. 2
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/17>, abgerufen am 03.07.2024.